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03.12.2009

Persönliche Erklärung zur Abstimmung ISAF-Mandat

Beate Müller-Gemmeke hat bei der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Bundesregierung auf Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem ISAF-Mandat in Afghanistan mit „nein“ gestimmt und folgende persönliche Erklärung abgegeben.

Wir lehnen den Antrag der Bundesregierung auf Fortsetzung des Einsatzes der Bundeswehr am Krieg in Afghanistan im Rahmen von ISAF ab. Dieser Einsatz ist falsch und nicht zu verantworten.

Das beantragte Mandat zieht keine Konsequenzen aus den bisherigen Erfahrungen. Es will eine unveränderte Fortsetzung des Militäreinsatzes für ein weiteres Jahr. Die Mittel dafür werden ohne überzeugende Begründung um 230 Millionen Euro erhöht. Die Ergebnisse der Afghanistankonferenz 2010 werden erst gar nicht abgewartet. Ein Strategiewechsel, weg vom militärischen Ansatz hin zum verstärkten, dezentralen zivilen Aufbau ist weder im Mandat noch in der Politik der Bundesregierung und der NATO erkennbar. Eine verantwortbare Abzugsperspektive wird nicht eröffnet.

Wir befürchten, gerade angesichts der massiven Aufstockung der US-Truppen um weitre 30.000 SoldatInnen, eine Fortsetzung und Intensivierung der kriegerischen Auseinandersetzungen. Wir befürchten zahlreiche weitere zivile und militärische Opfer. Der Frieden, der zivile Aufbau und eine nachhaltige Entwicklung rücken in weite Ferne. Genau diese friedliche Perspektive wollen wir aber eröffnen.

Seit Oktober vergangenen Jahres hat der Einsatz der Bundeswehr nicht mehr Sicherheit für die Bevölkerung im Norden Afghanistans gebracht, sondern die Sicherheitslage hat sich erneut dramatisch verschlechtert.

Die Zahl der getöteten ZivilistInnen in Afghanistan stieg im ersten Halbjahr 2009 noch einmal auf ca. 1.500, d.h. 31% mehr als im Vorjahreszeitraum. Viele tausend Menschen wurden verletzt und verstümmelt.

Der angebliche Strategiewechsel, der dem Schutz der Bevölkerung absolute Priorität einräumt, ist nicht erkennbar. Bombardierungen der US-Luftwaffe sind keineswegs nur auf Nothilfe für NATO-Truppen in Gefahrensituationen eingeschränkt, sondern ein häufig genutztes Mittel zur Vernichtung des Feindes. Auch Bundeswehreinsätze im Rahmen von ISAF finden mit massiver Unterstützung durch US-Bomber und Drohnen statt. Auf Anforderung und Anweisung von SoldatInnen der Bundeswehr wurden Bomben und Raketen geworfen und zahlreiche ZivilistInnen getötet und verletzt wie in der Nähe von Kundus bei dem Angriff auf Tanklastwagen am 4. September. Hinzu kommen Offensiven der US- und afghanischen Truppen im Rahmen von OEF in Sichtweite der deutschen Bundeswehrstandorte wie zuletzt Anfang November in der Nähe von Gul Tepa, als ein abgeriegeltes Gebiet unter den Augen der Bundeswehr fünf Tage und fünf Nächte lang bombardiert und viele Menschen getötet wurden.

Mit einem solchen Vorgehen wird nicht wirksam gegen Terrorismus vorgegangen, sondern damit wird immer neuer Hass gesät und Terrorismus geschürt und gefördert. Sogar General Stanley Mc Chrystal, der Kommandeur der ISAF-Truppen, hat auf diese Gewaltspirale hingewiesen: Töte man zwei von zehn Aufständischen, sehe man sich danach nicht acht sondern häufig 20 Rebellen gegenüber, da sich Brüder, Väter, Verwandte und Freunde dem Widerstand anschlössen.

Statt immer mehr Soldaten und mehr Krieg, wollen wir den Krieg in Afghanistan beenden in verantwortbarer Weise. Daher müssen die offensiven Bomben- und Raketenangriffe aus Flugzeugen und Drohnen gestoppt werden, da sie fast immer auch unschuldige Zivilisten treffen. Wir wollen nicht immer mehr militärische Gewalt sondern einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen.

Waffenstillstandsverhandlungen, die in der Vergangenheit immer wieder schon für Teilregionen zuweilen durchaus erfolgreich geführt wurden, und die Entwicklung einer verantwortbaren Exit-Strategie sind die Alternativen. Verhandlungen darüber müssen aufgenommen werden bedingungslos mit allen in Afghanistan und in den Nachbarländern, die dazu bereit sind. Auch für den zivilen Aufbau des Landes ist ein Ende der Kampfhandlungen und des Krieges die wichtigsten Voraussetzungen. Unter Kriegsbedingungen kommt der Einsatz ziviler Aufbauhelfer in vielen Regionen immer mehr zum Erliegen. So gibt es Meldungen, dass auch im Verantwortungsbereich der Bundeswehr etwa in Kundus Angehörige von Hilfsorganisationen immer weniger die besonders gesicherten Quartiere verlassen und die Bevölkerung unterstützen können. Staatliche deutsche Entwicklungsorganisationen müssen immer wieder ihre Mitarbeiter zurückrufen und zeitweise die Arbeit einstellen.

Die Vermischung von zivilem und militärischem Engagement liefert den Aufständischen Vorwände, auch die Arbeit der EntwicklungshelferInnen als feindliche Aktivitäten zu denunzieren.

Wenn der Krieg beendet wird, kann zumindest ein Teil der Gelder, die heute ohne weiteres und anscheinend unbegrenzt für Militäroperationen zur Verfügung stehen, sinnvoll und wirksam für den Aufbau umgewidmet werden. Damit werden die Köpfe und Herzen der Menschen gewonnen, nicht durch ständiges Eskalieren des Krieges.