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17.03.2011

Rede: Europäische Betriebsräte

Die Gründung von europäischen Betriebsräten ist ein Kernstück des europäischen Sozialmodells, denn Unternehmen sind heutzutage grenzüberschreitend, oft global aufgestellt. Die Überarbeitung der EU-Richtlinie zu den Europäischen Betriebsräten war überfällig. Die Bundesregierung ist jetzt mit der nationalen Umsetzung spät dran. Vieles im Entwurf der Bundesregierung ist begrüßenswert, aber dennoch ist es zweifelhaft, ob die der gegebene Spielraum bei der Umsetzung wirklich ausreichend genutzt wurde.

Sehr geehrter Herr Präsident,

sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

die Bundesregierung ist bereits spät dran mit dem Gesetzentwurf zur Änderung des Europäischen Betriebsräte-Gesetzes. Seit dem 5. Juni 2009 ist die überarbeitete EU-Richtlinie zu den Europäischen Betriebsräten in Kraft und bis zum 5. Juni diesen Jahres muss sie in nationales Recht umgesetzt werden. Viel Zeit bleibt also nicht mehr. Das Thema ist mir sehr wichtig und ich meine, es muss intensiv und sorgfältig beraten werden. Denn die Umsetzung muss auch eine entsprechende Qualität haben. Die Beratungen im federführenden Ausschuss für Arbeit und Soziales und insbesondere die Anhörung müssen zu einem umfassenden Austausch genutzt werden. Den Ergebnissen der anstehenden Beratungen und der Vertiefung in die Details des Gesetzentwurfes kann ich hier nicht vorgreifen. Aber einige grundlegende Aussagen zum vorliegenden Gesetzesvorhaben und zu seinem Hintergrund sind mir wichtig.

Die Möglichkeit einer grenzüberschreitenden Arbeitnehmervertretung wurde 1994 in der Richtlinie für die Gründung Europäischer Betriebsräte geschaffen. Das war ein großer Schritt nach vorne und ein Kernstück des Europäischen Sozialmodells, denn Unternehmen sind heutzutage grenzüberschreitend, oft global aufgestellt. Auch die Arbeitnehmervertretung muss daher die Möglichkeit haben, sich grenzüberschreitend und europaweit zu organisieren. Andernfalls könnte von einer echten Sozialpartnerschaft auf Augenhöhe nicht mehr die Rede sein. Dennoch war die Richtlinie von 1994 höchst mangelhaft und eine Revision überfällig. Es waren keine Mitbestimmungsrechte wie im deutschen Betriebsverfassungsgesetz vorgesehen. Und es gab keine wirksamen Sanktionen, die die Unternehmen zur Gründung Europäischer Betriebsräte antreiben.

Die Verbesserungen in der Neufassung der Richtlinie von 2009 waren hart erkämpft. Insbesondere das Europäische Parlament hat den Kommissionsvorschlag entscheidend verbessert – auch auf Betreiben der Grünen. Ein wesentlicher Punkt war die Neudefinition der „Transnationalität“. Sie erinnern sich, die Nokia-Werksschließung in Bochum und die Verlegung des Werkes nach Rumänien geschah über die Köpfe der Europäischen Betriebsräte hinweg. Nun ist klargestellt: ein Europäischer Betriebsrat muss auch dann unterrichtet und angehört werden, wenn unternehmerische Entscheidungen in einem Mitgliedstaat getroffen werden, die die Beschäftigten in einem anderen Mitgliedstaat betreffen. Auch das Fehlen von abschreckenden Sanktionen gegen Unternehmen, die sich nicht an die Richtlinie halten, wurde erkannt. Die Mitgliedstaaten werden nun aufgerufen „geeignete Maßnahmen“ zu treffen. Jetzt ist die Bundesregierung also am Zug. Insgesamt muss allen Beteiligten klar sein, die Neufassung der Europäischen Betriebsräterichtlinie erfüllt einen Minimalanspruch an die innerbetriebliche Demokratie – mehr nicht. Sie ist eine Minimalanpassung an die veränderte Unternehmenssituation in Europa.

Ganz folgerichtig kann auch die nationale Umsetzung hier nicht bejubelt, sondern lediglich als dringend notwendige Verbesserung begrüßt werden. Wir Abgeordneten müssen vor allem bewerten, ob die Bundesregierung den Spielraum auch nutzt, der ihr bei der Umsetzung in nationales Recht zur Verfügung steht. Bedeutet die Gesetzesänderung eine Stärkung der Arbeitnehmerrechte, oder nicht? Daran muss sich dieser Gesetzentwurf messen lassen.

Der Gesetzentwurf sieht wesentliche Änderungen vor, die ich bereits jetzt als grundsätzlich positiv bewerten kann. Das Recht der Arbeitnehmervertretung auf Unterrichtung und Anhörung wird schon allein dadurch gestärkt, dass die Begriffe „Unterrichtung“ und „Anhörung“ nun erstmals ausdrücklich definiert sind. Ebenfalls im Grundsatz positiv ist die neu geschaffene Möglichkeit für Gewerkschaften, als Sachverständige zur Unterstützung der Verhandlungen des besonderen Verhandlungsgremiums an dessen Sitzungen beratend teilzunehmen. Zum dritten wird den Mitgliedern des Europäischen Betriebsrates nun die Möglichkeit gewährt, an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen teilzunehmen. Insofern zeichnen sich in der Tat Verbesserungen im Vergleich zum Status quo ab. Eine ausführliche Bewertung der Regelungen wird jedoch noch vorzunehmen sein. Nach meinen bisherigen Erfahrungen in diesem Hohen Hause bin ich sehr zurückhaltend damit, der Bundesregierung eine ausgeprägte Arbeitnehmerfreundlichkeit zu unterstellen.

Hinzu kommen offensichtliche Auslassungen und Mängel im vorliegenden Gesetzentwurf. Substantielle Nachbesserungen der Bestimmungen zur Sanktion von Pflichtverstößen fehlen bisher weitgehend. Wir wissen aber aus anderen Bereichen des Arbeitsrechtes, dass Sanktionen wirksam, abschreckend und im Verhältnis zur Schwere der Zuwiderhandlung angemessen sein müssen. Das wären „geeigneten Maßnahmen“, wie sie die EU-Richtlinie nennt. Bisher ist davon aber nichts zu erkennen. Unklar bleibt außerdem, wie genau wir uns die Unterrichtung der örtlichen Arbeitnehmervertretung durch den Europäischen Betriebsrat vorstellen müssen. Erhält dieser beispielsweise ein Zugangs- und Zutrittsrecht zum Betrieb bzw. zum Unternehmen? Diese Fragen sind noch offen.

Ich komme damit zu einem vorläufigen Fazit: Es ist zumindest zweifelhaft, ob der gegebene Spielraum bei der Umsetzung in die nationale Arbeitsrechtsordnung bei den benannten Punkten wirklich ausreichend genutzt wurde. Das werden wir im Folgenden noch gemeinsam diskutieren. Und ich werde dabei selbstverständlich aktiv etwas einbringen. Ich freue mich auf spannende und angeregte Debatten, die uns sicherlich den einen oder anderen Erkenntnisgewinn bescheren werden.

Vielen Dank