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20.01.2012

Rede: Gesetzlicher Mindestlohn ist überfällig

Am Freitag haben die Regierungsfraktionen erneut einen gesetzlichen Mindestlohn abgelehnt. Ein Mindestlohn ist aber überfällig und Grundlage für mehr soziale Gerechtigkeit. Ich kann nur hoffen, dass der Arbeitnehmerflügel der CDU/CSU sich gegen den eigenen Wirtschaftsflügel und gegen die FDP durchsetzt. Ein gesetzlicher Mindestlohn mit Tarifvorrang wäre aber ein Etikettenschwindel.

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Beate Müller-Gemmeke für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

In der Regel übe ich meist Kritik; heute möchte ich aber einmal mit einem Lob beginnen, und zwar für den Arbeitnehmerflügel der CDU/CSU-Fraktion. Sie haben energisch die Initiative für einen Mindestlohn ergriffen und lassen auch nicht locker. Ein gesetzlicher Mindestlohn in Deutschland ist seit Jahren überfällig. Bleiben Sie also dran; denn er ist die elementare Grundlage für mehr soziale Gerechtigkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich hoffe auch, dass Sie geradlinig bleiben und es nicht zulassen, dass es viele verschiedene Mindestlöhnchen geben wird, die sich von Region zu Region oder von Branche zu Branche unterscheiden. Vor allem appelliere ich an Sie – besonders an Sie, Herr Weiß –, dass Sie auf einen Tarifvorrang verzichten. Die daraus entstehenden Probleme kennen wir von der Leiharbeit. Wollen Sie den Pseudogewerkschaften wirklich wieder Tür und Tor öffnen und dann auf jahrelange Gerichtsverfahren hoffen? Wollen Sie tatsächlich neue Beschäftigte erster und zweiter Klasse schaffen?

Ein gesetzlicher Mindestlohn ist per Definition der kleinste gesetzlich zulässige Lohn. Er muss also flächendeckend und für alle Beschäftigten gleichermaßen eingeführt werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Alles andere kann ich nur als Etikettenschwindel bezeichnen.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, jetzt möchte ich mit vier Aspekten kurz, aber grundsätzlich etwas zu all denjenigen sagen, die einen gesetzlichen Mindestlohn immer noch ablehnen.

Erstens. Die Internationale Arbeitsorganisation, ILO, listet bereits über 100 Staaten auf, die über einen Mindestlohn verfügen. Mindestlöhne gehören längst weltweit zu den etablierten Instrumenten, um den Arbeitsmarkt gerechter zu gestalten. Die Bundesregierung hat das aber anscheinend noch nicht verstanden.

Zweitens. Der Europarat wertet den fehlenden Mindestlohn in Deutschland als Verstoß gegen das Recht auf ein gerechtes Arbeitsentgelt, das in der Europäischen Sozialcharta festgeschrieben ist.

(Hubertus Heil (Peine) (SPD): Hört! Hört!)

Wir sind also längst verpflichtet, allen Beschäftigten, die diesen Schutz brauchen, einen angemessenen Lebensstandard durch einen Mindestlohn zu ermöglichen. Allein dieses Argument müsste doch überzeugen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Drittens. Tarifautonomie und gesetzlicher Mindestlohn sind kein Widerspruch. Im Gegenteil, diverse Studien und auch Aussagen der ILO belegen, dass Tarifautonomie und gesetzlicher Mindestlohn zusammengehören und sich ergänzen. Neben den Verhandlungen der Tarifparteien dient der Mindestlohn vorrangig dem Zweck, Beschäftigte im Niedriglohnsektor zu schützen. Das ist fair und fördert übrigens auch den sozialen Frieden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Viertens. Abschließend möchte ich kurz darauf eingehen, warum Sie sich gerade jetzt in der Euro–Krise mit Lohnpolitik und mit dem Mindestlohn beschäftigen sollten. Wenn Löhne im Verhältnis zur Produktivität niedrig sind, dann entstehen Ungleichgewichte, und diese Ungleichgewichte sind eine Ursache der Euro-Krise. Mit einer solidarischen Lohnpolitik, das heißt mit einem Mindestlohn und mit gerechten Tariferhöhungen, würde Deutschland endlich seinen Beitrag zu mehr makroökonomischer Stabilität leisten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn der Wirtschaftsflügel der CDU/CSU-Fraktion dies immer noch nicht nachvollziehen kann, habe ich noch eine weitere Anregung: Klaus Schwab, der Präsident des Weltwirtschaftsforums, sagte in dieser Woche in Genf bei der Pressekonferenz – ich zitiere sinngemäß –:

Der Kapitalismus in seiner derzeitigen Form passt nicht mehr in die Welt. Wir haben die Lektionen aus der Finanzkrise von 2009 nicht gelernt. Die globale Transformation muss dringend damit beginnen, dass sich weltweit wieder ein Sinn für soziale Verantwortung ausbreitet.

Sehr geehrte Regierungsfraktionen, beginnen Sie einfach hier in Deutschland, und zwar mit einem Mindestlohn.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)

 

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