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15.08.2010

Wir brauchen kein milliardenschweres Nadelöhr

Mit einem Leserbrief, welcher im Reutlinger General-Anzeiger erschienen ist, reagiert Beate Müller-Gemmeke auf die anhaltende Debatte um das Bahnprojekt Stuttgart 21. Dabei geht sie auf die nicht vorhandenen Vorteile für die Region Reutlingen ein und stellt klar, dass andere Infrastrukturinvestitionen auf lange Zeit verschoben sind.

Richtig ist, dass Stuttgart 21 in demokratischen Entscheidungen in den jeweiligen Parlamenten mit den Stimmen von CDU, SPD und FDP eine Mehrheit bekam. Genauso richtig ist aber, dass sich bei einem Bürgerbegehren in Stuttgart 67.000 BürgerInnen (anstelle der erforderlichen 20.000) für die Durchführung eines Bürgerentscheides aussprachen. Auch dieser Bürgerbescheid wurde ganz demokratisch mit den Stimmen von CDU, SPD, FDP und Freien Wählern abgelehnt, nachdem zuvor schon Stuttgarts OB Schuster, die vor seiner Wahl 2004 gemachte Zusage eines Bürgerentscheids im Fall erheblicher Mehrkosten, nicht eingehalten hat. Demokratisch ist auch, dass wir – und viele andere auch – jetzt „Krach“ machen, um gehört zu werden – nachdem die Situation durch Kostensteigerungen und unter Verschluss gehaltene Gutachten unerträglich wird. Das ist genauso legitim, wie die Forderung vom SPD-Bundestagsabgeordneten Hermann Scheer, der eine Bürgerbefragung fordert.

CDU und SPD in Reutlingen sprechen im Leserbrief Harsch/Amann jetzt bei Stuttgart 21 von vielen Vorteilen für Reutlingen und führen dann genau zwei auf, nämlich die schnelleren Verbindungen von Reutlingen nach Stuttgart und zum Flughafen. Recht haben sie: Nach den offiziellen Angaben wird der Zug nach Stuttgart genau eine(!) Minute weniger brauchen als der Regionalexpress heute, nämlich 35 statt 36 Minuten. Dies allerdings frühestens im Jahr 2020.

Viel wahrscheinlicher ist jedoch, dass die Fertigstellung von Stuttgart 21 erst Jahre später erfolgen wird. Zudem ist es zweifelhaft, ob bei der geplanten Einspurigkeit der sogenannten Wendlinger Kurve, die geplanten Fahrtzeiten tatsächlich eingehalten werden können. Das Problem bei der Wendlinger Kurve gilt natürlich auch für die Verbindung zum Flughafen, die im optimalen Fall dann 25 Minuten dauern könnte. Das wäre in der Tat eine wirkliche Verbesserung für die Region – frühestens im Jahr 2020, wohlgemerkt. Mit einem non-stop-Expresso-Bus könnte der Kreis Reutlingen diese Schnellverbindung allerdings auch schon heute bekommen, politischen Willen im Kreistag und entsprechende Finanzierung vorausgesetzt.

Die Mittel für Stuttgart 21 sind natürlich zweckgebunden z. B. die Landesmittel für den Öffentlichen Verkehr im Land. Damit können also keine Verkehrsprojekte in anderen Teilen Deutschlands finanziert werden, wie Harsch/Amann fälschlich ausführen. Sehr wohl fehlen werden diese Mittel aber bei der Finanzierung anderer Projekte im Land wie der Elektrifizierung von Bahnstrecken (z. B. Tübingen-Sigmaringen) und eben auch der Regional-Stadtbahn Reutlingen-Tübingen. Vorausgesetzt das für Herbst angekündigte Ergebnis der standardisierten Bewertung zur wirtschaftlichen Tragfähigkeit der Stadtbahn ist positiv, hat das Land bereits im Januar signalisiert, dass es die Regional-Stadtbahn grundsätzlich für förderwürdig hält. Dies kann auch Prof. Weiblen in seinen Kreistags-Unterlagen nachlesen. Aber genau diese Förderung durch das Land wird durch die Bereitstellung von Landesmitteln für Stuttgart 21 in Frage gestellt.

Abschließend soll noch eine Frage von Harsch/Amann beantwortet werden: Wir als Befürworter der Schiene demonstrieren gegen Stuttgart 21, weil wir nur sinnvolle Projekte unterstützen. Die Alternative zu Stuttgart 21 heißt nicht Stillstand. Wir haben wie München und Frankfurt einen funktionierenden Kopfbahnhof in Stuttgart und brauchen kein milliardenschweres Nadelöhr durch Stuttgart 21.