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04.07.2014

Tarifvertragssystem wird gestärkt

Am 3. Juli 2014 hat der Bundestag das Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie beschlossen. Den Dreiklang aus gesetzlichem Mindestlohn, Erleichterungen für mehr allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge nach dem Tarifvertragsgesetz und das Öffnen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes für alle Branchen unterstütze ich aus ganzem Herzen. Denn genau diese Diskussion und diesen Dreiklang habe ich mit einem Antrag bereits in der vergangenen Legislaturperiode im Bundestag angestoßen (siehe unten). Jetzt kommen endlich soziale Leitplanken für ein starkes Tarifvertragssystem. Ein längst fälliges Reformvorhaben wird umgesetzt. Kritik haben wir aber an der Ausgestaltung – insbesondere an den Sonderregelungen und Ausnahmen beim gesetzlichen Mindestlohn.

Würde kennt keine Ausnahmen

Die Bundesregierung hat sich den Lobbyisten gebeugt und Ausnahmen sowie Sonderregelungen beim gesetzlichen Mindestlohn geschaffen. Im verabschiedeten Gesetz werden nun Jugendliche, Langzeitarbeitslose und drei Monate lang auch PraktikantInnen vom Mindestlohn ausgenommen. Für Saisonarbeitskräfte gibt es Sonderregelungen und insbesondere für ZeitungsausträgerInnen sind in einer Übergangsphase weiterhin Löhne weit unter 8,50€ pro Stunde möglich. Das haben wir gebetsmühlenartig kritisiert und einen Mindestlohn ohne Ausnahmen gefordert. Fatale Verwerfungen drohen aus meiner Sicht durch die Ausnahme für Langzeitarbeitslose. Künftig können Menschen, die langzeiterwerbslos sind, für ein halbes Jahr weiterhin mit weniger als den Mindestlohn von 8,50 Euro angestellt werden. Mehr noch – die Arbeitgebenden können bei Langzeitarbeitslosen die Löhne weiterhin bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit unterschreiten. Das ist stigmatisierend und so werden Langzeitarbeitslose wie Beschäftigte 2. Klasse behandelt. Zudem führt diese Ausnahme zu Anreizen, einen zuvor Erwerbslosen nach sechs Monaten wieder zu entlassen, um jemand neues für wenig Geld zu beschäftigen. Damit drohen für Langzeiterwerbslose eindeutig Drehtüreffekte. So werden die Chancen für einen dauerhaften Wiedereinstieg in den ersten Arbeitsmarkt noch geringer, denn diese Ausnahme fördert lediglich kurzfristige und instabile Beschäftigung. Die Langzeitarbeitslosen sind die großen VerliererInnen beim Deal zwischen CDU/CSU und SPD um den gesetzlichen Mindestlohn.

Ausnahmen schwächen das Tarifsystem

Die Ausnahmen sind aber auch aus einer anderen Perspektive überhaupt nicht nachzuvollziehen, denn es entstehen völlig widersinnige Effekte. Sie untergraben den gesetzlichen Mindestlohn und höhlen Tarifverträge aus. Nur Betriebe, die keinen Tarifvertrag anwenden, können die Ausnahmen in Anspruch nehmen. Und die Sonderregelungen für die Zeitungsverleger entlastet gerade eine Branche, die definitiv Tarifverhandlungen ablehnt. Das schwächt das Tarifsystem anstatt es zu stärken. Auf diese Weise konterkariert die Bundesregierung das eigentliche Ziel des Tarifautonomiestärkungsgesetzes.

Verbesserungen im Tarifvertragsgesetz und Arbeitnehmer-Entsendegesetz

Trotz Schwächen geht der Dreiklang im Tarifautonomiestärkungsgesetz in die richtige Richtung und genau diesen Dreiklang habe ich bereits in der letzten Wahlperiode gefordert. Durch die Erleichterungen im Tarifvertragsgesetz können zukünftig wieder mehr Tarifverträge allgemeinverbindlich erklärt werden und für alle Beschäftigten einer Branche gelten, denn endlich fällt die bisher immer weniger erreichbare 50%-Hürde. Das ist wichtig, denn nur durch Tarifverträge kommen mehr Beschäftigte in den Genuss von höheren Löhnen. Für die Betriebe hingegen werden sich Tarifflucht, Mitgliedschaften ohne Tarifbindung und Auslagerung an Betriebe ohne Tarifbindung immer weniger lohnen. Eine wichtige Bedeutung hat darüber hinaus die Öffnung des Arbeitnehmer- Entsendegesetzes. Die Branchenmindestlöhne sind unverzichtbar, weil sie tariflich vereinbarte Mindestarbeitsbedingungen in schwierigen Branchen absichern und weil sie anders wie die Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) nach dem Tarifvertragsgesetz staatlich kontrolliert werden und mit Sanktionen unterlegt sind. Im Zusammenspiel mit dem gesetzlichen Mindestlohn werden sie das weitere Ausfransen der Löhne nach unten stoppen. Insgesamt wird das Zusammenspiel von AVEs und Mindestlöhnen das Tarifvertragssystem stabilisieren und vielfältige positive Effekte bewirken. Eine höhere Tarifbindung verbreitet Tarifnormen und wird die Verteilungskonflikte auf Betriebsebene reduzieren. Die Löhne werden insgesamt ansteigen, denn die Unternehmen haben ein Interesse an den bisherigen Lohnunterschieden, um qualifizierte Beschäftigten zu halten. Für tariftreue Betriebe bedeuten Mindestlöhne und allgemeinverbindlich erklärte Tariflöhne einen verlässlichen Wettbewerbsrahmen und Schutz vor Dumpingkonkurrenz.

Blockaden im Tarifausschuss weiter möglich

Die Erleichterungen insbesondere im Tarifvertragsgesetz sind notwendig. Nur so können mehr Branchen beantragen, dass ihre Tarifverträge für alle Beschäftigten gelten, und damit verhindern, dass die Schmutzkonkurrenz in den eigenen Reihen immer größer wird. Überhaupt nicht nachvollziehbar ist aber, dass das Abstimmungsverfahren im Tarifausschuss nicht verändert wurde. Es können zwar leichter Anträge auf Allgemeinverbindlicherklärung gestellt werden, im Tarifausschuss können diese Anträge aber weiterhin von den Spitzenverbänden der Tarifpartner blockiert werden. Deshalb haben wir im Ausschuss mit einem Änderungsantrag gefordert, dass der Tarifausschuss um die jeweilig zuständigen Branchentarifpartner erweitert wird. Der Antrag wurde abgelehnt. In Zukunft sind also Blockaden weiter möglich. Das macht keinen Sinn. Das ist nicht schlüssig und auch nicht konsequent. Und es entspricht auch nicht der Intention des Tarifautonomiestärkungsgesetzes.

Notwendig sind effektive Kontrollen

Der gesetzliche Mindestlohn und die branchenspezifische Mindestlöhne müssen auch tatsächlich durchgesetzt werden. Die möglichen Ausweichmanöver sind bekannt: Scheinwerkverträge, Scheinselbstständigkeit, fingierte Stundenabrechnungen. Hier sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Notwendig sind also effektive Kontrollen. Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit hat aber schon heute zu wenig Personal und deshalb fordert die Zollgewerkschaft 2.000 bis 2.500 neue Stellen. Jetzt verspricht Bundesarbeitsministerin Nahles 1.600 zusätzliche Stellen. Sie suggeriert, dass der Personalnotstand der Finanzkontrolle Schwarzarbeit schnell behoben werden kann. Damit täuscht sie die Öffentlichkeit. Der Grund dafür ist, dass die Bundesregierung die Weichen dafür zu spät gestellt hat. Im Haushalt 2014 wurde keine einzige neue Stelle bewilligt. Und jetzt müssen erst einmal die Ausbildungskapazitäten stark erhöht werden, denn das Kontrollpersonal muss in einer zwei bis dreijährigen Ausbildungszeit auf die Kontrollaufgaben vorbereitet werden. Das führt dazu, dass frühestens ab 2017 mehr Personal bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit zur Verfügung steht. Weil der Mindestlohn aber schon ab 2015 kommt, droht jetzt die Gefahr, dass die Kontrollen von branchenspezifischen Mindestlöhnen ab 2015 zugunsten des gesetzlichen Mindestlohns vernachlässigt werden. Und das wäre katastrophal.

Dennoch – es war ein guter Tag

Trotz aller Kritik war der Beschluss des Tarifautonomiestärkungsgesetzes im Bundestag für mich ein besonderer Moment, denn seit vielen Jahren kämpfe ich für einen gesetzlichen Mindestlohn. Auch mit den Ausnahmen wird der Mindestlohn für viele Menschen Verbesserungen bringen. Jetzt ist es unsere Aufgabe, parlamentarischen Druck zu machen, um den Mindestlohn zu verbessern. Wichtig sind auch die Änderungen im Tarifvertragsgesetz und im Arbeitnehmer-Entsendegesetz zur Stärkung des Tarifvertragssystems. Deshalb haben wir – trotz Kritik – zugestimmt. Wir bleiben aber dran!

Rede: Tarifautonomiestärkungsgesetz (03.07.2014)

Entschließungsantrag Tarifautonomiestärkungsgesetz

 

Bereits am 30.06.2011 habe ich einen ähnlichen Antrag in den Bundestag eingebracht, der ebenfalls einen Dreiklang zur Stärkung des Tarifvertragssystems fordert:

Antrag: Tarifvertragssystem stärken

Die Tarifbindung der Betriebe und Unternehmen ist kontinuierlich gesunken – nur noch 62 Prozent der Beschäftigten sind von tariflichen Vereinbarungen geschützt. Auch die Zahl der allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge, die damit für alle Betriebe einer Branche gelten, liegt aktuell gerade noch bei 1,5 Prozent. Damit hat dieses Instrument für mehr Tarifbindung praktisch keine Relevanz mehr. Deutschland befindet sich im EU-Vergleich auf dem gleichen Stand wie die osteuropäischen Staaten. Die schwarz-gelbe Regierung sieht dieser Entwicklung tatenlos zu. Wir wollen das Tarifvertragssystem stützen und stärken, damit die Tarifautonomie wieder ihren Namen verdient.

Mit Worten, aber ohne Konsequenzen, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel vor dem DGB-Bundeskongress kritisiert, dass die weißen Flecken des Tarifvertragssystems auf der Landkarte der Bundesrepublik immer größer werden. Ich nehme aber die Tarifautonomie ernst und deshalb habe ich meinen Antrag zur Stärkung des Tarifvertragssystems in den Bundestag eingebracht. Wir wollen das Arbeitnehmer-Entsendegesetz für alle Branchen öffnen, denn wir brauchen mehr branchenspezifische Mindestlöhne. Ganz im Sinne der Tarifautonomie sollen die Tarifpartner selbst entscheiden, ob branchenspezifische Mindestlöhne notwendig sind oder nicht. Mit einer Reform des Tarifvertragsgesetzes sollen Tarifverträge einfacher und leichter allgemeinverbindlich erklärt werden. Dies hätte positive Auswirkungen auf die Löhne und Arbeitsbedingungen, aber auch für die Wettbewerbsfähigkeit von tariftreuen Betrieben. Konkret soll die Vetomacht von BDA reduziert werden, indem der sogenannte Tarifausschuss um die repräsentativsten Tarifparteien der betroffenen Branchen temporär erweitert wird. Zudem wollen wir die Schwelle der geforderten Tarifbindung absenken und damit die Realität in der Tariflandschaft abbilden.

 

1. Rede (30.06.2011)

2. Rede (Protokoll) (19.01.2011)

3. Rede (25.04.2013)

Antrag: Tarifvertragssystem stärken