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28.04.2016

Rede und Antrag: Mehr Zeitsouveränität - damit Arbeit besser ins Leben passt

Beschäftigte wollen immer öfter selbst bestimmen, wann und wo sie arbeiten. Sie brauchen mehr Zeitsouveränität, damit sie Erwerbsarbeit und Privatleben besser unter einen Hut bekommen. Bisher haben vor allem die Arbeitgeber Ansprüche an die Flexibilität ihrer Angestellten gestellt. Doch Flexibilität ist keine Einbahnstraße, sondern ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Darum haben wir einen Antrag in den Bundestag eingebracht, denn die Beschäftigten brauchen mehr Zeitsouveränität.

Vizepräsident Peter Hintze: Die nächste Rednerin ist die Kollegin Beate Müller-Gemmeke von Bündnis 90/Die Grünen.

Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

Die Arbeitswelt verändert sich, die Wünsche der Beschäftigten aber auch. Die Arbeitswelt wird flexibler, sie wird arbeitsintensiver, oft steht weniger Personal zur Verfügung. Über 50 Prozent der Beschäftigten fühlen sich gehetzt. Und viele erleben sich dann noch Tag für Tag als Organisationstalente, insbesondere Frauen; denn sie müssen ihre Erwerbsarbeit und ihr privates Leben unter einen Hut bringen.

Aber hier verändert sich etwas. Die Beschäftigten wollen mehr Zeit für die Familie, sie wollen nicht ständig hetzen, sie wollen sich beispielsweise auch ehrenamtlich engagieren. Sie brauchen auch Zeit für sich, um sich zu erholen. Darauf brauchen wir passende Antworten. Die Beschäftigten brauchen mehr Zeitsouveränität; denn Arbeitszeit ist Lebenszeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Manche wollen weniger arbeiten, andere wollen mehr arbeiten, wieder andere sind mit ihrem Arbeitsumfang zufrieden. Viele müssen Vollzeit arbeiten, weil sie sich kürzere Arbeitszeiten finanziell gar nicht leisten können. Gerade sie brauchen mehr Zeitsouveränität im Arbeitsalltag. Sie wollen vielleicht gerne etwas später anfangen wegen der Kinder, sie wünschen sich einen freien Nachmittag für die alten Eltern, und sie träumen von einem Tag Homeoffice, um sich die Fahrzeit ins Büro zu sparen. Deshalb fordern wir, dass die Beschäftigten mehr Einfluss darauf nehmen können, wann sie arbeiten und wo sie arbeiten. Herr Lagosky, wir wollen das auch in Betrieben ohne Betriebsrat. Sie kennen die Zahlen, Sie wissen, wie es da aussieht. Natürlich wollen wir auch Betriebsvereinbarungen zu Vereinbarkeitsfragen und für mehr Zeitsouveränität stärken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Flexibilität ist keine Einbahnstraße. Deshalb wollen wir die Arbeitszeit beweglicher gestalten, damit Arbeit besser ins Leben passt.

Eine neue Arbeitskultur ist auch notwendig, weil das Arbeitsleben insgesamt Tempo macht. Die Stichworte sind bekannt: Arbeitsverdichtung, zunehmende Arbeitsintensität, gleichzeitig verlängern sich die Arbeitszeiten wieder, Schichtarbeit, Nachtarbeit, immer mehr Menschen arbeiten auch am Wochenende. Die Folge: Den Beschäftigten geht zunehmend die Puste aus. Immerhin ergibt sich jede zweite Frühverrentung aufgrund psychischer Erkrankungen.

Wir müssen hier Druck herausnehmen, und zwar für alle. Mehr Freiheit bei der Arbeitsgestaltung hilft gegen ständige Arbeitshetze, aber das reicht natürlich nicht aus. Politik, Sozialpartner und Wissenschaft müssen den Betrieben und Betriebsräten endlich eine Verordnung als Werkzeug an die Hand geben, damit sie im Betrieb passende Lösungen gegen Stress am Arbeitsplatz entwickeln können; denn in der Arbeitswelt brauchen die Menschen beides: Zeitsouveränität und besseren Schutz.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Markus Paschke (SPD))

In manchen Bereichen geht der Trend, auch durch die Digitalisierung, hin zu mehr Zeitsouveränität. Die Menschen können arbeiten, wann und wo sie wollen. Arbeit ist nicht mehr an einen Arbeitsplatz gebunden. Ein Beispiel ist die Vertrauensarbeitszeit: Da geht es nicht mehr um Stunden und Anwesenheit. Das bringt Freiheiten – das ist gut so -, aber so entsteht oft auch Mehrarbeit, häufig unbezahlt, und so verschwimmen auch die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit. Hier brauchen wir dringend politische Lösungen. Wenn beispielsweise die Beschäftigten im Urlaub arbeiten müssen, dann kann das nicht als Urlaub zählen. Vor allem wollen wir auch die Mitbestimmung an die die digitale Arbeitswelt anpassen. Wenn durch Vertrauensarbeitszeit Arbeit entgrenzt und Mehrarbeit entsteht, dann soll der Betriebsrat künftig auch über den Umfang der Arbeit mitbestimmen können. Wir wollen Flexibilität ermöglichen, aber nicht grenzenlose Arbeit; denn Zeitsouveränität soll tatsächlich zu mehr Lebensqualität führen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Geht es um die Gestaltung der Arbeitszeit, dann nehmen wir auch die Arbeitsformen in den Blick, bei denen die Beschäftigten besonders wenige Freiheiten haben. Dabei ist mir die Arbeit auf Abruf ein besonderes Anliegen. Die so Beschäftigten erhalten häufig einen niedrigen Lohn, sie wissen aber nicht, wann und vor allem wie viel sie arbeiten können. Sie haben keine Zeitsouveränität und können deshalb nicht einmal einen zweiten Job annehmen, damit sie von ihrer Arbeit auch leben können. Das geht gar nicht. Das wollen wir verändern. Bei der Arbeit auf Abruf muss die Arbeitszeit berechenbarer werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sehr geehrte Regierungsfraktionen, wir legen Ihnen heute Vorschläge auf den Tisch und wollen damit eine Debatte, eine Diskussion über mehr Zeitsouveränität eröffnen. Arbeit muss besser ins Leben passen. Deshalb fordern wir eine bessere Balance zwischen allen Bereichen des Lebens; denn die Menschen leben ja nicht, um zu arbeiten, sondern sie arbeiten, um gut zu leben.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

 

Rede als PDF

Antrag: Zeitsouveränität