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12.12.2012

Persönliche Erklärung: Beschneidung von Jungen

Diese Abstimmung war eine der schwierigsten Entscheidungen, die ich als Abgeordnete bisher treffen musste. Bei dieser Frage gibt es keinen Mittelweg und auch keinen Kompromiss. Die verschiedenen Anliegen stehen unversöhnlich gegenüber. Dennoch musste ich mich entscheiden. Nach vielen Diskussionen habe ich mich dafür entschieden, dass die Beschneidung per Gesetz als zulässig gelten soll.

Am 7. Mai 2012 hat die kleine Strafkammer des Landgerichts Köln entschieden, die Beschneidung eines Jungen habe nicht dem Kindeswohl gedient. Die Zustimmung der Eltern sei daher unbeachtlich und der Eingriff selbst eine rechtswidrige Körperverletzung. Obwohl dies nicht unmittelbar für vergleichbare Fälle gilt, ist eine erhebliche Rechtsunsicherheit entstanden. Seit dieser Entscheidung diskutieren wir daher das Thema Beschneidung und die möglichen Konsequenzen einer gesetzlichen Regelung.

Es ist eine der schwersten Entscheidungen, die ich in meiner bisherigen Tätigkeit als Abgeordnete zu treffen habe – auch wenn ich die Zeit genutzt habe, um alle Aspekte gründlich zu bedenken.

Bei der Frage, ob die Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen straffrei bleiben soll oder nicht, geht es im Grundsatz um die Abwägung dreier Anliegen: um das Recht auf freie Religionsausübung, um das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit und um die Ausübung des elterlichen Sorgerechtes und dessen Grenzen. Alle drei Anliegen haben – je für sich genommen – einleuchtende und überzeugende Argumente, die bei der Frage der Beschneidung nicht einwilligungsfähiger Jungen unversöhnlich und unvereinbar aufeinander treffen.

Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit des Kindes steht außer Frage. Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass das Entfernen der Vorhaut bei minderjährigen Jungen ein unwiderruflicher körperlicher Eingriff ist. Auf der anderen Seite steht das Grundrecht auf die freie Ausübung der Religion. Ebenfalls zu Recht wird argumentiert, dass es sich bei der Beschneidung um ein zentrales religiöses Ritual handelt, das für die Angehörigen muslimischen Glaubens sehr wichtig, für gläubige Juden sogar unverzichtbar ist. Daraus folgt, dass es bei dieser Entscheidung keinen Kompromiss und auch keinen Mittelweg gibt, der die widerstreitenden Positionen abschließend in Einklang bringt. Denn die Problematik lässt sich nicht allein durch die Forderung lösen, dass die Beschneidung erst erfolgen darf, wenn die betroffenen Kinder 14 Jahre alt und einwilligungsfähig sind und somit selbst entscheiden können – wie im Gesetzentwurf 17/11430 zur Abstimmung steht. Für die religiöse Überzeugung vieler Eltern, insbesondere jüdischen Glaubens, ist dieser Zeitpunkt schlicht zu spät. Die Thora schreibt die Knabenbeschneidung am 8. Tag nach der Geburt definitiv vor. Ausnahmen sind nur in wenigen Fällen aufgrund der Gesundheit des Säuglings möglich.

Das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit nehme ich sehr ernst. Aber als Nicht-Gläubige habe ich großen Respekt vor dem Glauben anderer. Deshalb kann ich mich nicht dazu durchringen, einem Gesetzentwurf zuzustimmen, der den religiösen Brauch der Beschneidung unter Strafe stellt. Dabei ist es für mich zweitrangig, ob das Verbot der Beschneidung zu strafrechtlichen Maßnahmen führen würde oder nicht. Denn unabhängig davon werden sich die jüdischen und muslimischen Eltern kriminalisiert fühlen. Zudem sehe ich die Gefahr, dass viele Eltern, die die Beschneidung ihrer Söhne aus religiösen Gründen für unverzichtbar halten, ihre Kinder entweder heimlich oder im Ausland beschneiden lassen würden. Das hieße, dass für einen Eingriff nach den Regeln der ärztlichen Kunst keine Garantie mehr bestünde. Das wäre erst recht nicht im Sinne des Kindeswohls. Den Status quo beizubehalten, ist ebenfalls keine Option. Denn ohne eine explizite gesetzliche Klarstellung, dass die Beschneidung von Jungen zulässig sein kann, wäre sie automatisch eine Körperverletzung. Deshalb kommt eine Enthaltung für mich nicht in Frage.

Ich werde von daher dem Gesetzentwurf zur Regelung der Beschneidung, den die Bundesregierung vorgelegt hat, zustimmen.

Allerdings kommt es auch auf die Umstände der Beschneidung an. Ich unterstütze ausdrücklich zwei Änderungsanträge meines Fraktionskollegen Jerzy Montag. So soll die Ausnahmeregelung, wonach die Beschneidung auch von Nichtärzten mit entsprechender Qualifikation (zum Beispiel von jüdischen Beschneidern, den Mohalim) vorgenommen werden kann, von 6 Monaten auf 14 Tage begrenzt werden. Der Gesetzentwurf ermöglicht bisher Beschneidungen durch Nichtärzte – und das heißt notwendigerweise ohne Narkose – bis zum sechsten Lebensmonat. Eine Begründung dafür ist nicht ersichtlich und für Beschneidungen nach jüdischem Ritus ist diese Frist nicht nötig. Die Regeln der ärztlichen Kunst lassen körperliche Eingriffe ohne Narkose nur für die ersten 14 Lebenstage zu. Weiter brauchen wir als Gesetzgeber nicht gehen und sollten dies auch nicht tun. Darüber hinaus soll eine „Berücksichtigung des Willens des Kindes“ ins Gesetz aufgenommen werden. Vor allem für ältere Kinder, die das 14. Lebensjahr noch nicht erreicht haben, aber ihre mögliche Ablehnung des Beschneidungsrituals bereits deutlich in Gesten oder Worten zum Ausdruck bringen können, muss der Kindeswillen im Gesetz stärker berücksichtigt werden.

Meine Positionierung bedeutet nicht, dass ich die Beschneidung aus religiösen Gründen befürworte – im Gegenteil. Ich hoffe darauf, dass die jüdischen und die muslimischen Religionsgemeinschaften eine offene Diskussion über den alten Brauch der Beschneidung führen und ihre Traditionen kritisch reflektieren. Denn auch Religionen und deren Ausübung ändern sich kontinuierlich. Ein solcher Wandel kann man den Religionsgemeinschaften aber nicht „von außen“ aufzwingen, schon gar nicht durch das Strafrecht. Gerade wenn es um Glaubensfragen geht, müssen sich Veränderungen innerhalb der Religionsgemeinschaften entwickeln. Die Debatte in der Gesellschaft und im Deutschen Bundestag zur Beschneidung kann die Diskussion innerhalb der Religionsgemeinschaften nicht ersetzen, aber anstoßen.

 

Persönliche Erklärung