Inhalt

30.04.2014

Fachgespräch: Arbeitsmarktpolitik der GroKo

14-04-29_Fg_Arbeitsmarktpolitik

Die aktive Arbeitsmarktpolitik – insbesondere für Langzeitarbeitslose – ist mir noch immer ein besonderes Anliegen. Deshalb habe ich zum 3. Mal alle Reutlinger Akteure zu einem Fachgespräch eingeladen. Nach der Instrumentenreform und den Kürzungen unter Schwarz-Gelb habe ich mir von der Großen Koalition echte Verbesserungen erhofft. Diese sind aber nicht in Sicht. Das hat sich auch beim Fachgespräch bestätigt. Die Beschäftigungsträger kämpfen noch immer um ihr Überleben und um die notwendigen Angebote für Langzeitarbeitslose. Und das kritisiere ich auch in meinem letzten Leserbrief aufs Schärfste.

An dieser Stelle verzichte ich auf eine eigene Zusammenfassung des Fachgesprächs, weil der Journalist Norbert Leister dazu einen wunderbaren Artikel für den GEA geschrieben hat.

Langzeitarbeitslosigkeit – Soziale Beschäftigungsträger und Arbeitsagentur zu Gast bei Beate Müller-Gemmeke

»Der Todeskampf geht weiter«

REUTLINGEN. »Wir stehen ständig mit dem Rücken zur Wand«, betonte Manfred König am gestrigen Dienstag beim Fachgespräch zum Thema Langzeitarbeitslosigkeit, zu dem die grüne Bundestagsabgeordnete Beate Müller-Gemmeke bereits zum dritten Mal geladen hatte. Dem sozialen Beschäftigungsträger Pro Labore geht es laut Geschäftsführer König finanziell immer schlechter – weil die Mittel in den zurückliegenden Jahren für die Beschäftigung von schwer vermittelbaren arbeitslosen Menschen um mehr als 40 Prozent gekürzt wurden.

Das bemängelte auch Bodo Quade von der Neuen Arbeit Zollern-Achalm: Von 150 Plätzen für sogenannte Arbeitsgelegenheiten (einstmals Ein-Euro-Jobs) im Jahr 2011 sind in der Einrichtung mit vier Standorten heute gerade mal noch 49 Plätze an zwei Standorten geblieben. Hinzu kam die Kündigung von 20 fest angestellten Betreuern. »Der Todeskampf der Beschäftigungsträger geht weiter«, so Quade. Was aber nicht nur für die Einrichtungen katastrophale Folgen nach sich ziehe, sondern auch und besonders für die Langzeitarbeitslosen. »Wenn es in der Bundespolitik kein Umdenken gibt, wird es für diese Zielgruppe keine Angebote mehr geben.«

»Es kommt immer weniger Geld bei uns an«
Das sieht auch Lisa Kappes-Sassano als Chefin der Caritas Fils-Neckar-Alb so: Im Kreis Esslingen hätten schon einige soziale Beschäftigungsträger aufgeben müssen. In Reutlingen ist die Struktur laut Müller-Gemmeke noch gut, aber Träger wie DaCapo, Pro Labore oder auch Ridaf und die Neue Arbeit spüren den Druck ebenfalls enorm. Sowohl das Reutlinger Jobcenter wie auch die Agentur für Arbeit müssten bei alledem die vorgegebenen Gesetze umsetzen. »Es kommt immer weniger Geld bei uns an, der Verwaltungskostenanteil wird dadurch nicht mehr abgedeckt«, sagte Willi Schreyeck, Geschäftsführer der Arbeitsagentur Reutlingen. Also muss von den Beträgen, die eigentlich für Maßnahmen für die Arbeitslosen gedacht wären, einiges in den Verwaltungstopf rübergeschoben werden. Weil ja sonst die Verwaltung nicht mehr funktioniert.

Dabei sei der Personalschlüssel in Reutlingen nicht, wie in einigen anderen Jobcentern, erhöht worden, sagte Roland Leypoldt, Geschäftsführer des Jobcenters. Aber: »Die Gelder reichen auch bei uns zur Finanzierung der Personalkosten nicht aus.« Müller-Gemmeke bezeichnete das als Mogelpackung der Bundesregierung. »Da tut man so, als ob mehr Geld kommt, die Jobcenter müssen aber einen Großteil in die Verwaltung stecken.« Eine erfreuliche Mitteilung hatte Leypoldt dennoch mitgebracht: Aus den Haushaltsresten des Bundes werden Gelder verteilt, die im vergangenen Jahr von den Jobcentern nicht abgerufen wurden. In Reutlingen sei das jedoch nicht passiert, »da lag die Ausschöpfungsquote mit 99,2 Prozent extrem hoch«, so Schreyeck.

»Die Jobcenter sind klar strukturell unterfinanziert«
Der warme Geldregen von einer halben Million Euro wird nun für 2014 ausgeschüttet, das Geld soll rein für Maßnahmen für die Arbeitslosen verwendet werden. Alles in Butter also? Keineswegs, meinte Beate Müller-Gemmeke. Was dann ab dem 1. Januar 2015 sei, stehe ja in den Sternen, die Mittel müssten noch in diesem Jahr ausgegeben werden. Jedoch will Roland Leypoldt das gerne in Zusammenarbeit mit den Sozialen Beschäftigungsträgern tun: Er forderte dazu auf, »drei- bis sechsmonatige Maßnahmen zu melden«, um die Gelder sinnvoll für die betroffenen Arbeitslosen einzusetzen.

Grundsätzlich sind »die Jobcenter aber klar strukturell unterfinanziert«, wie Andreas Bauer als Sozialdezernent des Landkreises betonte. Vor allem in der Bundespolitik müsse ein Umdenken vollzogen werden, forderte Müller-Gemmeke und mahnte einmal mehr einen stetig finanzierten sozialen Arbeitsmarkt an. Denn: Es müsse endlich erkannt werden, dass die rund 450 000 Langzeitarbeitslosen in ganz Deutschland keine homogene Masse sei, sondern ganz viele individuelle Menschen, denen mit unterschiedlichen Angeboten und Maßnahmen geholfen werden müsse.

»Wir brauchen andere Instrumente«, formulierte AWO-Geschäftsführerin Gisela Steinhilber. Und das sei schlussendlich auch eine Frage der Menschlichkeit, ergänzte Kappes-Sassano: »Der Blick müsste weg vom rein Monetären hin zur Partizipation der Menschen gelenkt werden.« Denn nur so könnten diejenigen, die länger als ein Jahr arbeitslos sind, auch wieder Stärken entwickeln. (GEA)

 

Pressebericht: Reutlinger General-Anzeiger

Leserbrief