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04.04.2019

Rede: Bürokratieabbau bei der Mindestlohn-Dokumentation

 

 

Die FDP will mit einem Antrag die Dokumentationspflichten gerade für die missbrauchsanfälligen Branchen reduzieren. Das lehnen wir strikt ab. Denn Beschäftigte müssen darauf vertrauen können, dass der Mindestlohn nicht nur auf dem Papier steht, sondern auch wirklich gezahlt wird. Und deshalb muss der Mindestlohn effektiv kontrolliert werden und Voraussetzung dafür ist, dass die tatsächliche Arbeitszeit dokumentiert wird.

Bundestagspräsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Die nächste Rednerin ist die Kollegin Beate Müller-Gemmeke von Bündnis 90/Die Grünen.

Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Wir haben gerade über einen Gesetzentwurf der Bundesregierung diskutiert, mit dem die Finanzkontrolle Schwarzarbeit gestärkt werden soll. Jetzt fordert die FDP mit ihrem Antrag genau das Gegenteil und redet nur über Bürokratie.

Für uns Grüne geht es bei diesem Thema um die Menschen. Es geht um die Beschäftigten, die von ihrem Lohn kaum leben können. Es geht beispielsweise um die Bedienung im Restaurant, um die Reinigungskraft im Hotel, um den Postboten und um die Beschäftigten in der Fleischbranche. Genau diese Menschen müssen darauf vertrauen können, dass der Mindestlohn nicht nur auf dem Papier steht, sondern auch wirklich gezahlt wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Es darf keine Lücken und keine Möglichkeiten geben, den Mindestlohn zu unterlaufen. Deswegen muss der Mindestlohn effektiv kontrolliert werden. Dennoch möchte die FDP die Dokumentationspflichten einschränken. Sie meinen ja, für Kontrollen würden die Dauer der Arbeitszeit und der ausgezahlte Lohn ausreichen. In Ihrem Antrag schreiben Sie sogar, für die Arbeitszeit sei schon der Arbeitsvertrag eine ausreichende Dokumentationsbasis und außerdem könnten die Beschäftigten ja klagen, wenn irgendetwas nicht stimmt. Liebe FDP, das ist absurd; denn das geht in vielen Fällen an der Realität vorbei.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wer sich schon einmal mit Kontrollen beschäftigt hat, dem ist bekannt: Wer Mindestlöhne umgehen will, der macht das über die Arbeitszeit. Da hilft der Blick in den Arbeitsvertrag kein bisschen. Deshalb befragt die Finanzkontrolle Schwarzarbeit die Beschäftigten. Sie schaut sich die Abläufe in den Betrieben genau an.

(Thomas L. Kemmerich (FDP): Schwer bewaffnet in der Bäckerstube!)

Das alles vergleicht sie dann mit den dokumentierten Arbeitszeiten. Dafür braucht sie eben nicht die Dauer, sondern die tatsächlichen Arbeitszeiten. Nur so kann die Finanzkontrolle Schwarzarbeit den Mindestlohn effektiv überprüfen. Deshalb müssen die Dokumentationspflichten so bleiben, wie sie sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Thomas L. Kemmerich (FDP): Schwer bewaffnet in der Bäckerstube!)

Diese Aufzeichnungspflichten gelten ja nicht für alle. Bei den Minijobs – das kritisieren Sie ja – macht das aber Sinn; denn gerade hier werden häufig die Rechte der Beschäftigten missachtet. Dann ist die Gefahr groß, dass am Lohn und an den Arbeitszeiten etwas gedreht wird. Entscheidend ist aber: Diese Dokumentationspflichten gelten nur für die Branchen, die im Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz stehen. Herr Kemmerich, ich bin mir nicht sicher, ob Sie das tatsächlich verstanden haben. Es geht nur um diese Branchen. Der Fokus auf diese Branchen ist auch nicht willkürlich, ist nicht vom Himmel gefallen. Das sind Erfahrungswerte – wie vor kurzem bei den Kontrollen in der Logistikbranche -, die ergeben haben, dass jeder dritte Arbeitgeber zu wenig Lohn zahlt. Für diese missbrauchsanfälligen Branchen möchten Sie, die FDP, jetzt die Dokumentationspflichten reduzieren. Das geht gar nicht;

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thomas L. Kemmerich (FDP): Weil sie die Dokumentation doppelt und dreifach erledigen! Gehen Sie mal hin!)

denn der Gesetzgeber muss seiner Schutzverantwortung für die Beschäftigten gerecht werden.

Dann gibt es auch noch die Kritik am Schwellenwert, ab dem dokumentiert werden muss. Sind 2 958 Euro oder 2 000 Euro richtig oder willkürlich? An dieser Stelle möchte ich einmal ganz grundsätzlich werden; denn die Empörung der FDP ist so groß, dass man fast meinen könnte, durch den Mindestlohn gäbe es zum ersten Mal die Pflicht, die Arbeitszeit zu dokumentieren. Und das ist einfach falsch.

Darf ich mal kurz etwas sagen? Die Antragsteller in der ersten Reihe schauen nur aufs Handy. Das finde ich irgendwie komisch.

(Thomas L. Kemmerich (FDP): Sie hätten ja auch den Antrag lesen können! Und dann gehen Sie mal zum deutschen Mittelstand!)

– Ich wollte nur einmal sagen, dass mich das irritiert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich werde jetzt also etwas grundsätzlicher: Laut Arbeitszeitgesetz müssen alle Überstunden dokumentiert werden. Aber wie sollen die nachgewiesen werden, wenn die anderen Stunden gar nicht dokumentiert werden? Der Arbeitgeber muss auch darauf achten, dass die gesetzlichen Grenzen bei der Arbeitszeit und die Ruhezeiten eingehalten werden. Schon allein deswegen muss der Arbeitgeber wissen, wann und wie viel seine Beschäftigten arbeiten. Für die Sozialversicherung muss auch das Arbeitsentgelt nachgewiesen werden, und zwar die Zusammensetzung und die zeitliche Zuordnung. Außerdem gibt es genau die gleichen Dokumentationspflichten im Arbeitnehmer-Entsendegesetz und bei der Arbeitnehmerüberlassung. Diese Dokumentationspflichten sind also nicht neu. Bevor Sie sich empören und etwas fordern, sollten Sie erst einmal die Gesetzeslage zur Kenntnis nehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Die Dokumentation der Arbeitszeit ist im Übrigen auch keine unzumutbare Belastung für die Unternehmen. Im Gegenteil: Sie macht Sinn, und zwar für beide Seiten. Die Beschäftigten können damit ihre Arbeitsstunden nachweisen, damit sie gerecht entlohnt werden. Die Arbeitgeber können die Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten kontrollieren. Mir kann keiner erzählen, dass daran niemand Interesse hat. Immerhin wurde die Stechuhr nicht von der Politik, sondern von den Unternehmen eingeführt.

Arbeitszeiten können auch ganz einfach erfasst werden. Viele Möglichkeiten sind hier genannt worden. Das ist kein Bürokratiemonster.

(Thomas L. Kemmerich (FDP): Das steht in § 17 Mindestlohngesetz! Da geht es um Arbeitszeiterfassung!)

Hier sollte sich die FDP den eigenen Wahlslogan, der schon zitiert wurde, einfach einmal zu Herzen nehmen: Digital first, Bedenken second. – Ich finde, dass das auch bei der Dokumentation der Arbeitszeit gelten sollte.

(Thomas L. Kemmerich (FDP): Dann reden Sie mal mit Ihren Handwerksmeistern! Ich glaube, es kommt keiner mehr zu Ihnen!)

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Rede: Mindestlohn-Dokumentation