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01.05.2013

1. Mai-Rede in Hamburg Harburg

1. Mai-Rede in Hamburg Harburg

Ich war zum ersten Mal als Rednerin für eine 1. Mai-Kundgebung eingeladen und zwar in Hamburg Harburg. Das war schon etwas Besonderes für mich – zumal nach mir Dr. Heiner Geißler gesprochen hat. Rund 500 Menschen sind beim Zug durch Harburg mitgelaufen und die Kundgebung war dementsprechend gut besucht. Deshalb konnte ich dieses Jahr nicht in Reutlingen sein.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich freue mich, dass ich heute hier bei euch in Harburg sein darf und als Sprecherin für Arbeitnehmerrechte der grünen Bundestagsfraktion, als Sprecherin von GewerkschaftsGrün und als ver.di-Mitglied. reden darf und bedanke mich ganz herzlich für die Einladung.

Es sind die Beschäftigten, die den Wohlstand dieses Landes erarbeiten. Damit beginnt der Aufruf zum 1. Mai wir wissen das – für uns ist das eine Selbstverständlichkeit. Notwendig wäre Wertschätzung und Anerkennung für die Beschäftigten.

Die Realität in Deutschland sieht aber anders aus. In unserer Gesellschaft geht es nicht mehr gerecht zu. Mehr noch – in Teilen der Wirtschaft geht der Anstand verloren. Wir brauchen starke Gewerkschaften und einen Politikwechsel – für ein solidarisches Miteinander und es ist Zeit für eine neue Ordnung – für soziale Leitplanken – auf dem Arbeitsmarkt. Gleichzeitig müssen die Löhne wieder entsprechend der Produktivitätsentwicklung steigen – macht also bei den anstehenden Tarifverhandlungen kräftig Druck!

Die Reichen werden immer reicher, und die Armen immer ärmer. Viel zu viele Menschen können heute von ihrer Arbeit gar nicht – oder kaum noch leben. 50 % in unserer Gesellschaft teilen sich gerade einmal 1% des Vermögens und 10% besitzen mehr als die Hälfte. 10 Billionen Euro liegen da auf Bankkonten und in Fonds und Aktienpaketen. Gleichzeitig haben Bund, Länder und Kommunen enorme Schulden. Diese Entwicklung – diese gesellschaftliche Spaltung – ist nicht akzeptabel.

Schwarz-Gelb aber interessiert das wenig. Frau Merkel hält nichts von einer Vermögensabgabe. Und ihr Koalitionspartner, der Brüderle von der FDP, sagt ganz ungeniert: „Wir von der FDP sind die Partei des Wohlstands und des Privateigentums!“ Debatten zur Ungleichheit in Deutschland werden als Neiddiskussion bezeichnet. Nein – hier geht es nicht um Neid – sondern um soziale Gerechtigkeit!

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Vermögen und hohe Einkommen müssen gerecht besteuert werden, zur Stärkung des Sozialstaats und zum Abbau von Armut, für gute Kitas und Schulen, für gute Arbeitsbedingungen in Krankenhäuser und in der Pflege, und gutes Personal muss auch gerecht entlohnt werden.

Der Spitzensteuersatz und auch der Grundfreibetrag bei der Einkommenssteuer müssen erhöht werden, damit werden rund 5% der Reichen belastet, aber 90% entlastet. Die von CDU und SPD eingeführte Abgeltungssteuer muss abgeschafft werden. Kapitalerträge sollen wieder wie Löhne besteuert werden. Alles andere ist nicht gerecht. Vor allem brauchen wir eine Vermögensabgabe.

Das alles haben wir jetzt am Wochenende beschlossen. Frank Schäffler von der FDP twitterte nach unserem Parteitag „Grüne beginnen mit Ankündigung zum Diebstahl den Wahlkampf“ – und meinte damit die beschlossene Vermögensabgabe. Das ist unglaublich. Eine Vermögensabgabe ist kein Diebstahl – im Gegenteil: Starke Schultern können und müssen mehr tragen als schwache. Das ist sozialer Ausgleich und das ist notwendig, denn soziale Gerechtigkeit ist der Kitt, der unsere Gesellschaft zusammen hält.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

es muss wieder gerecht zugehen in unserer Gesellschaft! Und das gilt auch für die Arbeitswelt! Niedrige Löhne, Minijobs, Leiharbeit, Werkverträge, Scheinselbstständigkeit und jeder zweite neue Job hat ein Verfallsdatum. Gerade junge Menschen hangeln sich so von einer Befristung zur nächsten. Wertschätzung und Anerkennung sehen anders aus! Gute Arbeit sieht anders aus!

In der Regierungszeit von rot-grün sind Fehler gemacht worden! Und die große Koalition und schwarz-gelb haben noch draufgesattelt. Wir Grünen sehen den Handlungsbedarf. Wir sind auch nicht stolz auf diese Reformen. Im Gegenteil – wir stehen in der Verantwortung. Fehlentwicklungen können und müssen korrigiert werden, denn sozial ist nicht was Arbeit schafft – sozial ist nur, was gute Arbeit schafft.

Unsere Arbeitswelt ist inzwischen tief gespalten. Wenn der Stundenlohn in manchen Branchen unterhalb des Existenzminimums liegt, wenn Leiharbeitskräfte deutlich weniger verdienen als ihre festangestellten Kolleginnen und Kollegen, dann spiegelt der Lohnzettel alles Mögliche wider, aber sicher nicht den eigentlichen Wert der geleisteten Arbeit.

Wenn Menschen immer und immer wieder nur befristete Jobs bekommen oder sogar auf Abruf arbeiten müssen, dann wird jegliche Lebensplanung unmöglich gemacht. Und wenn mehr als die Hälfte der Aufstocker, Vollzeit arbeitet und trotzdem nicht ohne Alg II über die Runden kommt, dann läuft etwas gewaltig schief in unserer Arbeitswelt. Damit muss endlich Schluss sein!

Damit nicht genug – dieser Trend hat nicht nur Folgen für die Beschäftigten sondern für die Arbeitswelt insgesamt. Wenn Stammpersonal immer mehr durch Leiharbeitskräfte oder externe Werkvertrags-Beschäftigte verdrängt werden, dann zersplittern die Belegschaften. Innerbetriebliche Solidarität wird zerstört. Vor allem werden so Mitbestimmung, Kündigungsschutz, tarifliche Löhne und der soziale Schutz der Beschäftigten umgangen. Damit stehen hart erkämpfte gewerkschaftliche Errungenschaften nur noch auf dem Papier. Das schwächt nicht nur die Beschäftigen, sondern auch die Gewerkschaften und Betriebsräte. Vor allem wird damit der jahrzehntealte gesellschaftliche Konsens der Sozialpartnerschaft aufgekündigt. Und das ist nicht akzeptabel.

Die Politik muss handeln. Wir brauchen wieder soziale Leitplanken auf dem Arbeitsmarkt. Arbeit muss wieder fair entlohnt werden und die Beschäftigten brauchen Schutz und Sicherheit. Notwendig sind Mindestlöhne und Maßnahmen, die das Tarifvertragssystem stärken und Tarifflucht bekämpfen.

Viele kleine Mindestlöhnchen, wie die CDU sie gerne hätte. – Das geht gar nicht! Ein echter gesetzlicher Mindestlohn muss her und er muss flächendeckend für alle Beschäftigten gelten. Alles andere ist Etikettenschwindel!

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

das reicht aber nicht aus, denn die Arbeitgeber verabschieden sich immer häufiger von ihrer gesellschaftlichen Verantwortung. Viele wechseln in Mitgliedschaften – ohne Tarifbindung. Edeka und Rewe gliedern Filialen aus – an selbstständige Kaufleute. Gleichzeitig gibt es immer mehr zweifelhafte Werkvertragskonstruktionen. In der Folge funktioniert das wichtige Instrument der Allgemeinverbindlicherklärung nicht mehr – weil die Tarifbindung zu niedrig ist.

Notwendig sind also auch mehr branchenspezifische Mindestlöhne, und deshalb wollen wir das Arbeitnehmer-Entsendegesetz für alle Branchen öffnen. Gleichzeitig müssen die Voraussetzungen für allgemein verbindlich erklärte Tarifverträge erleichtert werden. Das Tarifvertragssystem muss politisch gestützt werden, Tarifflucht darf sich nicht mehr lohnen!

Die sachgrundlose Befristung muss abgeschafft werden, denn die Beschäftigten brauchen Sicherheit für Lebens- und Familienplanung. Ebenso sind in der Leiharbeit die Branchenzuschläge und die Lohnuntergrenze zu wenig. Notwendig ist „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ ab dem 1. Tag und zwar mit einem Flexibilitätsbonus. Gleichzeitig müssen wir den Schein-Werkverträgen den Kampf ansagen. Denn Lohndumping ist kein Kavaliersdelikt!

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ein besonderes Anliegen sind mir die Frauen auf dem Arbeitsmarkt, denn sie sind immer noch benachteiligt. Frauen verdienen noch immer rund 22% weniger als ihre männlichen Kollegen. Das ist und bleibt ein Skandal. Pünktlich zum Equal Pay Day verbreitet die Familienministerin die üblichen Mitleidsbekundungen und schaltet dann für den Rest des Jahres in den Ruhemodus. Wo bleibt ein Entgeltgleichheitsgesetz, damit Entgeltdiskriminierung endlich verhindert wird? Denn „gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit“ muss endlich durchgesetzt werden. Und wo bleibt der Mindestlohn, damit die vielen Frauen in Minijobs endlich geschützt werden? Es muss endlich Schluss sein, dass es Arbeit von Frauen zum Schnäppchenpreis gibt – denn Frauen verdienen mehr!

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

wir brauchen keine Minijobs, wir brauchen sozialversicherungspflichtige Arbeit! Denn Minijobs bedeuten immer auch Mini-Renten und in der Folge Altersarmut! Die Rentenbiografien werden heute geschrieben. Notwendig sind also möglichst durchgängige Erwerbsbiografien und insbesondere faire Löhne. Nur so können die Beschäftigten Existenz sicherende Renten aufbauen und nur so wird das Rentenniveau für alle stabilisiert.

Wer Altersarmut verhindern will, der muss aber auch dafür sorgen, dass die Beschäftigten gesund bis zur Rente arbeiten können. Die Realität sieht aber anders aus. In den vergangenen Jahren hat die Arbeitsverdichtung enorm zugenommen. Gleichzeitig wurden flexible Arbeitszeiten zur Normalität.

Schicht- und Nachtarbeit und Arbeit am Wochenende nehmen zu. Das führt zu psychischen Belastungen in der Arbeitswelt. Und psychische Erkrankungen sind inzwischen der Hauptgrund für Frühverrentungen. Das darf nicht sein. Arbeit darf nicht krank machen. Deshalb brauchen wir Gefährdungsbeurteilungen, die auch verbindlich durchgeführt werden – und zwar von jedem Betrieb. Und es ist Zeit für eine Anti-Stress-Verordnung – zum Schutz der Beschäftigten. Auch Ministerin von der Leyen hatte dem Stress am Arbeitsplatz den Kampf angesagt. Doch die Arbeitgeber sind gegen eine Anti-Stress-Verordnung. Kaum hatte der Kampf von Frau von der Leyen begonnen, war er auch schon wieder zu Ende. Wir nennen das immer folgenlose Ankündigungspolitik.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

die Beschäftigten haben das Recht auf eine auskömmliche Rente. Die Rente bleibt also ein Dauerthema und ich hoffe auf lautstarke Gewerkschaften. Notwendig ist eine hohe Beschäftigungsquote von Älteren und gute Arbeit. Ein solidarisches Rentensystem darf auch nicht alle Menschen unterschiedslos gleich behandeln. Wir brauchen flexible Übergänge in die Rente und vor allem eine abschlagsfreie Erwerbsminderungsrente. Notwendig ist auch ein Systemwechsel hin zu einer Bürgerversicherung, denn das Renteneintrittsalter wird das Rentenproblem nicht lösen. Vor allem darf das Vertrauen in unser Rentensystem nicht zerstört werden. Deshalb brauchen wir eine Garantierente – zum Schutz vor Altersarmut und für ein würdevolles Leben im Alter.

Bei all diesen Themen ist unter Schwarz-Gelb aber nichts passiert. Die Merkel-Koalition hat das Renten-Thema trotz großer Versprechungen im Wahlkampf zunächst jahrelang ignoriert. Dann legte Ministerin von der Leyen ihren Entwurf zur sogenannten „Lebensleistungsrente“ vor – ein Entwurf mit groß klingendem Namen. Aber selbst diese zusätzliche Mini-Rente von 10 Euro pro Monat war der FDP und vielen Unionskollegen zu viel. Die Presse schrieb zu Recht: Das war ein angetäuschtes Gesetzgebungsverfahren und Politik im luftleeren Raum.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Deutschland braucht insbesondere zukunftsfähige Arbeitsplätze. Aber auch hier versagt diese Bundesregierung kläglich. Zwei Minister streiten über die Energiepolitik und verstolpern damit ein Zukunftsprojekt für den Industrie- und Dienstleistungsstandort Deutschland. Die Energiewende könnte viele Arbeitsplätze schaffen und sichern und die Energiewende könnte als „Made in Germany“ zum Exportschlager werden. Schwarz-Gelb aber ist sich dieser Chance und auch Verantwortung nicht bewusst. Sie streiten munter weiter!

Und das ist auch mein Stichwort für das Thema Europa. Deutschland hat viele Jahre lang von Europa profitiert und die deutsche Wirtschaft braucht Europa auch in der Zukunft. Vor allem stehen wir auch in der Verantwortung, denn unsere Außenhandelsüberschüsse sind die Defizite in den Krisenländern. Deutschland hat sich viele Jahre lang Wettbewerbsvorteile mit Hilfe von Lohnzurückhaltung verschafft. Heute fordert Merkel eine unsägliche Sparpolitik in den südeuropäischen Ländern – die schädliche Lohnentwicklung in Deutschland aber verschweigt sie. Damit muss Schluss sein.

Merkel hat den Ländern Südeuropas einen massiven Sozialabbau verordnet. und die Folgen sind fatal. Denn wenn ein Staat zum falschen Zeitpunkt kürzt, dann verlieren Firmen Aufträge und drosseln die Produktion, die Binnennachfrage bricht ein und in der Folge verschärft sich die Krise weiter. Wenn staatliche Transfers und Renten gekürzt werden, können die Menschen weniger Geld ausgeben – auch das verstärkt die wirtschaftliche Talfahrt. Verantwortungsvolle Politik sieht anders aus! Die katastrophalen Folgen dieser einseitigen Sparmaßnahmen sehen wir in Südeuropa. Die Armut steigt und in Griechenland und Spanien liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei über 50 Prozent. Nur Sparen ist der falsche Weg. Konsolidieren heißt immer auch investieren. Denn die Menschen brauchen Perspektiven.

Europa hat sich soziale Ziele gegeben. Und diese Grundwerte von Europa müssen auch – und gerade – in der Krise eingelöst werden. Dazu gehört der Schutz der Tarifautonomie. Wenn Tarifpartner nicht mehr frei verhandeln können, dann widerspricht das grundlegend der europäischen Sozialcharta. Massive Einsparungen bei Sozialausgaben, Renten, im Gesundheits- und Bildungsbereich werden den Zusammenhalt in den Ländern Europas weiter untergraben und gerade die Menschen treffen, die die Krise nicht verschuldet haben. Nur mit sozialer Sicherheit, mit Arbeitnehmerrechten und Solidarität werden wir einem sozialen Europa gerecht.

Wir brauchen einen Politikwechsel und wir brauchen starke Gewerkschaften! Denn für Deutschland und Europa gilt – jegliche Arbeit hat ihren Wert und gesellschaftlicher Zusammenhalt entsteht nur durch soziale Gerechtigkeit und Solidarität. In diesem Sinne wünsche ich euch für die anstehenden Tarifverhandlungen viel Erfolg und einen langen Atem.

Vielen Dank!