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15.10.2015

Persönliche Erklärung zum Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz

Die Bundesländer haben lange und zäh mit der Bundesregierung über finanzielle Unterstützung verhandelt. Das Ergebnis ist ein Kompromiss. Die Länder und Kommunen erhalten endlich strukturelle finanzielle Unterstützung, aber nur zum Preis von heftigen Verschärfungen beim Asylrecht. Die finanzielle Unterstützung befürworte ich. Die Verschärfungen lehne ich aber ab. Bei der Gesamtabstimmung konnte ich mich also nur enthalten. Die Gründe dafür habe ich in einer persönlichen Erklärung erläutert und dem Bundestag zu Protokoll gegeben.

Zur Abstimmung zum Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz (Drucksache 18/6185) gemäß § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages

Die Bundesregierung hatte lange Zeit die wachsenden Flüchtlingszahlen ignoriert und keine ausreichenden Vorkehrungen getroffen, weder beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, noch bei der Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen. Länder und Kommunen wurden allein gelassen. Von daher begrüße ich es ausdrücklich, dass nun durch zähe und lange Verhandlungen der Bundesländer einige lang überfällige und vielfach geforderte Maßnahmen umgesetzt werden. An erster Stelle steht dabei die strukturelle und dauerhafte Beteiligung des Bundes an den Kosten der Aufnahme und Unterbringung der Flüchtlinge. Insgesamt sollen Länder und Kommunen um mehr als 4 Mrd. Euro entlastet werden. Zudem werden Mittel zur Verfügung gestellt, die für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und für den Ausbau der Kinderbetreuung eingesetzt werden. Ein erster Schritt ist auch, dass der Bund die Mittel für die soziale Wohnraumförderung um 500 Mio. Euro auf eine Milliarde in den nächsten vier Jahren erhöht. Diese Summe ist eine erste Finanzspritze. Wichtig ist auch, dass der Bund den Zugang zu Maßnahmen der Arbeitsmarktförderung und zu Integrationskursen für viele Flüchtlinge verbessert. Mit all diesen Maßnahmen übernimmt der Bund endlich Verantwortung.

Das Verhandlungsergebnis zwischen Bundesregierung und Bundesländer ist aber auch ein bitterer Kompromiss. Denn er enthält eine Reihe von Gesetzesverschärfungen, die mit einer menschenrechtsorientierten Flüchtlingspolitik nicht in Einklang zu bringen sind und zudem widersinnige Integrationshemmnisse aufbauen. Dazu zählen insbesondere die verlängerte Verpflichtung von Asylsuchenden zum Verbleib in Erstaufnahmeeinrichtungen, Anspruchseinschränkungen im Asylbewerberleistungsgesetz und die Ausweitung der Liste angeblich „sicherer Herkunftsstaaten“. Diese Gesetzesverschärfungen werde ich bei Einzelabstimmungen namentlich ablehnen.

Am Ende muss ich mich aber auch zum Gesamtpaket verhalten und diese Entscheidung fällt mir extrem schwer. Zustimmen kann ich dem Gesetzentwurf aufgrund der Verschärfungen auf keinen Fall. Den Gesetzentwurf kann ich aber auch nicht ablehnen, denn als langjährige Kommunalpolitikerin weiß ich, wie sehr die Kommunen auf die finanzielle Unterstützung des Bundes angewiesen sind. Aus diesen Gründen werde ich mich bei der Abstimmung über das Gesamtpaket zwangsläufig enthalten.

Namentlich abgelehnt habe ich die Leistungskürzungen unter das Niveau des soziokulturellen Existenzminimums, die folglich nur Leistungen für Ernährung, Unterkunft (incl. Heizung), sowie Körper- und Gesundheitspflege enthalten. Das ist nicht akzeptabel, denn alle Menschen, die hier leben, haben ein Anrecht auf die gleichen Leistungen. Deshalb bin ich auch der Meinung, dass diese Leistungseinschränkungen verfassungsrechtlich mehr als fragwürdig sind. Auch die geforderte Umwandung der Geldleistungen für den persönlichen Bedarf in Sachleistungen ist weder humanitär noch sozialpolitisch vertretbar. Sie überfrachten zudem die Aufnahmeeinrichtungen mit noch mehr Bürokratie.

Ablehnen werde ich auch, dass Albanien, Kosovo und Montenegro in die Liste der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten aufgenommen werden. Für mich ist das ein Angriff auf das Prinzip der Einzelfallprüfung, einem Grundpfeiler des Asylrechts. Das trifft insbesondere die Roma, denn sie werden in den Staaten des Westbalkans weiterhin diskriminiert. Und schlussendlich hat der Bundestag erst im Sommer den KFOR-Einsatz der Bundeswehr im Kosovo verlängert, weil das Land noch immer instabil ist.

Für die Flüchtlinge aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten gibt es zudem weitere Einschränkungen ihrer sozialen und wirtschaftlichen Rechte. Sie werden dauerhaft und unbegrenzt verpflichtet, in den Erstaufnahmeeinrichtungen zu verbleiben. Mit der daraus folgenden Ausweitung der Residenzpflicht, des absoluten Arbeitsverbotes und der Sachleistungsprinzips werden flüchtlingspolitische Erfolge des letzten Jahres zurückgedreht. In mehreren Bundesländern dürfte für Kinder und Jugendliche in diesen Einrichtungen die Schulpflicht entfallen. Auch Flüchtlinge mit sogenannter „guter Bleibeperspektive“ können zukünftig bis zu 6 Monate in Erstaufnahmeeinrichtungen verbleiben. Diese Regelung produziert sozialen Sprengstoff, Konflikte und Verelendung in den Erstaufnahmeeinrichtungen. Damit entsteht keine Akzeptanz in der Bevölkerung – im Gegenteil. Deshalb werde ich auch diese Verschärfungen namentlich ablehnen.

Ich kritisiere auch die Beschränkung der Befassung der Härtefallkommissionen auf Fälle, in denen kein Rückführungstermin feststeht. Vor allem aber bleibt auch die gesundheitliche Versorgung von Flüchtlingen rechtlich weiterhin auf die dringend erforderliche und nicht aufschiebbare Behandlung bei akuter Erkrankung beschränkt. Das widerspricht nicht nur dem humanitären Gebot auf eine angemessene gesundheitliche Versorgung, es führt häufig auch zu nachfolgenden bedeutend aufwändigeren Behandlungen und höheren Kosten. Geflüchtete bleiben somit Patienten zweiter Klasse, die sich mit einer Notversorgung zu begnügen haben. Die Option in den Bundesländern mit den Krankenkassen eine Gesundheitskarte für Flüchtlinge zu vereinbaren, wurde rechtlich nicht entsprechend den Vereinbarungen mit den Ministerpräsidenten geregelt. Es ist weder eindeutig absehbar ob die bestehenden Vereinbarungen zur Gesundheitskarte für Flüchtlinge in Bremen, Hamburg und NRW Bestand haben. Es bleibt auch unklar, ob vergleichbare Rahmenvereinbarungen in den anderen Bundesländern in Zukunft möglich sind. Darüber hinaus soll auf der Karte vermerkt werden, dass es sich um Flüchtlinge handelt. Das ist diskriminierend und verlagert eine hochproblematische Entscheidung über eine eingeschränkte Behandlung in die Arztpraxis.

Ein letzter Gedanke ist mir abschließend noch wichtig. Statt tragfähige Lösungen vorzuschlagen, werden immer wieder von Regierungsmitgliedern oder von Mitgliedern der sie tragenden Parteien, insbesondere von der CSU, populistische und völlig abstruse Debatten vom Zaun gebrochen. Das lenkt von den wirklichen Problemen ab. Vor allem kann dies die gelebte Solidarität der Bevölkerung erschüttern und gleichzeitig all jene, die Unterkünfte für Geflüchtete in Brand stecken, bestärken. Das sehe ich mit großer Sorge und das geht mir auch unter die Haut.

 

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