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16.12.2010

Rede: Saisonarbeiterrichtlinie – Rechte der Arbeitnehmenden berücksichtigen

Aufgrund der überfüllten Tagesordnung in der letzten Sitzungswoche wurde die Rede zu Protokoll gegeben. Thema war der Richtlinienentwurf der Europäischen Kommission zur Saisonarbeit. Die Migration von Arbeitskräften in die Europäische Union muss gerecht, wirksam und kohärent gestaltet werden. Notwendig ist ein Ansatz, der von den Arbeitnehmerrechten her beginnt zu denken und nicht von der realen oder vermeintlichen Nachfrage nach Arbeitskräften. In diesem Sinne haben gerade Saisonarbeitnehmende ein besonderes Schutzbedürfnis.

Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Die Europäische Kommission hat zum 13. Juli diesen Jahres einen Richtlinienentwurf vorgelegt, mit dem sie die Regelungen für Einreise und Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zum Zweck der Saisonarbeit europaweit vereinheitlichen will. Der Regelungsentwurf steht im Zusammenhang mit weiteren Legislativvorschlägen, die die Migration von Arbeitskräften in die Europäische Union nach dem Willen der Union „gerecht, wirksam und kohärent“ gestalten sollen.

Gerechtigkeit, Wirksamkeit und Kohärenz – in dieser Reihenfolge und Gewichtung – liegen auch der Bundestagsfraktion von Bündnis 90 / Die Grünen am Herzen. Gerade deshalb muss genau geprüft werden, ob der Richtlinienvorschlag die Ansprüche auch erfüllt. Aber dazu sind einige kritische Anmerkungen notwendig.

Zunächst einmal ist zu diskutieren, ob das Vorgehen der Kommission, mit einer Vielzahl an einzelnen Richtlinien – heute wurde ja auch der Richtlinienentwurf zur konzerninternen Entsendung debattiert – im Grundsatz sinnvoll ist. Eine Segmentierung der Rechte und Regelungen für Beschäftigte innerhalb der Europäischen Union nach verschiedenen Kategorien, mit jeweils unterschiedlichen Schutzniveaus und Sicherungsmodellen für Saisonarbeiter, Hochqualifizierte, für Flüchtlinge, für Selbstständige und so fort, kann von uns nicht gewünscht sein. Hier wäre ein Regelungsansatz zielführender, der sich klarer und direkter am Grundsatz gleicher Behandlung und gleicher Bezahlung für EU-Angehörige und für Beschäftigte aus Drittstaaten orientiert. Ein Ansatz, der von den Arbeitnehmerrechten her beginnt zu denken, und nicht von der realen oder vermeintlichen Nachfrage nach Arbeitskräften.

Unabhängig von diesen Einwänden im Grundsatz steht gleichwohl fest: gerade Saisonarbeitnehmende haben ein besonderes Schutzbedürfnis. Sie haben nur zeitlich begrenzte Aufenthaltsrechte und arbeiten vornehmlich in körperlich höchst anstrengenden Tätigkeitsfeldern der Landwirtschaft oder im Gastgewerbe. Fragen der Unterkunft, der Ernährung, vor allem auch der gerechten Entlohnung spielen für sie eine zentrale Rolle. Die Missbrauchsgefahr ist weit höher als bei anderen Formen der Beschäftigung.

Machen wir uns nichts vor: bereits heute leben Angehörige aus Drittstaaten zu Hunderttausenden als Saisonarbeitende in Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Viele von ihnen, auch das muss uns klar sein, haben keinen legalen Aufenthalt. Und zu viele von ihnen sind in der aktuellen Situation Opfer von Missbrauch, Opfer von krassen Formen der Ausbeutung, Opfer einer unwürdigen und nicht hinnehmbaren Rechtlosigkeit.

Falls ein Regelungsentwurf dazu geeignet und in der Lage ist, die Rechte der Saisonarbeiterinnen und Saisonarbeiter aus Drittstaaten angemessen zu schützen, werden wir uns dem im Grundsatz daher nicht versperren. Falls ein solcher Entwurf allerdings zu einer Vielzahl neuer Schlupflöcher, neuer Möglichkeiten von Lohndumping und Ungleichbehandlung führt, dann werden wir ihm ohne weitreichende Korrekturen nicht zustimmen können. In wesentlichen Punkten sehen wir beim vorliegenden Entwurf noch deutlichen Korrekturbedarf.

Die Unklarheiten fangen bei der Höhe der Bezahlung an. Die vorgeschlagenen Formulierungen zum zulässigen Mindestentgelt zeigen wieder einmal auf: Deutschland hat aufgrund fehlender Mindestlöhne einen blinden Fleck im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten. Wir haben zwar ein System der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen und der Festlegung von branchenspezifischen Mindestlöhnen, nur leider kommt es wegen der Blockadehaltung der schwarz-gelben Bundesregierung nicht zur Anwendung. Das ist kein europäisches Problem, das ist ein deutsches Problem und ich kann nur ein weiteres Mal betonen wie wichtig es ist, dass sich beim Thema Mindestlöhne endlich etwas bewegt in unserem Land.

Der Richtlinienentwurf hat aber auch viele interne Mängel und Unklarheiten, die dringend korrigiert werden müssen. Die Frage ist ungeklärt, welche Branchen überhaupt für Saisonbeschäftigung in Frage kommen. Der Schutz der Saisonbeschäftigten vor zu hohen Reise- und Visumskosten, überzogenen Forderungen für gestellte Verpflegung und horrenden Vermittlungsgebühren muss gestärkt werden. Viele Fragen der sozialen Sicherung der Beschäftigten sind nur unzureichend gelöst. Auch für Saisonarbeitnehmende muss das Verhältnis von Einzahlung und Auszahlung bei der Sozialversicherung fair und transparent sein. An vielen weiteren Stellen ist noch gänzlich unklar, wie die Richtlinie im Detail umgesetzt werden kann, um den Anspruch auf mehr Gerechtigkeit, Wirksamkeit und Kohärenz auch wirklich zu erfüllen.

Daher fordern wir die Bundesregierung auf, sich in den weiteren Verhandlungen im Europäischen Rat für eine Verbesserung des Richtlinienentwurfes im Sinne der Rechte der Beschäftigten einzusetzen. Die Bundesregierung trägt hier eine hohe Verantwortung sowohl den Menschen aus Ländern außerhalb der EU als auch den Beschäftigten aus den Mitgliedstaaten gegenüber. Bitte nehmen Sie diese Verantwortung entsprechend wahr und nehmen sie die genannten Probleme und den Handlungsbedarf ernst.