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01.10.2013

Gedanken zur Bundestagswahl

Wir Grünen diskutieren gerade heftig und streiten auch. Personal tritt zurück. Viel wird spekuliert, wie es weiter gehen soll. Dieser Prozess wird noch einige Zeit dauern. Dennoch habe ich in der momentanen Diskussionslage meine Gedanken zur Bundestagswahl aufgeschrieben. Sie sind noch nicht abschließend und insbesondere eine Momentaufnahme.

8,4 Prozent – das ist wahrlich kein gutes Ergebnis. Wir hatten mit mehr gerechnet. Alle kleinen Parteien haben verloren – wir immerhin am wenigsten. Dennoch müssen wir jetzt die Ursachen für das schlechte Abschneiden intensiv und sachlich diskutieren. Es ist konsequent, dass Personen Verantwortung übernehmen und den Weg frei machen. Unnötig und schädlich sind aber Flügelkämpfe und insbesondere der einfache Vorschlag, dass wir uns künftig in der „Mitte“ der Gesellschaft verorten sollen. Das wäre unglaubwürdig, denn seit der Landtagswahl 2011 wissen wir, dass sich die „Mitte“ auf uns zubewegt hat – weil wir uns mit unserem Leitbild der Nachhaltigkeit nicht einfach zwischen die existierenden Parteien einsortieren, sondern für ein neues, ganzheitliches Politikkonzept stehen. Unser Programm wurde lange debattiert und einstimmig verabschiedet. Vor allem haben wir Grundwerte, die seit jeher unsere Politik bestimmen. Wir stehen für eine ökologische Politik , für soziale Gerechtigkeit und für eine nachhaltige Haushaltspolitik. Diese Grundwerte können, müssen und dürfen wir nach einem schlechten Ergebnis nicht einfach über Bord werfen. Dennoch müssen wir aus Fehlern lernen und die Weichen neu für die Zukunft stellen.

In den letzten vier Jahren haben wir beschlossen, ein absolut ehrliches Wahlprogramm vorzulegen. Alle unsere Forderungen wurden gerechnet und mit einer Finanzierung unterlegt. Im Gegensatz zur Union haben wir keine Wahlversprechen gemacht, die unter Finanzierungsvorbehalt stehen. Wir sind also mit einem Steuerkonzept – mehr noch mit einem Programm zur Haushaltskonsolidierung, das gleichermaßen Gestaltungsspielräume eröffnet – bei der Bundestagswahl angetreten. Das Programm war umfassend, vielschichtig und vor allem ehrlich. Diese Ehrlichkeit aber wurde nicht belohnt. Das lag am politischen Umfeld, aber ebenso an handwerklichen Fehlern auf unserer Seite.

Als Konzeptpartei hat uns der inhaltsleere Wahlkampf von CDU/CSU geschadet. Dafür wurden wir von starken Lobbyverbänden ernst genommen, obwohl wir schon im Wahlprogramm 2009 dieselben Forderungen hatten. Wir wurden mit heftigen Kampagnen hart angegangen und hatten dagegen keine Strategie. So entstand der falsche Eindruck, dass die gesamte Mittelschicht von unserem Steuerkonzept betroffen wäre – was definitiv nicht stimmt. Wir konnten nicht verdeutlichen, dass die große Mehrheit der Gesellschaft von unserem Programm profitiert.

Wir haben unterschätzt, wie schwer es ist, komplizierte Inhalte einfach und kurz zu vermitteln – selbst parteiintern. Unsere SpitzenkandidatInnen dozierten mit Steuer-Fachbegriffen und bei all dem Steuer-Latein blieben unsere tatsächlichen Ziele, Botschaften und Kernthemen auf der Strecke. Unsere Ziele in den Bereichen Bildung, Betreuung, Kinder, Arbeitsmarkt, Infrastruktur, Umwelt und Energiepolitik gingen unter und wurden von der Steuerdebatte überdeckt. Ein großer Fehler war also, dass wir mit aller Kraft aufzeigen wollten, dass unsere Ziele finanzierbar sind. Die Vielzahl von Stellschrauben, die dabei gedreht und genannt wurden, waren für unsere WählerInnen nicht transparent. Sie fühlten sich bedroht statt informiert. Zudem haben wir unsere Politik zu wenig emotionalisiert. Es fehlte die grüne Vision für eine ökologische und gerechte Gesellschaft – es fehlte die grüne Geschichte.

Wenige Wochen vor der Wahl geisterten wir dann noch als „Verbotspartei“ durch die Medien. Die BILD-Zeitung hatte ausfindig gemacht, dass wir einen Veggie-Day empfehlen. Die politische Konkurrenz und die Medien pushten das Thema. Die Menschen hatten den Eindruck, wir wollten alles mögliche verbieten und sie bevormunden. Und das kommt nie gut an, schon gar nicht bei den selbstbewussten und individualistischen WählerInnen, die unsere Grundwerte teilen. Ab diesem Moment sanken die Umfrageergebnisse. Die Pädophilie-Debatte gab uns schließlich den Rest. Sie zertrümmerte unsere moralischen Ansprüche. Gleichzeitig waren viele von uns völlig überfordert, weil sie die Debatten vor 30 Jahren gar nicht aktiv miterlebt hatten. Es standen Vorwürfe im Raum – abgetrennt von den damaligen gesellschaftlichen Diskussionen. Natürlich muss der Missbrauch von Kindern hart bestraft werden – es waren die Grünen mit den sozialen Bewegungen, die dafür das politische Bewusstsein schufen. Wir haben die ersten parlamentarischen Anfragen zum sexuellen Missbrauch eingebracht. Wir waren der Motor für eine zeitgemäße Kinderschutzgesetzgebung. Vieles, was zuerst wir gefordert haben – wie das Recht auf gewaltfreie Erziehung – ist inzwischen gesellschaftlicher Konsens. Gleichwohl ist es richtig und wichtig, dass die Grünen ihre eigene Geschichte aufarbeiten und sich von Fehlern und irrigen Diskussionen in der Vergangenheit distanzieren. In der heißen Phase kurz vor der Wahl war aber kein Raum für eine sachliche und nachdenkliche Diskussion. Damit war die Wahl endgültig verloren.

Nun gilt es, das Image als „Verbotspartei“ los zu werden. Wir dürfen und wollen die Menschen nicht bevormunden – wir wollen sie überzeugen. Vor allem müssen wir wieder unser positives , freiheitliches grünes Lebensgefühl in den Vordergrund stellen. Wir dürfen jetzt auch nicht unsere gesamte Programmatik verleugnen, denn schnelle einfache Antworten sind für uns Grüne der falsche Weg. Wir müssen vielmehr unsere Ziele verdeutlichen – wohl wissend, dass nicht alles auf einmal geht und dass wir die Gesellschaft mitnehmen müssen. Nur wenn wir mit unseren Zielen überzeugen, erhalten wir auch Vertrauen für unsere Politik und für die Wege, wie wir diese Politik umsetzen wollen. Mein Ziel ist eine Gesellschaft, die verantwortungsvoll mit den natürlichen Ressourcen umgeht und den Klimawandel ernst nimmt. Mein Ziel ist aber auch eine Gesellschaft, in der alle vom wachsenden Wohlstand profitieren und in der es eine ausgewogene soziale Balance gibt. Dafür stehe ich und dafür werde ich mich bei den anstehenden grünen Diskussionen in der Partei und in der grünen Bundestagsfraktion einsetzen.

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