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11.01.2014

Freizügigkeit - Integration statt Stimmungsmache

Ohne Not führt die CSU eine unsägliche Debatte über die Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien. Sie setzt auf billige Stimmungsmache mit Blick auf die anstehende Europawahl. Aber, wer – wie die CSU – die Faktenlage konsequent ignoriert, macht eine sachliche Diskussion nahezu unmöglich und schürt Vorurteile. Das geht zu Lasten der Menschen, die rechtmäßig einwandern und das verunsichert ebenso die Menschen, die hier leben. Vor allem widerspricht diese Diskussion der Idee eines sozialen Europas.

Die EU-Kommission hat beim Thema Freizügigkeit und beim Streit um Hartz-IV-Zahlungen für arbeitslose Zugewanderte vollkommen Recht. Denn die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist eine der vier Grundfreiheiten des Gemeinsamen Europäischen Marktes und ist sowohl sozial als auch wirtschaftlich von hoher Bedeutung – auch für Deutschland. Das kann die CSU nicht einfach ignorieren. Immerhin hat die EU vereinbart, dass sich alle Unionsbürger_innen in jedem Staat frei bewegen und aufhalten können und bei der Arbeitssuche und am Arbeitsplatz wie Einheimische behandelt werden sollen.

Die Kommission fordert auch nicht, dass Deutschland automatisch, sofort und ungeprüft an alle Zuwander_innen Sozialleistungen zahlen soll. Sie fordert vielmehr, dass im Einzelfall geprüft wird, ob eine Notlage vorliegt. Hartz-IV-Leistungen an EU-Ausländer_innen sollen lediglich nicht – wie bisher – generell abgelehnt werden. Das ist gerecht und unter EU-Rechtlern ist es schon lange unstrittig, dass die deutsche Sonderregelung nicht mit dem EU-Recht auf Gleichbehandlung vereinbar ist.

Es gibt auch bisher keine „Masseneinwanderung“ aus Bulgarien und Rumänien. Die meisten Zugewanderten kamen zuletzt aus den Euro-Krisenstaaten. Vor allem ist der Begriff „Armutszuwanderung“ vollkommen irreführend. Der überwiegende Teil der Bulgaren und Rumänen geht einer sozialversicherungspflichtigen Arbeit nach. Die Arbeitslosenquote liegt weit unter dem anderer Zuwanderergruppen. Und laut Bundesagentur für Arbeit gehen gerademal 0,6 Prozent der jährlichen Hartz-IV-Gesamtausgaben an arbeitslose Bulgaren und Rumänen. Viele arbeiten, müssen aber aufstockendes Arbeitslosengeld beantragen. Sie werden also häufig als billige Arbeitskräfte missbraucht. Diese Zahlen zeigen sehr deutlich, die CSU setzt ohne belastbare Grundlage auf Panikmache.

Richtig hingegen ist, dass derzeit mehr Geringqualifizierte aus Bulgarien und Rumänien in Deutschland leben. 2005 waren es 64% Qualifizierte, heute sind es nur noch 17%. Diese Entwicklung aber hat Deutschland selber zu verantworten, denn es wurde von der möglichen Übergangsregelung Gebrauch gemacht, dass für Bulgarien und Rumänien erst sieben Jahre später die volle Freizügigkeit gilt. Für Nischen – beispielsweise für Schlachthöfe oder für Saisonarbeit – wurden die Grenzen hingegen geöffnet. Deshalb kamen Geringqualifizierte nach Deutschland – die Gutqualifizierten aber sind in andere europäische Länder eingewandert. Damit hat Deutschland eine Chance verpasst, denn angesichts des demographischen Wandels sind Zuzüge von jungen Menschen nur zu begrüßen.

Aber natürlich gibt es bei der Einwanderung aus Rumänien und Bulgarien auch Probleme. Besonders betroffen davon sind einige deutsche Großstädte und hier vor allem solche Stadtteile, in denen sich soziale und ökonomische Probleme ohnehin konzentrieren. Diese Städte brauchen gezielt Unterstützung. Manche Städte sind so pleite, dass sie noch nicht einmal imstande sind, Mittel des Europäischen Sozialfonds für notwendige Integrationsmaßnahmen in Anspruch zu nehmen. Diese Kommunen sehen den Bund zu Recht in der Verantwortung, denn sie müssen bei der Bewältigung ihrer sozialen Aufgaben und Integrationsmaßnahmen unterstützt werden.

Vor allem aber benötigen die Zugewanderten Hilfe zur Selbsthilfe und Schutz vor Ausbeutung. Unionsbürger_innen, die ihr Grundrecht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit wahrnehmen, müssen in die Lage versetzt werden, eine Beschäftigung aufzunehmen. Dazu bedarf es Sprachförderung, eine bessere Anerkennung ausländischer Qualifikationen und die Förderung beruflicher Aus- und Weiterbildung.

Die Union darf nicht weiter Ängste schüren und Misstrauen säen, anstatt die Zuwanderung und Integration von EU-Bürger_innen konstruktiv zu gestalten.