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05.07.2012

Kommentar: Meldegesetz

Die Presse hat die Abstimmung zum Meldegesetz zum Skandal hoch stilisiert. Nur 57 Sekunde habe die Abstimmung gedauert und die Opposition den „Verkauf“ des Datenschutzes „verpennt“. Und dies alles nur, weil die Abgeordneten das EM-Spiel der Deutschen gegen Italien anschauen wollten. In der Folge habe auch ich etliche entrüstete Mails erhalten. Ich bin immer offen für Kritik, aber sie muss auch berechtigt sein – deshalb hier dieser Kommentar.

Meldegesetz – um was geht es?

Nach dem bisher geltenden Melderechtsrahmengesetz war es für fast jeden möglich, bei den Meldeämtern Daten zu einer Person zu bekommen. Nach der Zustimmung zur Weitergabe persönlicher Daten wurde nicht gefragt. Diesen Zustand wollen wir schon lange ändern, denn für uns gilt: „Meine Daten gehören mir und ich bestimme, wer sie bekommen darf“. Der ursprüngliche Entwurf für das neue Meldegesetz (er war nötig, weil jetzt der Bund anstatt der Länder für das Melderecht zuständig ist) hatte für das Problem eine gute Lösung: Sollen die Daten für Werbung oder Adresshandel genutzt werden, dann muss der oder die Betroffene jedes Mal explizit zustimmen. Diese Einwilligungslösung ist der richtige Ansatz. Im parlamentarischen Verfahren haben CDU/CSU und FDP einen Änderungsantrag vorgelegt: Statt der ausdrücklichen Zustimmung im Einzelfall müssen Bürgerinnen und Bürger nun ausdrücklich dem Datenhandel widersprechen. Das kritisieren wir, denn es entspricht nicht unserem Anspruch an einen ausreichenden Datenschutz. Dennoch wurde das Gesetz am Abend in einer Debatte, die zu Protokoll ging, mit den Stimmen der Regierungsfraktionen beschlossen. Diese Entscheidung wurde inhaltlich zu Recht in der Öffentlichkeit kritisiert. Im Vordergrund der Kritik stand aber, dass die abschließende Abstimmung nur 57 Sekunden gedauert hat und kaum Abgeordnete anwesend waren. Und ganz abstrus wurde die Sache, nachdem Teile der Bundesregierung selber das verabschiedete Gesetz kritisiert hat und die Opposition aufgefordert hat, das Gesetz im Bundesrat zu stoppen. Dieses Spektakel muss erläutert werden!

Meine Rolle während der Abstimmung

In Mails wurde auch bei mir entrüstet nachgefragt, warum ich nicht an der Abstimmung teilgenommen habe. Ich bin Sozial- und Arbeitsmarktpolitikerin und sitze im Ausschuss für Arbeit und Soziales. Wir sind FachpolitikerInnen und haben klar unsere Zuständigkeiten im parlamentarischen Bundestagsalltag. Als kleinste Fraktion haben wir alle Hände voll zu tun, um alle Themen abzudecken. Ich selbst bin aufgrund unserer fraktionsinternen Arbeitskreisaufteilung bei den Themen Arbeit, Soziales, Gesundheit, Wirtschaft, Finanzen und Haushalt im Plenum. Deshalb war ich bei dieser Abstimmung nicht dabei. An diesem Abend habe auch ich das Fußballspiel Deutschland gegen Italien angeschaut – nicht im Stadion mit Freikarten, sondern auf einer Bierbank beim Public Viewing neben dem Bundestag. Auch wir Abgeordnete sind ganz normale Menschen, die sich freuen, wenn die deutsche Nationalmannschaft im Halbfinale steht. Aber das ist auch nicht das Problem. Das Parlament hat aus einem ganz anderen Grund in der Tat an Ansehen verloren. Die Parlamentsmehrheit – schwarz-gelb – macht was sie will, dafür ist sie auch gewählt worden. Aber, und das ist das Problem, sie weiß nicht mehr was sie tut und steht noch nicht einmal zu ihren Entscheidungen. Das ist katastrophal. Es ist nicht die Schuld der Grünen in der Opposition und doch ärgert es mich, denn das schadet dem Ansehen des Parlaments.

Abstimmung in 57 Sekunden

Kein Gesetz durchläuft das parlamentarische Verfahren in 57 Sekunden. Jeder Gesetzentwurf wird in erster Lesung in den Bundestag eingebracht und an die beratenden Ausschüsse überwiesen. Im federführenden Ausschuss läuft die hauptsächliche politische Auseinandersetzung der FachpolitikerInnen – in mindestens zwei Sitzungen und in der Regel in einer Anhörung. Über das Votum des Ausschusses wird dann in zweiter und dritter Lesung endgültig im Plenum abgestimmt. Während diesem Verfahren können im Ausschuss Änderungsanträge gestellt werden. In allen einzelnen Beratungsschritten sind die Mehrheiten gleich: im Plenum und im Ausschuss haben CDU/CSU und FDP die Mehrheit und können Gesetze und Änderungsanträge gegen die Stimmen von uns und der anderen Oppositionsfraktionen beschließen. So haben es die WählerInnen bei der Bundestagswahl 2009 gewollt.

Genau dieses Verfahren hat auch das Meldegesetz durchlaufen: In erster Lesung wurde das Meldegesetz in den zuständigen Innenausschuss überwiesen. Dort haben die Regierungsfraktionen den besagten Änderungsantrag gestellt, den die Ausschussmitglieder von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt haben. Im Bundestag haben wir in zweiter und dritter Lesung gegen das gesamte Gesetz gestimmt. Auch wenn die Presse es anders transportiert: Wir Grünen haben weder die Änderungen „verpennt“, noch haben die Beratungen lediglich 57 Sekunden gedauert. Eigentlich müssten die Journalisten diese Abläufe kennen – aber ein vermeintlicher Skandal ist besser als trockene Fakten.

Debatte zu „Protokoll“

Zur Normalität im Bundestag gehört auch, dass die Tagesordnungen immer zu lang sind. Würden alle Tagesordnungspunkte mit Debatte geführt werden, dann würden die Sitzungen am Donnerstag häufig bis weit in die frühen Morgenstunden andauern. In der Folge werden manche Tagesordnungspunkte am Abend mit Reden „zu Protokoll“ gegeben und in kleinster Besetzung entsprechend der Mehrheitsverhältnisse abgestimmt. Weil die Regierungsfraktionen das Meldegesetz auf solch einen späten Debattenplatz gesetzt haben, wurde auch das Meldegesetz „zu Protokoll“ gegeben. Und so kam dann die 57 Sekunden andauernde Schlussabstimmung zustande. Insofern ist das nicht kritisierbar. Nicht akzeptabel ist aber, dass die Regierungsfraktionen dem Meldegesetz einen so unbedeutenden Debattenplatz zugewiesen haben, wohlwissend wie diese Diskussion verlaufen wird – nämlich ohne Aussprache am Abend. Das ist schlechter Stil und wird dem Thema nicht gerecht.

Der eigentliche Skandal

Ein wirklicher Skandal ist aber, dass die Regierungsfraktionen jetzt zu ihren eigenen Entscheidungen nicht mehr stehen. Sie stehen nicht mehr zu ihrem Änderungsantrag (wie gesagt: wir haben ihn abgelehnt) und sie stehen nicht mehr zu dem Gesetz (wie gesagt: wir haben dagegen gestimmt). Es ist schon bedenklich, dass nun die Bundesregierung den Anschein erwecken möchte, als hätte der Bundestag ein Gesetz beschlossen, dass sie nicht wollte. Die Änderungen kamen während des Verfahrens im Bundestag aus den eigenen Fraktionen – aber die Bundesregierung hat sich mit keiner Silbe dagegen gewehrt. Im Innenausschuss wurde der Änderungsantrag gestellt und dort ist immer die Bundesregierung vertreten, aber es kam kein Widerspruch. Skandalös aber ist vor allem, dass die Bundesregierung jetzt auch noch den Anschein erweckt, als winke der Bundestag Gesetze durch – nur um von der eigenen Orientierungslosigkeit abzulenken. Wir können viel – aber wir können der Regierungsmehrheit nicht auch noch das Regieren abnehmen!

Selbstverständlich werden wir aber unserer Verantwortung gerecht – natürlich werden die Länder mit grüner Regierungsbeteiligung im Bundesrat gegen das Gesetz stimmen.