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25.06.2018

Anhörung: Betriebsratswahlen und Schutz der Betriebsräte

Zu unserem Antrag „Betriebsratswahlen erleichtern – Aktive Beschäftigte besser schützen“ und zu einem Antrag der Linken gab es eine Anhörung im Bundestag. Als Sachverständigen hatte ich Dr. Behrens vom WSI in der Hans-Böckler-Stiftung eingeladen. Die Anhörung war gut und auch die Regierungsfraktionen haben durchaus interessiert zu einigen grünen Forderungen nachgefragt. Einige meiner Fragen und Antworten können hier nachgelesen werden:

Antrag: Betriebsratswahlen erleichtern – Aktive Beschäftigte besser schützen

Abgeordnete Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Meine Frage geht an Dr. Behrens. Es wurde vorhin schon über die aktiven Beschäftigten geredet, die sich auf den Weg machen, erstmalig eine Betriebsratswahl zu organisieren. Meine Frage ist, gibt es hier tatsächlich ein Problem? Was sagen die Zahlen und die Studien? Würde sich unser Vorschlag, dass diese Personen ihr Vorhaben ankündigen können und damit früher mehr Schutz bekommen, positiv auswirken?

Sachverständiger PD Dr. Behrens:

Ich glaube, wir müssen uns vor Augen führen, dass wir es in Deutschland zurzeit mit mindestens zwei unterschiedlichen Welten von Betriebsräten zu tun haben. Die eine Welt ist die, in der die Arbeit läuft und das Verhältnis halbwegs in Ordnung ist. Das ist die Welt der bestehenden, lange etablierten Betriebsräte. Dort finden wir auch relativ wenige Versuche von Arbeitgebern, Betriebsratswahlen zu behindern, etwas 1,7 Prozent. Wobei, das muss man auch hinzufügen, viele dieser wenigen Fälle sehr dramatische Verläufe aufzeigen. Das Hauptproblem, das durch unsere Studie sichtbar wurde, besteht in dem Bereich der Versuche, Betriebsräte neu zu gründen, also der erstmaligen Wahl. Wir haben auf Basis unserer Befragung rekonstruieren können, dass in immerhin, bei konservativster Schätzung, 16 Prozent der Versuche, neue Betriebsräte zu gründen, Arbeitgeber dies zu vereiteln versuchen, mit den unterschiedlichsten Maßnahmen: Einschüchterung, Kündigungen, teilweise durch Unterstützung arbeitgebernaher Kandidatinnen und Kandidaten. Das ist aus einem besonderen Grunde hochdramatisch, weil indem versucht wird, gerade auf Neugründungen von Betriebsräten zu zielen, die Reproduktionsfähigkeit der deutschen Betriebsrätelandschaft geschwächt wird. Überall, jeden Tag gehen aus unterschiedlichsten Gründen Betriebsräte verloren – Aufspaltung von Unternehmen, teilweise auch durch Insolvenz und viele andere Gründe. Deshalb sind wir darauf angewiesen, dass jedes Jahr diese Verluste zumindest kompensiert werden. Wenn dann die Neugründung von Betriebsräten nicht mehr bruchlos funktioniert und die Behinderungen der Arbeitgeber auch noch auf Belegschaften zielen, ausstrahlt und einschüchtern, die sich noch gar nicht aufgemacht haben, ihre Rechte zu nutzen, bekommen wir perspektivisch ein großes Problem mit den deutschen Betriebsräten. Das, was wir alle so schätzen, Kooperation im Betrieb, wird dann nicht mehr bruchlos gegeben sein.

Abgeordnete Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Auch diese Frage geht an Herrn Dr. Behrens. Bestätigen auch Sie, dass die Straftaten entsprechend §119 Betriebsverfassungsgesetz, also die Behinderung bzw. Verhinderung von Betriebsratswahlen nur sehr selten verfolgt werden? Ist es ein Problem, dass wir gesetzliche Regelungen haben, die anscheinend nicht durchgesetzt werden können? Braucht es auch hier neue Regelungen? Wir schlagen ja vor, dass diese Straftaten zukünftig kein Antragsdelikt sind, sondern ein relatives Antragsdelikt, damit auch die Staatsanwaltschaften selber ermitteln können, wenn sie es als notwendig erachten?

 Sachverständiger PD Dr. Behrens:

Ich halte diesen Ansatz, in diese Richtung zu denken, für sehr sinnvoll. Wir müssen uns vor Augen halten, dass wir es hier mit einer zweifachen Barriere zu tun haben. Wir wissen zunächst einmal aus Erhebungen des Justizministeriums in Nordrhein-Westfalen, die hier schon mehrfach zitiert wurden am heutigen Tage, dass wenn solche Tatbestände überhaupt in Form eines Strafantrages bei der Staatsanwaltschaft ankommen, zu nichts führt. Es ist eine Rechtsnorm, die im höchsten Maße ineffizient ist, weil sie nicht wirkungsvoll schützt. Wir konnten aber zusätzlich durch unsere Befragung noch ermitteln, dass nur ein geringer Anteil der Versuche der Behinderung von Betriebsratswahlen überhaupt bei den Staatsanwaltschaften ankommen – und zwar nach unseren eigenen Befragungsergebnissen magere 7 %. Wir interpretieren das nicht in der Art und Weise, dass die Welt in Ordnung ist. Dazu sind die Problemtatbestände durch unsere Befragung viel zu dramatisch. Offenkundig erwarten die Betriebsräte und die sie organisieren – die Gewerkschaften – nicht viel von diesem Instrument, weshalb sie von vornherein von diesem komplexen Weg, einen Strafantrag zu stellen, absehen. Von daher ist hier dringender Handlungsbedarf. 

Abgeordnete Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Noch mal eine Frage an Herrn Dr. Behrens. Ich möchte noch mal grundsätzlicher werden. Sie haben vorhin davon gesprochen, dass es bei der Mitbestimmung zwei Welten gibt. Jetzt gibt es hier wohl keinen Konsens, dass es diese zwei Welten gibt. Von daher möchte ich noch mal nachfragen, ob Sie die Zahl der Behinderungen von Betriebsratsarbeit und Verhinderung von Wahlen durchaus als relevant bezeichnen? Ich möchte noch weiter fragen, ob Sie davon ausgehen, dass wir mittlerweile sogar eine Art Union Busting hier in Deutschland haben mit allen dafür notwendigen Strukturen?  

Sachverständiger PD Dr. Behrens:

Ich würde gerne zwei Dinge dazu sagen. Das eine ist: Ja, ich glaube, dass wir mittlerweile eklatante Fälle haben, die auch bekannt und öffentlich werden, die hochdramatisch sind und die zum Beispiel im mehrfach angesprochenen Land Nordrhein-Westfalen dazu geführt haben, ein Projekt zu fördern, das „Fair im Betrieb“ heißt. Dort können sich die gekündigten, mittlerweile verelendeten Betriebsräte – weil es dort auch wirklich um Armut und Ausfall von Einkommen geht – hinwenden, um Unterstützung zu erhalten. Allein schon die Tatsache, dass das Land Nordrhein-Westfalen es für nötig findet, so ein Projekt mittlerweile auch über viele Jahre zu fördern, spricht schon Bände. Es hat sich offensichtlich Dramatisches geändert. Das sind die eklatanten Fälle. In ihrer Wirkung auf die Mitbestimmung in Deutschland sind aber die anderen – über die nichts in den Schlagzeilen der Zeitung zu finden ist – mindestens genau so dramatisch. Dabei geht es um diejenigen, wenn Menschen wegen Einschüchterung gar nicht erst versuchen, einen Betriebsrat zu wählen, weil sie enorme Widerstände auch für sich persönlich erwarten. Ich glaube, das ist ein Zustand, der nicht hinzunehmen ist.