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18.10.2014

Reutlinger Frauenmahl – Perspektiven für die Zukunft

Ich war zum Reutlinger Frauenmahl eingeladen und durfte eine Tischrede zum Thema „Was das gute Leben von Frauen ausmacht“ halten. Das Frauenmahl wird deutschlandweit von der Evangelischen Kirche durchgeführt mit Redebeiträgen und Diskussionen über die Zukunft unserer Gesellschaft und ist mit einem gemeinsamen festlichen Essen verbunden. Es war ein anregender und sehr schöner Abend.

Sehr geehrte Damen,

„was das gute Leben von Frauen ausmacht“ – das ist eine wirklich sehr gute Frage, die mich sofort fasziniert hat. Die Frage ist aber nicht einfach. Vor allem ist die Frage spannend, denn sie kann aus ganz unterschiedlichen Perspektiven beantwortet werden. Mein Part ist die Sicht einer Politikerin – und doch sind es Gedanken, die mir persönlich ein besonderes Anliegen sind.

Ein „gutes“ Leben – bedeutet für alle Frauen etwas anderes. Die Wünsche, aber auch die Lebensumstände, sind vielfältig. Was das gute Leben für Frauen ausmacht – ist also für mich, dass die Rahmenbedingungen und die Voraussetzungen stimmen, dass alle Frauen ausreichend Möglichkeiten, Chancen und die Freiheit erhalten, ihr Leben „gut“ zu gestalten.

Eine Grundvoraussetzung dafür ist: Mitspracherecht.

Der Blick zurück zeigt: Frauen dürfen erst seit knapp 100 Jahre wählen. Bis 1958 hatte der Ehemann das alleinige Bestimmungsrecht über Frau und Kinder. Ohne Zustimmung des Mannes durften Frauen kein eigenes Bankkonto eröffnen – noch bis 1962. Und erst seit 1977 – da war ich bereits 17 Jahre alt – dürfen Frauen auch ohne die Erlaubnis des Mannes arbeiten gehen – das ist noch keine 40 Jahre her.
Mitspracherecht bedeutet, auf Augenhöhe miteinander umgehen – in der Familie, am Arbeitsplatz, im politischen Leben, in der Gesellschaft. Wenn Frauen anerkannt sind, wenn sie gehört und ernst genommen werden, dann erfahren sie Wertschätzung. Das ist aus meiner Sicht ein wichtiger Aspekt, der das gute Leben von Frauen ausmacht.

Eine weitere Grundvoraussetzung ist: Gleichstellung.

Und damit bin ich im Hier und Jetzt: Juristisch gesehen, sind Frauen gleichberechtigt, denn das ist im Grundgesetz verankert. Faktisch sind sie es aber nicht. Frauen verdienen noch immer weniger als Männer. Und nur weil eine Frau in Teilzeit arbeitet, wird sie häufig nicht befördert – sie muss sich ja zu Hause um die Kinder kümmern. Frauen sind zwar mittlerweile in allen wichtigen Funktionen vertreten – aber es sind immer noch zu wenige. Ein Beispiel ist der Bundestag – dort ist der Anteil von Frauen nur 36,5 Prozent.

Gleichstellung ist individuell für jede Frau wichtig. Sie ist aber auch deshalb bedeutsam, weil Frauen sich dann in allen Lebensbereichen für Frauen einsetzen können. Wenn Frauen sich einmischen – wenn sie die Fäden selbst in der Hand haben, wenn sie entscheiden und gestalten können, dann verändern sich die Rahmenbedingungen. Wenn die Anliegen von Frauen beachtet und bedacht werden, dann ist auch das ein wichtiger Aspekt, der das gute Leben von Frauen ausmacht.

Eine weitere Grundvoraussetzung ist: eine neue Zeitsouveränität.

Und damit bin ich bei den Perspektiven für die Zukunft. Frauen wollen oder müssen vermehrt berufstätig sein und sie wollen Familie und sie wollen beides miteinander vereinbaren. Aber unsere Arbeitswelt funktioniert noch immer nach den alten Regeln, als wäre der Arbeitsmarkt weiterhin ausschließlich von Männern dominiert. Vollzeit gilt noch immer als Normalarbeitsverhältnis. Und wer als letztes das Licht ausknipst, der hat die besten Chancen befördert zu werden.

Fakt ist – heute haben alle weniger Zeit für sich, als ihre Eltern früher. Zeit ist knapp, insbesondere wenn Frauen vieles parallel schultern müssen. Und auch der Stress am Arbeitsplatz nimmt insgesamt zu. Auch bei der Arbeit ist die Zeit knapp.

Notwendig ist eine neue Zeitsouveränität. Es geht dabei nicht unbedingt darum, weniger zu arbeiten, sondern um die Möglichkeit sich die Arbeitszeit so zu legen, wie sie am besten in das eigene Leben passt, um unterm Strich gefühlt mehr Zeit zu haben. Aber Zeitsouveränität meint natürlich auch, Arbeitszeit in bestimmten Phasen des Lebens reduzieren zu können.

Eine neue Zeitsouveränität bedeutet also, dass zukünftig neue Freiheiten entstehen (müssen). Denn natürlich wirkt sich das auf die partnerschaftliche Betreuung von Kindern aus und auf die Care-Arbeit für kranke und alte Menschen. Sie beeinflusst die Planung des Alltags mit der Familie und mit Freunden, soziales, ökologisches und politisches Engagement oder sportliche und kulturelle Aktivitäten. Sie beeinflusst die Möglichkeiten, Zeit für Bildung zu nutzen oder einfach nur für Muße.

Wirtschaft und Gesellschaft müssen hier umdenken und die Politik muss die notwendigen Rahmenbedingungen setzen, denn dies wird – und davon bin ich zutiefst überzeugt – der zentrale Aspekt, der das gute Leben von Frauen zukünftig ausmacht.

Das waren nur drei Aspekte – natürlich gibt es noch andere – beispielsweise Gerechtigkeit.
Zum Schluss ist mir eines sehr wichtig. Viele mutige Frauen sind aufgestanden und haben für die Rechte der Frauen gekämpft. Sie haben die Grundsteine dafür gelegt, dass Frauen heute selbstbestimmt ihr „gutes Leben“ gestalten können. Ich hoffe auf viele engagierte Frauen in der Zukunft, die sich weiter einmischen – für ein gutes Leben von Frauen.

 

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