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29.03.2012

Rede: Entsenderichtlinie

Mit viel Hoffnung habe ich die europäische Initiative zur Entsenderichtlinie erwartet. Was jetzt vorliegt, ist keine wirkliche Verbesserung, sondern an manchen Punkten sogar eine Verschlechterung. Die Mobilität in Europa ist wichtig, aber wir brauchen soziale Leitplanken, die tragen, damit in Europa soziale Gerechtigkeit und insbesondere Vertrauen entsteht.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

nur ein soziales Europa schafft Vertrauen. Aber genau dieser notwendige soziale Aspekt von Europa wurde durch eine Reihe von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs zu den Regelungen in der 1996 beschlossenen Entsenderichtlinie in Frage gestellt. Der EuGH hat in den Rechtssachen Viking, Laval und Rüffert einen Vorrang der Dienstleistungsfreiheit vor einschlägigen Bestimmungen zu den Arbeitsbedingungen im Gaststaat erkannt. Die Interpretation, dass die Entsenderichtlinie Maximalstandards anstelle von Minimalstandards enthält und eine Unterordnung sozialer Kriterien unter wirtschaftliche Freiheiten können wir nicht akzeptieren. Streikrecht, Tarifautonomie und Arbeitnehmerschutz müssen gewahrt bleiben und dürfen nicht gegen andere Freiheiten abgewogen werden. Wir fordern daher – wie die Gewerkschaften in Europa auch – eine soziale Fortschrittklausel und eine Überarbeitung der Entsenderichtlinie.

Am vergangenen Mittwoch hat nun die Europäische Kommission mit dem Entsendepaket zwei Vorschläge öffentlich gemacht, wie die angemahnte soziale Dimension in Europa gestärkt werden soll. Das Ergebnis ist aber enttäuschend und bleibt hinter den Erwartungen zurück. Kommissionspräsident Barroso hatte dem Parlament im Vorfeld seiner Wiederwahl versprochen, dass er die Probleme beheben wird, die mit den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes im Rahmen der Entsenderichtlinie entstanden sind. Die vorliegenden Vorschläge aber sind genau das Gegenteil, denn bereits jetzt werden zwei neue Angriffe auf die sozialen Rechte der Beschäftigten offenkundig:

Erstens: Die so genannte Monti-II-Verordnung sollte eigentlich das Streikrecht wahren und nationale Rechtsvorschriften unberührt lassen. Fakt ist aber, dass das Streikrecht gegen wirtschaftliche Freiheiten abgewogen werden soll. Eine Art Verhältnismäßigkeitsprüfung zwischen einem sozialen Grundrecht und wirtschaftlichen Interessen darf und kann es nicht geben. Damit würde das Streikrecht in Frage gestellt und in der Folge die Rechte der Beschäftigten geschwächt. Ein soziales Europa geht anders.

Zweitens: Der Vorschlag zur Durchsetzung der Entsenderichtlinie listet eine Reihe von Kontrollmaßnahmen auf, die die Mitgliedstaaten durchführen können, um die Einhaltung von Arbeits- und Entlohnungsstandards zu gewährleisten. Darüber hinaus gehende Maßnahmen – und hier liegt das Problem – sollen nicht mehr möglich sein. Für Deutschland bedeutet das konkret: Die Kontrollbefugnisse der nationalen Behörden würden eingeschränkt. Die bewährte Kontrolle des Zolls vor Ort in den Betrieben wäre in dieser Form nicht mehr möglich. Der Kampf gegen Schwarzarbeit und Lohndumping muss aber gestärkt werden und darf nicht ans Gängelband europäischer Regelungen genommen werden.

Die Bundesregierung ist also aufgefordert, sich in den weiteren Verhandlungen auf EU-Ebene und im Rat vehement für Veränderungen einzusetzen und Einschnitte beim Streikrecht und bei den nationalen Kontrollbefugnissen zu verhindern. Sie darf nicht zulassen, dass weitere nationale Standards in Frage gestellt werden. Sie muss bei den Verhandlungen in Brüssel einen klaren Kurs zur Bewahrung und Stärkung der Arbeitnehmerrechte vertreten. Denn das deutsche Sozialmodell ist ein hohes Gut, das es zu bewahren und auszubauen gilt, anstatt sinnvolle Regelungen über Bord zu werfen.

Die Bundesregierung muss aber auch zu Hause ihre Hausaufgaben erledigen. Es muss endlich eine Mindestlohnregelung auf den Tisch. Wir brauchen Vereinfachungen im Verfahren für mehr branchenspezifische Mindestlöhne und für mehr allgemein verbindlich erklärte Tarifverträge. Die nationale Kontrollbehörde, Finanzkontrolle Schwarzarbeit, muss personell und materiell gestärkt werden. Das Prinzip von gleichem Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Beschäftigungsort muss effektiv umgesetzt werden. Die in Deutschland geltenden und unter den Tarifparteien ausgehandelten Mindestarbeitsbedingungen in Bezug auf Ruhezeiten, Urlaubstage, Arbeitsschutzvorschriften dürfen durch die Anwendung der Entsenderichtlinie nicht unterlaufen werden.

Viele berechtigte Forderungen, die wir Grünen im Bereich der Arbeitnehmerrechte haben, sind im vorliegenden Antrag der SPD aufgegriffen. Sie sind auch vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen nach wie vor gültig und wichtig. Wir werden dem Antrag daher zustimmen, denn nur ein soziales Europa schafft Vertrauen und Gerechtigkeit.

 

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