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25.06.2018

Anhörung: Arbeitszeitgesetz

Die FDP will mit einem Gesetzentwurf längere tägliche Arbeitszeiten über 10 Stunden hinaus und verkürzte Ruhezeiten ohne Untergrenze per Tarifvertrag ermöglichen. Wir wollen das nicht. Wir fordern stattdessen mit einem Antrag mehr Zeitsouveränität für die Beschäftigten. Dazu gab es eine lebhafte Anhörung, in der nur drei von 10 Sachverständigen die FDP-Forderungen unterstützten. Als Sachverständigen hatte ich Prof. Dr. Jens Schubert eingeladen. Einige meiner Fragen und Auszüge aus den Antworten können hier nachgelesen werden: 

Antrag: Beschäftigten mehr Zeitsouveränität ermöglichen

Abgeordnete Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Meine Frage geht an Prof. Dr. Schubert. Wir haben wenig Zeit, von daher eine sehr umfassende Frage. Wie beurteilen Sie den Gesetzentwurf der FDP und welche Folgen hätten diese Änderungen auf den Arbeits- und Gesundheitsschutz? Vor allem würde mich noch interessieren, ob die Forderungen der FDP bezüglich der Ruhezeiten überhaupt mit der europäischen Arbeitszeitrichtlinie vereinbar wären?

Sachverständiger Prof. Dr. Schubert:

Ich habe mir den Gesetzesentwurf, der schmal und scheinbar elegant daherkommt, genau angesehen. Er überzeugt mich allerdings nicht, weder inhaltlich noch handwerklich. Ich habe zwei Bitten [das bezieht sich auf vorherige Ausführungen anderer Sachverständigen]. Zunächst bitte ich natürlich die geschätzten Kollegen, eine Richtlinie auch bis zum Schluss zu lesen. Da gibt es noch die Art. 17, 18 und 19. Da muss man dann vielleicht auch mal genau hinschauen. Und das Zweite, um das ich wirklich herzlich bitte ist: Wir wohnen hier, oder viele von uns wohnen in Berlin. Da fahren alle oder viele Fahrradfahrer über Rot. Schaffen wir deshalb die rote Ampel ab? Es erscheint mir etwas seltsam zu sein, dass Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz die Rechtfertigung dafür sind, dass wir nunmehr die Schutzstandards zum 8-Stunden-Tag runterfahren.

Meines Erachtens übersieht der Gesetzentwurf, dass die gesamte Struktur und das gesamte Design unseres Arbeitszeitrechts, das unionskonform auf die arbeitstägliche Arbeitszeit abgestellt ist. Wenn man eine Regelung hat, die nur für die Tarifvertragsparteien von der arbeitstäglichen zur wöchentlichen Arbeitszeit öffnet, aber sonst nichts regelt, dann will mir doch hier keiner erzählen, dass es nur um die Verteilung geht und nicht um eine Veränderung der Arbeitsmenge. Wir müssen nämlich darauf schauen, welche Arbeitsmenge in welcher Zeit? Die Arbeitsmenge mag in der Woche möglicherweise gleich bleiben, aber eine Verdichtung ist doch glasklar angelegt. Und wenn dann noch die Ausgleichszeiten nach hinten geschoben werden, dann hat das selbstverständlich einen Nachteil, nämlich den Gesundheitsaspekt für die Beschäftigten. Ich kann mich da anschließen an die Fachleute, die sich hier zur Arbeitsgesundheit, zum Arbeitsschutz geäußert haben. Das erscheint mir wenig stimmig zu sein. Unionsrechtlich problematisch ist die Veränderung deshalb, weil jedenfalls, obwohl es einen Wochenbezug in der Richtlinie gibt, gleichwohl der Ausgleichmechanismus mit angelegt sein muss und die Regelungen klar sein müssen. Sie dürfen nicht überschießend sein. Die Ausnahmen müssen eng ausgelegt werden, und das fehlt hier bei diesem schmalen kleinen Antrag deutlich. Was mich nicht emotional, aber arbeitsrechtlich ärgert ist, dass das deutsche Arbeitszeitrecht jetzt schon zahlreiche Möglichkeiten bietet, die über die Richtlinie hinausgehen. Die sollen aber weiter bestehen. Es ist also nicht so, dass wir uns anpassen an das Unionsrecht, aber die überschießenden Teile dann zurückführen wollen. Nein, die sollen natürlich schön weiter bestehen bleiben. Das erscheint mir eine Rosinenpickerei zu sein und deshalb nicht mit Akzeptanz gesegnet.

Zu der Ruhezeit: Die Ruhezeit – das meine ich – ist richtlinienwidrig. Was mich aber auch an dieser Stelle ärgert, ist, dass das unternehmerische Risiko erneut – und wir kennen das aus der Arbeit auf Abruf – auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer abgewälzt werden soll. Es wird zu Arbeitsverdichtungen führen. Und das führt zu großen Problemen. Hinzu kommt, dass auch Tarifvertragsparteien oder die Gewerkschaft dadurch unter Druck geraten. Gesundheitsschutz wird zur Verhandlungsmasse. Wir müssen uns den Gesundheitsschutz, den das Arbeitszeitgesetz bislang bietet, in den tariflichen Verhandlungen erkämpfen und erarbeiten. Umgekehrt ist es aber so, dass wir zum Beispiel in Krankenhäusern größte Bedenken haben müssen, wenn es zu solchen Arbeitsverdichtungen kommt. Das wäre für die Beschäftigten, aber auch für die Patienten, problematisch.

Abgeordnete Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Meine nächste Frage geht auch an Herrn Professor Dr. Schubert. Wir haben jetzt über den Gesetzentwurf der FDP geredet. Jetzt ist meine Frage: Wie beurteilen Sie denn unseren Grünen-Antrag, also dass wir den Beschäftigten mehr Zeitsouveränität ermöglichen wollen, indem sie mehr Einfluss nehmen können über den Umfang, Lage und Ort der Arbeitszeit und gleichzeitig Betriebsräte mehr Möglichkeiten erhalten, Betriebsvereinbarungen für mehr Zeitsouveränität abzuschließen?

Sachverständiger Prof. Dr. Schubert:

Dieser Antrag ist mir deutlich sympathischer, aus tiefster Überzeugung. Wir reden die ganze Zeit über Digitalisierung. Ich bitte doch das Hohe Haus, darüber nachzudenken, dass die Digitalisierungsrenditen ebenfalls gleichförmig verteilt werden. Bei dem FDP-Vorschlag ist es so, dass es keine Gleichheit der Verteilung dieser Renditen gibt. Beim Vorschlag der BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben wir einen breiteren Vorschlag. Er schaut, ohne das öffentliche Arbeitszeitrecht weg zu schieben danach, wie man Arbeit und Beruf miteinander verbinden kann. Er hat den Vorteil, dass er auf das Thema Digitalisierung nicht angewiesen ist. Sowohl das Thema Digitalisierung als auch allgemeine gesellschaftspolitische Fragen wie die Vereinbarkeit von Arbeit und Beruf können miteinander verwoben werden. Das ist die Verknüpfung von dem, was auch Kollege Kurth vorhin gesagt hat, Art. 2 des Gesundheitsschutzes des Grundgesetzes mit Art. 6, wie Familienschutz des Grundgesetzes. Das passt gut zusammen.
Das ist auch vom Bundesverfassungsgericht, was die Einschätzung des Gesetzgebers angeht, angelegt. Das darf der Gesetzgeber. Meines Erachtens passen deshalb die Teile zusammen, die unternehmerische Freiheit einerseits wird abgeglichen mit den würdigen Arbeitsbedingungen, so wie es in der Grundrechtecharta heißt und würde sich von der Logik anpassen in die Gesetzgebungssystematik, wie wir sie beim Teilzeitrecht, beim Pflegezeitrecht kennen. Es wird auch nicht grenzenlos gewährt, sondern wenn dringende betriebliche Gründe des Arbeitgebers vorliegen, dann kann der Anspruch abgewehrt werden. Das stärkt die Möglichkeiten für die Gewinnung von Fachkräften. Das wird auch den Wünschen der Beschäftigten gerecht. Im Tarifvertrag der Deutschen Post AG wurde gerade verhandelt, ob die Beschäftigten nicht Teile ihrer Entgelterhöhung in Freizeit umwandeln wollen. Wir haben eine Vielzahl von Beschäftigten, die solche Wünsche haben. Sie wollen sie aber eingehegt sehen im System des Tarifvertragsrechtes. Deshalb ist es vernünftig, das im tariflichen System zu haben. Was die Lage der Arbeitszeit angeht, da stehe ich auch immer für die kollektiv rechtlichen Wege. Es gibt aber leider auch Betriebe ohne Tarifbindung und es gibt Unternehmen, die keinen Betriebsrat haben. Hier muss ich arbeitsrechtliche Flankierungen auch für den Einzelarbeitnehmer, die einzelne Arbeitnehmerin schaffen. Da ist es nur, und das ist das Thema Digitalisierungsrendite, nur recht und billig, wenn auch darüber in der Balance zwischen unternehmerischer Freiheit und würdigen Arbeitsbedingungen ein Verhandlungsspielraum möglich wird.

Abgeordnete Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Wie ist es denn, wenn es Ausnahmen vom Arbeitszeitgesetz mit Tarifverträgen, also durch die Gewerkschaften, geben soll? Ist das wirklich gewinnbringend für alle Seiten? Ist es eigentlich Aufgabe der Gewerkschaften, noch mehr Flexibilität und Ausnahmen vom Arbeitszeitgesetz zu ermöglichen?

Sachverständiger Prof. Dr. Schubert:

Ein Tarifvertrag – und das in diesem Ausschuss erwähnen zu müssen, stimmt mich traurig – hat den Witz, eigentlich Mindeststandards zu setzen und im Verhältnis zum Gesetz darüber hinaus zu gehen. Er setzt Maßstäbe, die in einer Branche wichtig sind. Die Dignität des Tarifvertrages speist sich sicherlich nicht daraus allein, das Ziel zu haben, von Standards nach unten abzuweichen, also für die Beschäftigten schlechte Regularien vorzusehen. Die Abweichungen, die jetzt vorgesehen sind, die sind insofern ausgewogen, weil sie Branchenspezifika beinhalten und Gesundheitsstandards schon jetzt abfedern sowie Vorgaben enthalten. Bei § 7 Abs. 2a ist das schon sehr an der Grenze. Da gibt es nicht wenige, die sagen, das ist unionsrechtlich schon problematisch. Aber es steht nun einmal im Gesetz. Wenn wir jetzt aber solche generellen Öffnungen vorsehen – wie sie ja [von der FDP] angestrebt sind -, dass das die Tarifautonomie stärken soll, das sehe ich nicht und da fehlt mir auch jede Fantasie, das zu glauben.