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14.04.2011

Rede: Soziale Sicherungssysteme

Die Debatte zum Gesetzentwurf zur stärkeren Abstimmung der sozialen Sicherungssysteme im Rahmen der Personenfreizügigkeit in Europa wurde zu Protokoll gegeben. Das Thema ist wichtig, aber auch relativ technisch und formal. Kontrovers wurde der Gesetzentwurf während den Beratungen nur, weil die Bundesregierung unerwartet und kurzfristig einen Änderungsantrag eingebracht hat, der mit dem Thema überhaupt nichts zu tun hatte. Sachgerechte Behandlung von Themen sieht anders aus – aber wir kennen das ja schon von der Bundesregierung.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

stärkere Personenfreizügigkeit innerhalb der Mitgliedsländer der Europäischen Union erfordert auch eine stärkere Abstimmung der sozialen Sicherungssysteme. Diese ist ein wichtiger Schritt hin zu einem „sozialen Europa“, in dem mobile Arbeitskräfte ausreichende und vor allem lückenlose Schutzrechte und Absicherungen erhalten. Sofern grundlegende datenschutzrechtliche Belange beachtet werden, kann der Abgleich von Versichertendaten auch ein wichtiger Baustein im Kampf gegen Schwarzarbeit und Sozialversicherungsbetrug sein. Die eher technische Aufgabenstellung wird durch den vorliegenden Entwurf insgesamt recht ordentlich gelöst, deshalb werden wir dem Gesetzentwurf zur Koordinierung der sozialen Sicherheit in Europa zustimmen.

Allerdings habe ich den Eindruck, dass es den Koalitionsfraktionen nicht gut bekommt, wenn die Opposition zu wenig Anlass zur Kritik sehen. Nach den fraktionsübergreifend im Grundsatz positiven Debattenbeiträgen legten CDU/CSU und FDP einen Änderungsantrag zur Beratung in den Ausschüssen vor.

Dieser Änderungsantrag sollte unter anderem einen neuen § 295a im Sozialgesetzbuch V schaffen, durch den die Datenverarbeitung bei besonderen Versorgungsformen geregelt werden sollte, unter anderem bei der hausarztzentrierten Versorgung. Die Aufnahme dieses Punktes war völlig daneben.

Erstens handelt es sich dabei um ein komplexes Thema, das seit Jahren auf eine Lösung wartet. Die Einschätzungen über die Rechtssicherheit und Zulässigkeit der vorgeschlagenen Regelung gehen allerdings unter sachkundigen Experten auseinander. Dies zeigt auch die Debatte zwischen dem Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit und seinem Amtskollegen aus dem Land Schleswig-Holstein. Damit beschleicht einen das Gefühl, hier solle unbemerkt eine seit Monaten ausstehende Regelung durch gewunken werden. So geht das natürlich nicht. Für uns hat der Datenschutz einen besonderen Stellenwert.

Genau deshalb ist es aber – zweitens – ein Unding, dieses Regelungsvorhaben als Unterpunkt eines Änderungsantrages zu einem gänzlich anderen Thema einzubringen. Ohne Not, ohne begründeten Zeitdruck und ohne zwingenden inhaltlichen Grund sollte der vorliegende Gesetzentwurf quasi als „Omnibus“ für sonstige Regelungsbedarfe verwendet werde. Ich finde, das wird der Sache nicht gerecht. Es ist handwerklich wirklich schlecht, wenn die Ablehnung einer an sich nicht schlechten Vorlage in Kauf genommen wird, weil man sie mit anderen Themen überfrachtet.

Das zeigt – drittens – auch mangelnden Respekt vor dem Parlament und seinen Ausschüssen. Die Strukturen und Verfahren des Deutschen Bundestages sind darauf angelegt, zwischen den Lesungen die parlamentarischen Initiativen durch Beratung und Änderungsanträge zu verbessern. Aber sie sind nicht dafür gedacht, gänzlich neue Themen hinzuzustellen. Sachgerechte Beratung sieht anders aus.

Am Ende haben CDU/CSU und FDP ihr hemdsärmeliges Vorgehen offenbar eingesehen. Der besagte Punkt 1d des Änderungsantrags wurde gestrichen. Die verbleibenden Punkte sind insgesamt unproblematisch und haben in den Ausschüssen auch die Zustimmung der Grünen gefunden. Rückkehrende aus internationalen Organisationen sollen demnach unter den gleichen Voraussetzungen wie Auslandsrückkehrende Zugang zur GKV erhalten, wenn sie innerhalb von zwei Monaten eine neue Beschäftigung im Inland aufnehmen. Dem steht nichts entgegen.

Die „Arbeitsgemeinschaft Berufsständischer Versorgungseinrichtungen“ soll bei der Festlegung des anzuwendenden Rechts beteiligt werden, soweit der von ihr betreute Personenkreis betroffen ist. Auch gegen diese Anregung von Seiten des Bundesrates ist nichts einzuwenden. Schließlich soll die zuständige Datenstelle gegebenenfalls Informationen an die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft zum Zwecke der Einziehung von Beiträgen und der Gewährung von Leistungen übermitteln. Dies ist zu begrüßen als Schritt zur Verhinderung von Schwarzarbeit und zur Gewährleistung sozialer Arbeitnehmerrechte.

Wir, die Fraktion von Bündnis 90 / Die Grünen, werden dem Gesetzentwurf daher auch in seiner geänderten Form zustimmen. Als überzeugte Europäerinnen und Europäer werden wir uns Regelungen nicht entgegenstellen, welche die europaweite Mobilität von Arbeitnehmenden durch eine bessere Koordinierung sozialer Absicherung ergänzt.

In diesem Zusammenhang möchte ich auch nochmals wiederholen: hier gibt es noch einiges zu tun. Beispielsweise sollte die Bundesregierung dafür Sorge tragen, dass auch Ansprüche aus Betriebsrenten in ein anderes europäisches Land mitgenommen werden können. Kollege Wadephul hat diesen Aspekt in seiner Rede zur Einbringung des Gesetzentwurfes ebenfalls erwähnt. Nun müssen den Worten allerdings noch Taten folgen.

Vielen Dank.