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02.03.2010

Grünes Grundeinkommen

Wenn Politik mehr sein soll als Korrekturen und Anpassungen. Wenn Politik stattdessen gestalten will, dann brauchen wir Perspektiven, die die Richtung für die Zukunft vorgeben. Das „Grüne Grundeinkommen“ ist solch eine Perspektive, die wir heute vorbereiten müssen, damit sie morgen zur Politik werden kann.

„Wer nicht nach den Sternen greift, der ist auch nicht fähig zum nächsten praktischen Schritt.“ (Max Weber)

Mit diesem Verständnis habe ich mich aktiv in unsere grüne Diskussion zur sozialen Sicherung eingemischt, die wir ein Jahr lang in Baden-Württemberg und auch in der Bundespartei geführt haben. In Baden-Württemberg habe ich federführend, zusammen mit einer AutorInnengruppe, einen Antrag für ein Grünes Grundeinkommen auf der Grundlage des Modells von Thomas Poreski und Manuel Emmler erarbeitet. Obwohl die Parteispitze sich klar gegen unseren Antrag und für eine bedarfsgeprüfte Grundsicherung ausgesprochen hat, konnten wir mit unserem Antrag die Mehrzahl der Delegierten (60%) auf dem Landesparteitag 2007 überzeugen. Kurze Zeit später habe ich diesen baden-württembergischen Beschluss beim Bundesparteitag in Nürnberg eingebracht. Das Ergebnis war knapp. 42% der Delegierten haben sich für unser „Grünes Grundeinkommen“ ausgesprochen und 58% dagegen.

Dennoch hat unsere Idee nicht verloren. Das „Grüne Grundeinkommen“ wird weiter bei uns GRÜNEN diskutiert und zudem sind viele unserer Gedanken in den Beschluss einer „Grundsicherung“ eingeflossen. Dies war kurz die parteiinterne Geschichte, aber um was geht es eigentlich beim Thema Grundeinkommen?

Armut in Deutschland ist traurige Realität
Zwei Gründe sind maßgeblich dafür, dass wir GRÜNEN eine Debatte zur sozialen Sicherung geführt haben.

Erstens: Die derzeitige Ausgestaltung von Hartz IV ist nicht mit den grünen Vorstellungen einer Grundsicherung vereinbar. Das Arbeitslosengeld II liegt unter dem Existenzminimum, das Schonvermögen für die Altersvorsorge ist zu gering und zudem sind die Zuverdienstmöglichkeiten unattraktiv. Die Praxis von Hartz IV zeigt ein offensichtliches Ungleichgewicht zwischen Fördern und Fordern. Mit den Hartz-Reformen ist bei den Menschen das Gefühl sozialer Sicherheit nicht gewachsen, sondern ganz im Gegenteil stark gesunken. Das Arbeitslosengeld II wird mit sozialen Ängsten, Armut und Perspektivlosigkeit verbunden und zwar zu Recht.

Zweitens: Armut trifft aber nicht nur Erwerbslose. Der neueste Armuts- und Reichtumsbericht zeigt ganz deutlich, dass die Armutsentwicklung in Deutschland erschreckend ist. Die Armutsquote stieg zwischen 2000 und 2005 von 12% auf 18%. Besonders stark von Armut sind Kinder betroffen und ebenso Menschen mit Migrationshintergrund. Besorgnis erregend ist vor allem aber auch die von 6,5% auf 12% gestiegene Armutsquote von abhängig Beschäftigten. Damit sind fast 4 Millionen Menschen erwerbsfähig und dennoch arm. Armut breitet sich somit aus – die Mittelschicht in Deutschland schrumpft.

Armut entsteht aus dem Wandel in der Erwerbsarbeit
Wir stehen nicht am Ende der Erwerbsgesellschaft, sondern befinden uns mitten in einem Wandel. Uns geht die Arbeit sicherlich nicht aus, aber sie wird anders organisiert, anders verwaltet und anders definiert. Die Vorstellung eines ununterbrochenen Erwerbsverlaufs bis zum Renteneintritt gehört der Vergangenheit an. Entsprechend haben wir ein neues Bild von Arbeitslosigkeit und Unsicherheit für einen zunehmend größeren Bevölkerungsanteil. Prekäre Lebensverhältnisse und unstete Berufsbiografien halten auch in solchen Haushalten Einzug, in denen das bislang unmöglich schien. Die Gründe für Armut sind vielfältig.

Es gibt zu wenig Arbeit, und vorhandene Arbeit ist schlecht bezahlt – Menschen arbeiten 40 Std. und müssen dennoch aufstockend Arbeitslosengeld II beantragen. Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auf – Unsicherheit und Angst breiten sich weit bis in die Mitte unserer Gesellschaft aus. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach der Zukunftsfähigkeit unseres Sozialsystems und wie neue Lebensrisiken abgesichert werden können.

Die Lösung – ein „Grünes Grundeinkommen“
Die Erhöhung des bedarfsgeprüften Arbeitslosengelds II auf eine Existenz sichernde Höhe ist für mich nicht die Lösung. Ein solches Vorgehen würde nämlich bedeuten, dass die bisherige Bürokratie und der notwendige Kontrollapparat ansteigen und sich sogar explosionsartig erhöhen würden, da sich die Zahl der Bedürftigen erhöht. Weiter erreichen bedarfsgeprüfte Leistungen nur die Erwerbslosen und nicht die verdeckt Armen, also all diejenigen, die niedrige Löhne haben oder aus Schamgefühlen heraus die Antragsstellung vermeiden.

Ein „Grünes Grundeinkommen“ – gekoppelt mit einem Mindestlohn – hingegen wäre eine wirkliche Lösung. Alle Menschen bekommen das Grundeinkommen bedingungslos, also
unbürokratisch. Natürlich gibt es weitere Leistungen und Unterstützungsangebote für Menschen in besonderen Lebenslagen, wie beispielsweise Behinderte bei Bedarf und ebenso zusätzlich Wohngeld. Das „Grüne Grundeinkommen“ wäre mit einer grundlegenden Einkommensteuerreform verbunden. Gutverdienende erhalten das Grundeinkommen als Grundfreibetrag, zahlen aber dafür real mehr Steuern. Die Armen bekommen das Grundeinkommen mit einer negativen Einkommensteuer ausbezahlt. Das ist Umverteilung – über die sonst immer nur gesprochen wird. Die Spaltung zwischen Arm und Reich würde somit ein Stück weit überwunden. Die genaue Ausgestaltung eines „Grünen Grundeinkommens“ kann in unserem Antrag nachgelesen werden.

Mein Fazit ist also: In einer sich durch Globalisierung und Rationalisierung verändernden Welt müssen die Problemlagen mit neuen Konzepten angegangen werden. Man muss den Mut haben neue Anforderungen auch mit neuem Denken zu begegnen. Die Vorteile sind für mich eindeutig: Ein Grundeinkommen reagiert auf alle Problemlagen und Problemgruppen, trägt zur effektiven Armutsbekämpfung bei und erhöht die gesellschaftliche Verteilungsgerechtigkeit.

Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik bleiben wichtig
Mit einem Grundeinkommen sollen alle Menschen sozial abgesichert werden. Aber natürlich bleiben eine weitgehende Arbeitsmarktpolitik und Bildungspolitik wichtig, denn die Teilhabe an Erwerbsarbeit bedeutet für die meisten Menschen weiterhin gesellschaftliche Anerkennung, soziale Kontakte und bestimmt zudem das individuelle Selbstwertgefühl. Lang anhaltende Arbeitslosigkeit hingegen isoliert die Menschen und belastet Familien und Partnerschaften.

Eine organisierte Arbeitsvermittlung mit Unterstützungs- und Qualifizierungsmaßnahmen ist somit weiterhin unerlässlich. Aber von Bedarfsprüfungen entlastet, können die Arbeitsagenturen bzw. ARGEN ihrem eigentlichen Zweck – nämlich Beratung, Qualifizierung und Vermittlung – endlich gerecht werden. Die individuelle Unterstützung steht dann im Mittelpunkt und eben nicht die Leistungsgewährung oder die Reduzierung von Kosten. Ein Grundeinkommen schafft damit die Voraussetzungen dafür, dass Sozialpolitik ohne Stigmatisierungen und ohne Sanktionsdrohungen auskommen kann. Das entspricht einem positiven Menschenbild wie auch der grundgesetzlich garantierten Würde des Menschen.

Grüne Beschlusslage
Ich hatte es schon ausgeführt, dass das „Grüne Grundeinkommen“ knapp die Mehrheit bei uns GRÜNEN verfehlt hatte. Aber auch mit der beschlossenen Grundsicherung (die Zweitbeste aller Möglichkeiten) haben wir ein wirksameres Konzept als alle anderen Parteien. Neben der Anhebung des Arbeitslosengelds II – wie ich meine, gekoppelt mit einer Kosten deckenden Erstattung der Energiekosten – müssen weitere Maßnahmen gegen Armut ergriffen werden.

Der Grundfreibetrag muss entsprechend dem Arbeitslosengeld II erhöht werden, damit auch Geringverdienende vor Armut geschützt werden. Weiter brauchen wir eine Kindergrundsicherung gegen Kinderarmut und ebenso eine Grundrente gegen Altersarmut. Ein Mindestlohn und eine Bürgerversicherung verbunden mit der klaren Aussage, dass unsoziale Steuersenkungen mit GRÜN nicht zu haben sind, ergeben ein abgerundetes Gesamtpaket, um die Armutstendenzen in Deutschland zu stoppen. Parallel dazu soll der dringend notwendige Ausbau der sozialen Infrastruktur verwirklicht werden, von der Bildung über die Kinderbetreuung bis zu einer wirklich greifbaren Arbeitsmarktintegration für benachteiligte Menschen. Mit diesen ersten Schritten in der Sozialpolitik werden wir unseren GRÜNEN Werten von Solidarität und Teilhabe gerecht und vereinbaren Bildung, Arbeitsmarktpolitik und soziale Absicherung gleichermaßen. Dennoch werde ich mich perspektivisch weiter für ein „Grünes Grundeinkommen“ einsetzen und dafür streiten.