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08.11.2018

Rede zum Sozialen Arbeitsmarkt

Heute wurde das Teilhabechancengesetz im Bundestag verabschiedet. Einige Änderungen hat die Koalition zum Schluss noch vorgenommen – Stichwort Tariflohn. Das ist gut. Wir haben noch immer Kritik, beispielsweise an den Zugangsvoraussetzungen oder an Sanktionen. Zustimmen konnten wir dann letztlich doch nicht. Denn das Gesetz hat zudem ein Verfallsdatum. Spätestens 2025 ist Schluss. Das ist in keiner Weise akzeptabel. Denn ein Sozialer Arbeitsmarkt braucht Planungssicherheit, wenn er wirklich funktionieren soll.

Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Wenn Menschen lange arbeitslos sind, wenn sie das Gefühl haben, dass sie nicht gebraucht werden, wenn gesellschaftliche Teilhabe, soziale Kontakte und Wertschätzung fehlen, dann macht das etwas mit den Menschen. Deshalb brauchen wir einen Perspektivwechsel hin zu einer solidarischen Arbeitsmarktpolitik. Wir dürfen niemanden alleine lassen und auch niemanden aufgeben. Der soziale Arbeitsmarkt ist genau der richtige Weg.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Beim sozialen Arbeitsmarkt müssen aber Ziel und Weg zusammenpassen. Sonst scheitert nicht nur das Instrument, sondern auch die Idee. Deshalb waren die Änderungen – Stichwort „Tariflohn“ – dringend notwendig. Aber wir haben noch immer an manchen Stellen Kritik. Zentral bleibt die Frage: Wer profitiert eigentlich vom sozialen Arbeitsmarkt? Es gibt nun eine Härtefallregelung für Schwerbehinderte und Personen mit Kindern. Aber warum nur für diesen Personenkreis? Was ist beispielsweise mit einer Frau, die 54 Jahre alt und bereits fünf Jahre arbeitslos ist? Auch Ältere und Alleinstehende brauchen doch soziale Teilhabe.

Zur neuen Regelung, die sechs Jahre Leistungsbezug als Voraussetzung vorsieht: Wenn die Chancen auf Beschäftigung schon vor den sechs Jahren gering sind, dann bedeutet das lange Warten doch nichts anderes, als dass sich die Langzeitarbeitslosigkeit weiter verfestigt, mit all ihren Folgen. Das macht einfach keinen Sinn. Auch die sechs Jahre sind zu lang.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir kritisieren auch, dass der Lohnkostenzuschuss stark abgesenkt wird, und zwar auf 70 Prozent. Ich habe die Bundesregierung nach den Gründen dafür gefragt. Die Antwort lautet – ich zitiere -: Der Lohnkostenzuschuss ist aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung und Transparenz auf die im Gesetzentwurf genannten Prozentsätze festgesetzt. – Diese Begründung ist fatal. Wie kann man denn Lohnkostenzuschüsse verwaltungstechnisch einfach ausgestalten, wenn es um Chancen und Perspektiven von Menschen geht? Die Menschen sind unterschiedlich. Sie haben unterschiedliche Stärken und Schwächen. Der Zuschuss muss nicht zur Arbeitsverwaltung, sondern – individuell ausgestaltet – zu den Menschen passen. Nur so entstehen neue Chancen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deutliche Kritik haben wir auch beim Thema Zuweisung. Zwang darf es nicht geben. Das verletzt die Würde der Menschen. Auch langzeitarbeitslose Menschen müssen natürlich das Recht haben, sich selbstbestimmt und frei einen Arbeitsplatz auszusuchen. Das gilt im Übrigen auch für die andere Seite. Kein Arbeitgeber wird sich einfach einen Beschäftigten zuweisen lassen. Deshalb fordern wir eine doppelte Freiwilligkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Sehr geehrte Regierungsfraktionen, beim sozialen Arbeitsmarkt geht es um einen Paradigmenwechsel: statt Programme ein Regelinstrument, nicht kurzfristig, sondern fünf Jahre, keine Maßnahmen, sondern echte Beschäftigung. Wir hätten dem Gesetz trotz aller Kritik gerne zugestimmt; denn der soziale Arbeitsmarkt ist uns ein besonderes Anliegen. Aber dann kam der letzte Änderungsantrag, mit dem Sie das Instrument „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ gleich wieder zum 1. Januar 2025 außer Kraft setzen. Das ist für uns in keiner Weise akzeptabel.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für den sozialen Arbeitsmarkt müssen in der nächsten Zeit verlässliche Strukturen aufgebaut werden. Dazu braucht es Planungssicherheit. Aber statt Planungssicherheit gibt es jetzt wieder ein Verfallsdatum. Einem sozialen Arbeitsmarkt, der beendet wird, bevor er überhaupt begonnen hat, können wir nicht zustimmen.

(Kai Whittaker (CDU/CSU): Elf Jahre!)

Deshalb werden wir uns enthalten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)