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24.03.2011

Rede: Gesetzentwurf zur Leiharbeit



Lange haben wir auf den Gesetzentwurf warten müssen. Jetzt aber ist er eine Minimalvariante. Der Lohnuntergrenze haben wir zugestimmt, aber das Gesetz als Ganzes haben wir abgelehnt. Die sogenannte Reform verbessert die Rahmenbedingungen für Leiharbeitskräfte nicht. Weiterhin werden für sie nicht die gleichen Arbeitnehmerrechte gelten und auch nicht Equal Pay. Wir meinen – nur eine umfassende Regulierung verhindert den Missbrauch in der Leiharbeit. Unser Entschließungsantrag und unsere Änderungsanträge im Ausschuss wurde abgelehnt.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Die nächste Rednerin ist die Kollegin Beate Müller-Gemmeke vom Bündnis 90/Die Grünen.

Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

Unsere Position in Sachen Leiharbeit ist bekannt. Unsere zentralen Forderungen sind die konsequente Anwendung von Equal Pay, eine Flexibilitätsprämie für Leiharbeitskräfte in Höhe von 10 Prozent und die Wiedereinführung des Synchronisationsverbots. Wir meinen, nur eine konsequente Regulierung stoppt den Missbrauch in der Leiharbeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Also das Gegenteil von dem, was Rot-Grün in der Regierungszeit beschlossen hat!)

Herr Kolb, stellen Sie doch eine Frage.

Nicht nur die Interessen der Wirtschaft und der Leiharbeitsbranche dürfen im Mittelpunkt stehen, sondern die Politik muss auch den Beschäftigten in der Leiharbeit gerecht werden. Sie haben einen berechtigten Anspruch auf die gleichen Arbeitnehmerrechte, auf faire Löhne und gute Arbeitsbedingungen wie alle anderen Beschäftigten auch.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Kollegin Müller-Gemmeke, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heinrich Kolb?

Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Aber natürlich.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Bitte schön, Herr Kolb.

(Hubertus Heil (Peine) (SPD): Das ist Täter-Opfer-Ausgleich!)

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):

Das soll jetzt ausgleichende Gerechtigkeit sein. – Ich möchte nur auf Verantwortlichkeiten hinweisen. Ich erinnere mich noch ich bin lange genug im Deutschen Bundestag , dass Rot-Grün mit den Hartz-Gesetzen als besonders wichtig erkannt hatte, dass die Zeitarbeit gerade auch Menschen mit geringerer Qualifikation die Möglichkeit zur Integration in den Arbeitsmarkt eröffnet. Ist es nicht ein bisschen so, dass Sie hier wie der weibliche Zauberlehrling stehen? Ich glaube, die Geister, die sie riefen, werden Ihnen jetzt zu viel. Sie machen jetzt eigentlich die Drehung zurück. Das, was Sie jetzt verändern wollen und als Ihre Vorschläge präsentiert haben, ist doch das glatte Gegenteil dessen, was Sie in der Regierungsverantwortung 2004/2005 damals gemacht haben. Können Sie mir das bestätigen?

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Kollege Kolb, ich bestätige Ihnen, dass wir unsere Meinung geändert haben.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Es wäre schön, wenn auch die FDP das hin und wieder einmal täte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das dauert!)

Denn Politik muss meiner Meinung nach schlichtweg auch schauen, wie Gesetze wirken und welche Entwicklungen und Fehlentwicklungen es gibt. Wir haben immer gesagt: Wir haben andere Erwartungen gehabt. Ich nenne zum Beispiel den Klebeeffekt, der nicht eingetreten ist. Wir haben nicht damit gerechnet, dass beispielsweise die Christlichen Gewerkschaften

(Kathrin Vogler (DIE LINKE): Die sogenannten!)

so in diese Branche gegangen sind und einen solchen Lohndruck gemacht haben.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Die Weitsicht hat gefehlt!)

– Herr Kolb, ich bin jetzt dran. – Wenn Fehlentwicklungen zu sehen sind, dann muss die Politik Verantwortung übernehmen. Dann muss man auch die Größe haben, zu sagen: Da sind Dinge gelaufen, die wir so nicht haben wollten. – Deswegen muss man dann Maßnahmen ergreifen, damit die Fehlentwicklungen wieder gestoppt werden. Das finde ich überhaupt nicht schlimm, sondern richtig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich wünsche mir, dass das auch die FDP irgendwann einmal macht.

(Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Haben sich die Grünen in allem geirrt während ihrer Regierungszeit?)

Ich habe gerade von den gleichen Rechten der Beschäftigten geredet. Wir meinen, dass der Gesetzentwurf dem nicht gerecht wird. Einzig und allein die Lohnuntergrenze ist ein richtiger und vor allem auch ein notwendiger Schritt. Dieser Lohnuntergrenze werden wir nachher zustimmen. Der Gesetzentwurf in Gänze aber ist und bleibt eine Minimalreform, der wir nicht zustimmen werden; denn Sie werden Ihrer Verantwortung den Leiharbeitskräften gegenüber nicht gerecht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sehr geehrte Regierungsfraktionen, Sie suggerieren immer wieder, die Leiharbeitsbranche sei eine Branche wie alle anderen auch. Fakt ist aber: In keiner anderen Branche müssen so viele Beschäftigte aufstockendes Arbeitslosengeld II beantragen. Schon heute muss der Staat circa eine halbe Milliarde Euro pro Jahr an Transferleistungen für Leiharbeitskräfte ausgeben. Darin sind die langfristigen Kosten von Leiharbeitskarrieren noch gar nicht enthalten; denn die niedrigen Rentenansprüche führen die Menschen direkt in die Altersarmut. Keine andere Branche wird in diesem Umfang staatlich subventioniert.

Sie betonen auch immer, dass der Großteil der Leiharbeitskräfte vorher arbeitslos war. Das ist richtig, aber es ist auf gar keinen Fall eine Rechtfertigung für die Leiharbeit. Natürlich kündigt kein Mensch sein festes Arbeitsverhältnis, um in der Leiharbeit für kurze Zeit und unter schlechteren Arbeitsbedingungen weniger zu verdienen. Deutlich wird aber, dass der Beschäftigungsaufbau stark in die Leiharbeit geht und Stammbelegschaften schleichend ersetzt werden.

Auch der sogenannte Klebeeffekt ist ein Mythos. Gerade einmal 7 Prozent der Leiharbeitskräfte werden in reguläre Beschäftigungen übernommen. Diese Bilanz ist unterirdisch und zeigt, dass die Leiharbeit als arbeitsmarktpolitisches Instrument nicht funktioniert. Das wird von dieser Regierung wohl auch nicht gewollt; denn die Unternehmen profitieren doppelt: Sie erhalten Flexibilität und billige Arbeitskräfte. Die Leiharbeitskräfte hingegen leiden unter einer doppelten Belastung: Sie verdienen weniger und haben keinen sicheren Job. Das ist ungerecht und nicht fair.

Die heutige Entscheidung zur Leiharbeit im Bundestag ist also wichtig. Es geht darum, ob wir den Umbau in der Arbeitswelt hin zu noch mehr prekärer Beschäftigung befördern oder stoppen. Wir Grünen entscheiden uns für eine soziale Arbeitswelt. Sozial ist, was gute Arbeit schafft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Sehr geehrte Regierungsfraktionen, lange haben wir auf den Gesetzentwurf der Bundesregierung warten müssen. Jetzt aber geht es ganz schnell. Am Montag fand die Anhörung statt, und heute, drei Tage später, wird das Verfahren schon abgeschlossen. Dies geschieht, wie ich finde, trotz dieses wichtigen Themas auch noch zu einer sehr späten Tageszeit.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Besser spät als nie!)

In der Anhörung wurden vielfältige Bedenken von Experten geäußert. Sie ignorieren komplett die Gewerkschaften und vor allem auch Teile der Wissenschaft. Das hat uns aber nicht überrascht.

Gestern in der Ausschusssitzung haben wir auf unsere Maximalforderungen verzichtet und versucht, mit konkreten Änderungsanträgen einige wenige Verbesserungen des Gesetzentwurfs zu erreichen. Wir haben beispielsweise beantragt, dass die Auszubildenden in die Drehtürklausel einbezogen werden, dass Betriebsräte mehr Rechte erhalten und dass Leiharbeitskräfte nicht in bestreikten Betrieben eingesetzt werden dürfen. Vor allem haben wir auch beantragt, dass die arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge gestrichen und der Zugang zur betrieblichen Weiterbildung erleichtert wird, damit der Gesetzentwurf zumindest der EU-Richtlinie über Leiharbeit gerecht wird. Leider hatten wir keinen Erfolg. Nicht einmal über diese Minimalforderungen haben Sie ernsthaft diskutiert.

Der Gesetzentwurf bleibt also nahezu bedeutungslos für die Beschäftigten. Die Interessen der Leiharbeitsbranche und der Wirtschaft bedienen Sie aber. Das kann ich nur Klientelpolitik pur nennen. Vor allem spalten Sie die Gesellschaft mit dem unregulierten Anstieg der Leiharbeit weiter, und zwar nicht nur in Arm und Reich, sondern auch in regulär und prekär Beschäftigte. Soziale Gerechtigkeit und verantwortungsbewusste Politik sehen anders aus.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Mehr zum Thema:

Der Entschließungsantrag der Grünen.

Die Änderungsanträge zum Gesetzesentwurf.