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30.01.2012

Fachgespräch zum Bildungs- und Teilhabepaket

Wir Grünen sehen das Bildungs- und Teilhabepaket sehr skeptisch, das von der Bundesregierung nach dem Bundesverfassungsurteil und nach zähem Ringen um den Hartz-IV-Regelsatz eingeführt worden ist. Für uns stellt sich die Frage, ob das Instrument bei einem vertretbaren bürokratischen Aufwand wirklich alle bedürftigen Kinder erreichen kann und ob Bildungschancen sowie gesellschaftliche Teilhabe tatsächlich erhöht werden. Deshalb habe ich ein Fachgespräch veranstaltet.

Gemeinsam mit den Grünen und Unabhängigen haben wir Vertreter_innen der Stadt- und Kreisverwaltung, des Jobcenters, der Sozialverbände und Betroffeneninitiativen, Schulleiter, Förderverein und Integrationsrat in den Mittleren Sitzungssaal des Reutlinger Rathauses geladen. Mit diesem Fachgespräch haben wir die Umsetzung vor Ort unter die Lupe genommen.

Nach der Veranstaltung und dem lebhaften Austausch von Zahlen, Erfahrungen und Argumenten ziehe ich für mich ein persönliches Fazit. Die Akteure vor Ort haben gute Arbeit geleistet und setzen die Vorgaben des Bundesgesetzes engagiert und mit messbarem Erfolg um. Dafür gab es auch viel berechtigtes Lob. Gleichzeitig wurden aber auch die Mängel deutlich – und ihre Ursachen liegen im Gesetz selber.

Die Sozialleistung ist für alle Beteiligten sehr verwaltungsaufwändig. Kinder mit Migrationshintergrund werden nur schwer erreicht und verschiedentlich wurde beim Fachgespräch kritisiert, dass die Gutschein- und Antragslösung stigmatisierend wirkt. So manche Familie löst den Anspruch aus Scham nicht ein.

Eine besondere Schwachstelle liegt bei der Lernförderung, die mir aber ein besonderes Anliegen ist, denn Bildung ist der Schlüssel für Chancen und Perspektiven. Entscheidend ist, dass hier der Gesetzgeber nicht klar genug formuliert hat. Vor allem aber kritisiere ich, dass Lernförderung nur möglich ist, wenn die Versetzung gefährdet ist – das ist zu spät und zu willkürlich. In der Praxis funktioniert die Lernförderung auch nur, wenn Schulen sehr engagiert sind und selbst aktiv werden.

Nachbesserungsbedarf gibt es auch bei den 10 Euro, die den bedürftigen Kindern pro Monat für Sport- und Musikvereine etc. zustehen. Die Teilhabegutscheine sind dann gut einlösbar, wenn die Vereine mitmachen, wenn es also aktive, motivierte, aufklärende Ehrenamtliche gibt – sonst nicht. Kritik wurde beim Fachgespräch vor allem daran geübt, dass die 10 Euro häufig nicht ausreichen und vor allem notwendige weitere Kosten außen vor bleiben. Wenn ein Kind in den Fußballverein möchte, dann helfen zwar die 10 Euro beim Mitgliedsbeitrag, aber die notwendigen Fußballschuhe werden nicht bezahlt. Was soll also die Unterstützung, wenn sie ins Leere läuft, weil die Eltern die Folgekosten nicht tragen können.

Insgesamt kritisiere ich, dass das Bildungs- und Teilhabepaket nur mit großem ehrenamtlichen Engagement funktioniert. Und es stellt sich die Frage, wie erhalten Kinder die Unterstützung, wenn dieses ehrenamtliche Engagement nicht vorhanden ist? Der Anspruch auf Bildung und Teilhabe gilt für alle bedürftigen Kinder und deshalb muss ein Gesetz dies unabhängig vom Engagement einzelner sicherstellen. Zum Glück haben wir in Reutlingen viele aktive Bürger_innen!

Eine weitere Schwachstelle hat das Fachgespräch auch deutlich gemacht. Für die Kinder von Asylbewerbenden und Geduldeden gibt es bislang noch keinen Anspruch auf die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets. Vor Ort zeigen sich Stadt und Kreis aber kompromissbereit – auf eigene Kosten. Diese Regelungslücke muss dringend geschlossen werde. Ich werde das Thema weiter im Auge behalten und die Erkenntnisse aus Reutlingen mit nach Berlin nehmen.

Bericht im Schwäbischen Tagblatt
Bericht im Reutlinger General-Anzeiger