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06.02.2012

Anhörung: Tarifvertragssystem stärken

Zu diesem Thema habe ich einen Antrag in den Bundestag eingebracht – er ist mir ein besonderes Anliegen. Jetzt wurde dazu eine Anhörung im Bundestag durchgeführt. Mit meiner Problemanalyse lag ich richtig, denn sogar Experten der Regierungsfraktionen (natürlich nicht BDA) haben Handlungsbedarf gesehen. Damit ist das Thema gesetzt – das tut gut.

Anfang der 90er Jahre arbeiteten noch mehr als 80 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland zu Tarifbedingungen. Heute sind Tarifverträge nur noch für circa 62 Prozent aller Beschäftigten verbindlich. Diese besorgniserregende Entwicklung wollen wir nicht hinnehmen. Hier muss die Politik regelnd eingreifen. Daher brauchen wir eine bewusste politische Stützung des Tarifsystems, um ein weiteres Abrutschen der Löhne und eine weitere Verschlechterung der Arbeitsbedingungen zu verhindern.

Wir wollen daher das Tarifvertragsgesetz und das Arbeitnehmer-Entsendegesetze reformieren. In Zukunft müssen mehr Tarifverträge und Mindestlöhne allgemeinverbindlich erklärt werden können, die dann für alle Beschäftigten einer Branche gelten. Auf diese Weise sollen Dumpinglöhne verhindert und Verhandlungen zwischen den Tarifpartnern gefördert werden.

Anhörung zu unseren Forderungen

Schon im vergangenen Jahr haben wir einen entsprechenden Antrag in den Bundestag eingebracht, mit dessen Hilfe das Tarifvertragssystem gestärkt werden soll. Sowohl die SPD als auch die Fraktion die Linke zogen nach und legten ebenfalls entsprechende Anträge vor. Am 6. Februar 2012 fand nun im Ausschuss für Arbeit und Soziales eine öffentliche Anhörung zu all diesen Anträgen statt. Nahezu alle Sachverständigen waren sich in der Anhörung einig und teilten unsere Analyse: Unser Tarifsystem befindet sich derzeit definitiv in einer Schieflage. Die Folge: Angemessene Löhne und gute Arbeitsbedingungen können nicht mehr in allen Branchen durch die Tarifparteien sicher gestellt werden. Die Mehrzahl der zur Anhörung geladenen Wissenschaftler sprach sich daher für gesetzliche Regelungen aus. Viele unserer Änderungsvorschläge stießen selbst bei Sachverständigen der schwarz-gelben Koalition auf Zustimmung.

Mindestlöhne nach dem Tarifvertragsgesetz

Um mehr allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge zu realisieren, müssen die im Tarifvertragsgesetz aufgestellten Hürden stark abgesenkt werden. Bisher musste jeder allgemeinverbindlich erklärte Tarifvertrag auf mindestens 50 Prozent der tarifgebundenen Beschäftigten einer Branche Anwendung finden. Wurde diese Tarifbindung nicht erreicht, durfte der Tarifvertrag nur in Ausnahmefällen vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) allgemeinverbindlich erklärt werden. Die Schwelle von 50 Prozent stellt eine zu hohe Hürde dar und verhindert allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge. Denn in vielen Branchen sind weniger als die Hälfte aller Unternehmen in einem Arbeitgeberverband organisiert und damit tariffähig. Deswegen wollen wir diese Schwelle auf 40 Prozent absenken. In der Konsequenz könnten dann trotz steigender Tarifflucht deutlich mehr Tarifpartner einen Antrag auf Allgemeinverbindlicherklärung ihres Tarifvertrags stellen. Diese Forderung fand bei einigen Experten Zustimmung. Manche gingen sogar weiter und forderten eine vollständige und ersatzlose Abschaffung der Schwelle.

Erweiterung des Tarifausschusses

Auch die Zusammensetzung des sogenannten Tarifausschusses, dem bisher eine wichtige Funktion bei der Allgemeinverbindlicherklärung zukommt, wollen wir verändern. So wollen wir Blockaden der Arbeitgeberseite verhindern. Anträge blieben bisher aufgrund der Veto-Macht der Arbeitgeberseite nicht selten im Verfahren stecken und wurden nicht verabschiedet. Um Pattsituationen zu vermeiden, die praktisch einer Blockade gleichkommen, schlagen wir eine Erweiterung des Tarifausschusses um die Antrag stellenden Tarifparteien vor. Dann würden die Branchenvertreter mitentscheiden, denn sie kennen die Branche am besten. Auch dieser Vorschlag wurde teilweise befürwortet.

Arbeitnehmer-Entsendegesetz reformieren

Das derzeit wichtigste Gesetz, nach dem Mindestlöhne geschaffen werden, ist das Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Auch hier besteht Reformbedarf. Bisher ist das Verfahren zu kompliziert gestaltet. Künftig sollen die Tarifpartner selber entscheiden können, ob ein Mindestlohn in ihrer Branche notwendig ist. Das Verfahren soll also unbürokratischer werden. Deshalb wollen wir das Arbeitnehmer-Entsendegesetz für alle Branchen öffnen und die bislang zwingende Befassung des Tarifausschusses abschaffen. Zudem soll der Entgeltbegriff des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes verändert werden. Mindestlöhne müssten dann nicht mehr nur für die vertraglich vereinbarte Stundenzahl, sondern für die tatsächlich geleisteten Stunden gezahlt werden. Dieses Ziel erachteten einige Wissenschaftler in ihren Stellungnahmen als sinnvoll. Allerdings ist derzeit noch umstritten, wie das Vorhaben europarechtskonform ausgestaltet werden kann. Dennoch sollten in- und ausländische Beschäftigte gleichgestellt werden, damit dieses Schlupfloch zum Unterlaufen von Mindestlöhnen endlich geschlossen wird.

Arbeitsgerichte sollen überprüfen

Einige der zur Anhörung geladenen Experten schlossen sich ebenfalls unserer Forderung an, dass allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge und Mindestlöhne nur noch von Arbeitsgerichten überprüft werden sollen. Derzeit kann sowohl vor Arbeits-, Sozial und Verwaltungsgerichten gegen Allgemeinverbindlicherklärungen geklagt werden. Besonders problematisch ist hier, dass die Gerichte in manchen Fällen zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Daran müsse dringend etwas geändert werden, empfahl Professor Franz Joseph Düwell, der bis Oktober vergangenen Jahres Vorsitzender Richter am Bundesarbeitsgericht war. Es bestünde ansonsten die Gefahr, dass wichtige gemeinschaftliche Einrichtungen der Tarifpartner wie Urlaubs, Ausbildungs- oder Rentenkassen keinen Bestand mehr hätten.

Bericht auf bundestag.de

Pressebericht Neues Deutschland