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26.03.2010

Rede: Fairness in der Leiharbeit

Erneut gab es eine Plenardebatte zum Thema Leiharbeit. Den Antrag der SPD bezeichnete Beate Müller-Gemmeke als zu vage. Dem vorgestellten 11. Bericht der Regierung zur Leiharbeit attestierte sie zweifelhafte Qualität. Insgesamt bemängelte sie die Tatenlosigkeit der Bundesregierung angesichts des Missbrauchs in der Zeitarbeit und empfahl „zügig zu Handeln statt ewig zu Prüfen“.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Beate Müller-Gemmeke von Bündnis 90/Die Grünen.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Jetzt hat auch die SPD endlich einen Antrag zur Leiharbeit vorgelegt. Rot-Grün hat die Liberalisierung in der Zeitarbeit zu verantworten; das wissen wir. Schon lange fordern wir Grünen, dass die Fehler korrigiert werden. Herr Brauksiepe, Selbstkritik gehört für mich selbstverständlich auch in die Politik; denn sie ist ein wichtiger Wert.

Die Leiharbeit muss endlich wieder zu einem verträglichen Instrument werden, das der Abfederung von Auftragsspitzen dient, nicht mehr und nicht weniger. Der Antrag zeigt, dass auch die SPD mit der Vergangenheitsbewältigung begonnen hat. Er ist zwar an einigen Stellen etwas vage, und er geht mir auch nicht weit genug, aber zumindest stimmt die Richtung, und das ist gut so.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Der elfte Bericht der Bundesregierung zur Leiharbeit sollte eigentlich die Entwicklung in der Zeitarbeit beschreiben und soziale und beschäftigungspolitische Probleme aufdecken. Aber Fehlanzeige: Die Fakten werden verharmlost; der wichtige IAB-Forschungsbericht, die Laumann-Studie sowie kritische Stellungnahmen der Agentur für Arbeit wurden in weiten Teilen gar nicht erst aufgenommen. – Aber diese Fakten sind wichtig. Nur 8 Prozent der Erwerbslosen erhalten durch die Leiharbeit eine reguläre Beschäftigung. Das IAB spricht sogar davon, dass die Zeitarbeit eher eine Brücke in die Zeitarbeit ist. Im Bericht der Bundesregierung steht – ich zitiere –:

Der überwiegende Teil der ehemaligen Zeitarbeitnehmerinnen und Zeitarbeitnehmer befindet sich auch mittelfristig weiterhin in Beschäftigung und nicht in Arbeitslosigkeit. Das stimmt einfach nicht. Das zeigt die zweifelhafte Qualität des Berichts der Regierung.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung hat zugenommen. Sogar die Bundesagentur für Arbeit warnt, dass Dauerarbeitsplätze mit Zeitarbeitskräften besetzt werden. Ein Blinder mit Krückstock sieht also, dass es einen offensichtlichen Missbrauch in der Zeitarbeit gibt. Herr Brauksiepe, es geht hier nicht nur um 2,6 Prozent der Beschäftigten, sondern um Menschen. Ich finde, jeder einzelne Mensch muss wichtig sein.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Seit Wochen höre ich aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales aber nur, dass Gespräche geführt werden und dass die Prüfung der Leiharbeitsbranche andauert. Ich frage mich: Wie viele Gespräche sind noch nötig? Wie lange wollen Sie eigentlich noch prüfen? Wenn Sie dem IAB nicht glauben, dann reden Sie doch einmal mit Ihrem CDU-Kollegen Laumann aus NRW.

Am Wochenende hat die Ministerin die Branche aufgefordert, die Probleme endlich aus eigener Kraft zu lösen. Ich meine, gegen den Missbrauch in der Zeitarbeit muss gesetzlich vorgegangen werden und nicht durch die Branche selbst.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Fangen Sie endlich an, zu regieren! Notwendig ist, dass der Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ durchgesetzt wird, ebenso ein Mindestlohn für verleihfreie Zeiten. Vor allem muss die konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung verhindert werden. Das wäre verantwortungsbewusste Politik und eine klare Reaktion auf den Missbrauch in der Zeitarbeit.

Aber vielleicht steckt die Regierung auch den Kopf in den Sand, weil es wieder einmal Streit mit der FDP gibt. Es wäre ja nicht das erste Mal, dass die FDP bei diesem Thema auf der Bremse steht, weil sie den Niedriglohnsektor weiter ausbauen möchte. Dazu passen auch Ihre Äußerungen, Herr Kolb, dass Zeitarbeitskräfte grundsätzlich weniger verdienen sollten als das Stammpersonal.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Was?)

Das haben Sie im Februar in einem Zeitungsinterview gesagt.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das würde ich gern mal sehen!)

Gibt es dafür ein einziges plausibles Argument? Meinen Sie wirklich, dass Zeitarbeitskräfte grundsätzlich weniger wert sind? Mein Grundsatz ist, dass es keine Beschäftigten erster und zweiter Klasse geben darf.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Machen Sie endlich Politik für alle Bürgerinnen und Bürger und sorgen Sie dafür, dass für alle Beschäftigten Ihr Spruch gilt: Arbeit muss sich wieder lohnen.

Vor der Krise waren fast 800 000 Menschen in der Zeitarbeit beschäftigt, obwohl jeder Achte zusätzlich staatliche Leistung beantragen musste. Die Agentur für Arbeit zahlt bereits eine halbe Milliarde Euro für Löhne in der Zeitarbeit. Spätestens bei dieser Zahl, die aus dem Arbeitsministerium stammt, müssten bei den Regierungsfraktionen alle Alarmglocken läuten. Wollen Sie wirklich weiterhin Unternehmen auf diesem Weg subventionieren, obwohl sich die Zeitarbeit in keinerlei Weise als arbeitsmarktpolitisches Instrument bewährt hat? Ich appelliere an die Regierungsfraktionen: Schauen Sie nicht weg! Wenn Sie nicht wollen, dass die Zeitarbeit für bisher fair bezahltes Stammpersonal zum Schleudersitz in den Hungerlohn und für Zeitarbeitskräfte zur Einbahnstraße in eine dauerhafte Niedriglohnfalle wird, dann kann ich Ihnen nur empfehlen, zügig zu handeln, statt ewig zu prüfen.

Vielen Dank.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)