Ukraine #14: Nächte ohne Ruhe – und Menschen voller Mut

Diese fünfte Reise mit „Ermstal hilft“ hinterlässt erneut viele Eindrücke, was Krieg bedeutet: Nächte voller Luftalarm, zerstörte Infrastruktur und überall Gedenkstätten. Und doch erleben wir Menschen, die Normalität aufbauen, arbeiten, einander stützen. Sie wirken müder – aber sie geben nicht auf. Ihr Mut verdient unsere Unterstützung.

Auch diese Reise in den Süden der Ukraine – nach Ismajil, Arzis, Bilhorod-Dnistrowskyj, Odessa, Mykolajiw und Bessarabske – hat die Folgen des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs deutlich gezeigt. Die ständigen russischen Drohnen- und Raketenangriffe, vor allem nachts, sollen nichts anderes als Terror erzeugen: Angst, Erschöpfung, Unruhe. Es ist ein systematischer Versuch, die Zivilgesellschaft zu zermürben. Und man spürt das – in den Gesprächen und teilweise auch in den Gesichtern.

Trotzdem versuchen die Menschen, ein möglichst normales Leben zu führen. Sie gehen arbeiten, treffen Familie und Freund:innen, sitzen in Cafés und Restaurants – sie lachen und feiern auch. Aber wirklich zur Ruhe kommen sie kaum. Allein in dieser Woche gab es nachts 16,5 Stunden Luftalarm. Mal kurz, mal länger. Eine Nacht blieb es ganz ruhig, in anderen kamen drei Warnmeldungen hintereinander. Das geht an die Nerven. Alarm bedeutet, aus dem Schlaf gerissen zu werden. In unserem Hotel wussten wir schnell, wohin wir gehen müssen: in den Bunker oder zumindest in den fensterlosen Gang – zwei Wände, um Druckwellen abzufangen. Dieses ständige Abwägen zwischen Routine und Gefahr begleitet einen die ganze Zeit.

Wir haben in dieser Woche die Nacht mit den meisten Angriffen erlebt. 705 Drohnen und Raketen wurden allein in dieser einen Nacht in Richtung Ukraine abgefeuert – so eine Bedrohung hatte es vorher nicht gegeben. Es ist etwas anderes, diese Zahl zu lesen, als dort zu sein und – so wie ich – immer wieder nach den Meldungen zu schauen. Das Bild, das ich anhänge, macht sichtbar, was die Menschen in diesen Stunden spüren: eine ununterbrochene Bedrohung am Himmel.

Ein weiteres Bild zeigt die Flugbewegungen während dieser Angriffe über der gesamten Ukraine. Es visualisiert, wie dicht das Netz der Drohnen- und Raketenrouten war – und wie gezielt Städte beschossen wurden. Die ausführliche Erläuterung dazu hänge ich im Beitrag gesondert an.

Die Menschen verfolgen die zwangsläufig die Luftalarme. Viele schauen, ob Bekannte oder Angehörige betroffen sein könnten. Und besonders bedrückend ist, dass erneut vor dem Winter lebenswichtige Infrastruktur angegriffen wird: Strom, Wärme, Wasser. In Mykolajiw funktioniert seit über drei Jahren die Wasserversorgung nicht mehr. Alles Trinkwasser muss aufbereitet werden. Wir haben eine solche Anlage besucht – und genau in dem Moment, als wir ankamen, ging der Luftalarm los. Diese Orte gehören zu den Hauptangriffszielen. Mir war mulmig, aber es ging gut.

Doch es geht nicht immer gut. Das sieht man in allen Städten an den zentralen Gedenkstätten. Wir haben sie überall besucht. Die vielen Fotos junger Männer, die gefallen sind, gehen tief unter die Haut. Jede Stadt, jeder Ort trägt seinen eigenen Verlust. Es sind Orte, an denen die Stille laut ist.

Und trotzdem: Die Menschen geben nicht auf. Sie sind müder geworden, ja – aber sie bleiben entschlossen. Sie organisieren ihr Leben, sie halten zusammen, sie zeigen eine beeindruckende Kraft. Gerade deshalb fahre ich immer wieder in die Ukraine. Diese Begegnungen tun den Menschen gut – und sie tun auch mir gut.

Es bleibt entscheidend, dass Deutschland und Europa weiter Waffen liefern. Die Ukraine muss sich verteidigen können, damit die Menschen nicht schutzlos ausgeliefert sind. Ihr Mut verdient unseren Beistand – dauerhaft.

#StandWithUkraine

Flugbewegungen am 29.10.2025 – Erläuterungen