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07.10.2010

Rede: Mindestlohn für die Weiterbildungsbranche



Die Bundesregierung bleibt sich treu. Am Montag wurde der Mindestlohn für die Weiterbildungsbranche nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz abgelehnt. In der Rede und auch im Ausschuss kritisiert Beate Müller-Gemmeke, dass die Bundesregierung die Ablehnung mit der geringen Tarifbindung in der Branche ablehnt. Dieser Vorgang ist unglaublich, gerade die geringe Tarifbindung zeigt, dass Regelungsbedarf in der Branche besteht. Sie kündigt an, dass die Grünen für Mindestlöhne streiten wird, bis die Regierung endlich die Realität auf dem Arbeitsmarkt zur Kenntnis nimmt und Mindestlöhne im Sinne der Beschäftigten einführt.

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Beate Müller-Gemmeke für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

Der Weg ist frei für einen Mindestlohn, so lautete Anfang 2009 die frohe Botschaft, als die Weiterbildungsbranche ins Entsendegesetz aufgenommen wurde. Nun ist die Euphorie verflogen. Am letzten Montag ging der Brief der Bundesregierung an die Antragsteller heraus. In ihm heißt es lapidar: Ein öffentliches Interesse liegt nicht vor. Der Mindestlohn ist abgelehnt. – Es wurde keine Begründung genannt. Da verschlägt es mir fast die Sprache.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gestern im Ausschuss – es wurde schon angesprochen – hat Herr Staatssekretär Brauksiepe auf Nachfrage das fehlende Interesse mit der niedrigen Tarifbindung begründet. Ich kann nur sagen: Ich finde es unglaublich, dass dem Ministerium wohl nicht bekannt ist, welche Kriterien bei der Prüfung des öffentlichen Interesses angelegt werden müssen. Laut einer Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1977 liegt ein öffentliches Interesse vor, wenn eine Gefährdung des Arbeitsfriedens durch eine Aushöhlung des Tarifvertrags vorliegt oder wenn durch eine AVE für Außenseiter, also Beschäftigte ohne Tarifvertrag, angemessene Arbeitsbedingungen gesichert und damit Lohndrückerei und sogenannte Schmutzkonkurrenz beseitigt werden können.

(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)

Die niedrige Tarifbindung ist also kein Ablehnungsgrund, im Gegenteil.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Gegenteil!)

Legt man die Kriterien des Bundesverfassungsgerichts an, dann ist der Mindestlohn in der Weiterbildungsbranche sehr wohl im öffentlichen Interesse.

(Katja Mast [SPD]: Genau!)

Die Prüfung des Bundesarbeitsministeriums ist also völlig verfehlt.

Ein paar Worte zur Branche selbst. Sie betonen immer wieder: Bildung, Arbeitsmarktintegration, aber auch der Fachkräftemangel stehen im Mittelpunkt Ihrer Politik. – Doch nun müssen viele Lehrkräfte weiter unter schlechten oder sogar prekären Bedingungen arbeiten. Wir dürfen nicht vergessen: Wir reden über Beschäftigte, deren Aufgabe es ist, erwerbslose oder von Arbeitslosigkeit bedrohte Menschen zu qualifizieren. Ich kenne die Branche. Ich war nämlich früher dort tätig. Anhaltender Preisverfall für Bildungsmaßnahmen, beispielloses Lohndumping und massive Tarifflucht der Arbeitgeber – das ist die Realität. Die Beschäftigten haben zum großen Teil einen Hochschul- oder Fachhochschulabschluss, und doch werden sie behandelt wie Pädagogen zweiter Klasse.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Bedenken Sie auch, dass der Mindestlohn nur ein erster Schritt in die richtige Richtung wäre; denn viele, die in dieser Branche arbeiten, sind Selbstständige und Honorarkräfte. Auch sie müssen Arbeitsbedingungen und Honorare hinnehmen, die alles andere als angemessen sind. Deswegen sind neben Mindestlöhnen auch Mindesthonorare notwendig, um dieser besonderen Branche gerecht zu werden. Ich appelliere an die Regierungsfraktionen und übrigens auch an die Gewerkschaften: Befassen Sie sich auch mit diesem Thema! Vor allem aber revidieren Sie Ihre Meinung zum Mindestlohn! Setzen Sie sich für die Einführung des Mindestlohns ein!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der CDU/ CSU-Fraktion, am letzten Donnerstag sagte Ministerin von der Leyen bei Maybrit Illner, es sei absolut richtig, dass Arbeitgeber und Gewerkschaften Mindestlöhne für Einzelbranchen aushandeln können. Warum zeigen Sie eigentlich keine Geschlossenheit? Warum unterstützen Sie Ihre Ministerin nicht? Warum setzen Sie sich nicht einmal gegen die FDP durch? Ich gehe davon aus, dass die FDP auch bei diesem Mindestlohn wieder auf der Bremse stand.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aha!)

Zeigen Sie der FDP bei diesem Thema endlich einmal Kante. Ich kann Ihnen auf jeden Fall versichern: Wir Grünen werden bei diesem Thema nicht aufgeben. Wir streiten so lange mit Ihnen, bis Sie endlich die Realität auf dem Arbeitsmarkt zur Kenntnis nehmen und Mindestlöhne im Sinne der Beschäftigten einführen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Streiten können Sie ja!)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Liebe Kollegin, Sie haben uns pünktlich zu Ihrem 50. Geburtstag das Geschenk einer Rede gemacht. Herzlichen Dank und Gratulation zu Ihrem Geburtstag!

(Beifall)