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20.10.2011

Rede: Missbrauch von Werkverträgen verhindern – Lohndumping eindämmen

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Beate Müller–Gemmeke für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Beate Müller–Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

Durch den sogenannten Schlecker–Skandal wurden die Methoden des Lohndumpings in der Leiharbeit bekannt. Selbst die Bundesregierung musste dieses Jahr in dieser Sache endlich tätig werden. Doch die Lohndrückerei in Deutschland geht weiter.

Schon die minimalen Regulierungen bei der Leiharbeit schrecken manche Unternehmen ab. Da verlegt man sich lieber auf Werkverträge; denn diese bergen alle unternehmerischen Vorteile und noch mehr. Bei Werkverträgen gibt es nämlich keinen Mindestlohn, und häufig fehlen Tarifverträge. Außerdem existiert keine Equal–Pay–Regelung. Werkverträge sind also ein weiteres Instrument für Lohndumping. Wir werden weiter für die Rechte der Beschäftigten streiten müssen.

Im Bremer Einzelhandel beispielsweise beträgt der Einstiegsstundenlohn nach dem Tarifvertrag von ver.di 10,20 Euro; Leiharbeitskräfte verdienen nach Mindestlohn wenigstens noch 7,79 Euro. Doch inzwischen räumen Werkverträgler die Regale von Rossmann, Real oder REWE ein; genauso wie zuvor festangestellte Beschäftigte. Und anstatt 10,20 Euro oder wenigstens 7,79 Euro verdienen sie nur noch 6,50 Euro die Stunde. Das kann nicht angehen. So etwas ist für uns nicht akzeptabel.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen, es kann mir niemand weismachen, dass das Einräumen von Regalen ein Werk ist: selbstständig und in Eigenregie, ohne Weisung vom Chef der Filiale. Es kann mir auch niemand weismachen, dass die Werkvertragsbeschäftigten nicht in den normalen Betrieb der Filiale eingebunden sind. All dies sind Kriterien, die einen Werkvertrag ausmachen. Wenn diese Kriterien aber nicht vorliegen, dann liegt auch kein Werkvertrag vor. Dann handelt es sich um klassische Leiharbeit, und die muss wenigstens auch wie Leiharbeit bezahlt werden. Alles andere ist zutiefst ungerecht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Ein Beleg, dass es sich häufig um Scheinwerkverträge handelt, zeigt auch die Nähe zur Leiharbeitsbranche; das wurde vorhin schon ausgeführt. So bietet beispielsweise „Randstad Outsourcing“ Dienst– und Werkverträge für unbefristete Aufgaben an und bewirbt die Leistung im Internet folgendermaßen – ich zitiere:

Mit Randstad setzen Sie auf: Wahrung der Wettbewerbs–, Wachstums– und Ertragschancen, höhere Unternehmenserträge durch Umwandlung von Personalkosten in planbare Sachkosten …

So wird auch für die Leiharbeit geworben – mit „Sachkosten“ sind Menschen gemeint. Für mich ist das alles ziemlich unerträglich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Wie kann es angehen, dass sich in unserem Land immer mehr Lohndumping breitmacht und wir inzwischen schon Spitzenreiter in der EU sind? Ich frage mich: Wo bleibt da die soziale Verantwortung in der Arbeitswelt? Wohin treibt unsere Gesellschaft, wenn die Wirtschaft jede kleinste Möglichkeit ausnutzt, um prekäre Beschäftigung auszubauen?

(Abg. Pascal Kober (FDP) meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage? – Nein?

Beate Müller–Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein, das wäre jetzt auch relativ komisch, weil der Herr Kober ja selber hätte reden können. Dann hätte er ja etwas dazu sagen können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der LINKEN: Arbeitsverweigerung von denen da drüben!)

Die Bundesregierung interessiert das Thema aber nicht, sie sieht keinen Handlungsbedarf.

(Gisela Piltz (FDP): Unparlamentarisch! – Burkhardt Müller–Sönksen (FDP): Unglaublich!)

Ich habe gerade schon angesprochen, dass kein Handlungsbedarf gesehen wird. Die Regierungsfraktionen sitzen hier. Sie haben die Reden zu Protokoll abgegeben; das heißt, hier wird in keinerlei Weise etwas ernst genommen. Man hätte ja wenigstens zu dem Thema reden können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie hätten sich noch die zehn Minuten Zeit nehmen können, um etwas hierzu zu sagen. Das sehe ich schon so.

(Gisela Piltz (FDP): Ich nehme mir die zehn Minuten! – Burkhardt Müller–Sönksen (FDP): Unverschämtheit! Unparlamentarisch! Unkollegial!)

Auf jeden Fall nehmen wir das Thema ernst. Wie die Linken wollen auch wir diese weitere Krankheit des deutschen Arbeitsmarkts angehen. Allerdings greift uns die Linke zu sehr in die unternehmerische Freiheit ein. Uns geht es in erster Linie um eine klare und deutliche Abgrenzung zwischen Werkverträgen und Leiharbeit.

Wir Grünen diskutieren zurzeit einen Weg, wie diese Leiharbeit unter dem Deckmantel von Werkverträgen enttarnt werden kann und vor allem, welche Kontrollen notwendig sind, um diesen Missbrauch zu stoppen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie dürfen sich also darauf freuen, demnächst in diesem Hause auch unseren Antrag zu diskutieren. Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Gisela Piltz (FDP): Das ist also der Grund, warum Sie doch nicht zu Protokoll gegeben haben, wie vereinbart? Das ist ja kollegial!) (Erwiderung Beate Müller–Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich habe nicht vereinbart, die Rede zu Protokoll zu geben!)