Warum Friedrich Merz mit seiner 530-Euro-Aussage völlig danebenliegt
Bundeskanzler Friedrich Merz fragte kürzlich, warum Menschen, die 530 Euro in einem Minijob verdienen und Bürgergeld beziehen, nicht auch für 2.000 Euro arbeiten könnten. Diese Aussage wirkt nicht nur realitätsfremd, sondern auch zynisch. Sie zeigt, wie wenig Merz die Lebenswirklichkeit vieler Erwerbsloser in Deutschland versteht.
Mit seiner Bemerkung hat Friedrich Merz einmal mehr verdeutlicht, wie groß die Distanz zwischen seiner politischen Rhetorik und dem Alltag der Menschen ist. Denn die meisten Menschen, die in Minijobs arbeiten – ob mit oder ohne Bürgergeld – tun dies nicht freiwillig oder aus Bequemlichkeit. Es gibt unterschiedliche Gründe, warum sie lange arbeitslos sind.
1. Menschen arbeiten im Minijob nicht aus Bequemlichkeit
Viele Beschäftigte sind auf eine geringfügige Anstellung angewiesen, weil gesundheitliche Einschränkungen, die Betreuung von Kindern oder die Pflege von Angehörigen eine vollzeitnahe Beschäftigung unmöglich machen. Besonders gravierend ist die fehlende, verlässliche Kinderbetreuung. Sie stellt gerade Alleinerziehende vor unlösbare Probleme – denn wer alleine für die Kinder verantwortlich ist, kann ohne verlässliche Betreuung schlicht nicht mehr arbeiten. Frauen tragen hier die Hauptlast, da sie nach wie vor den Großteil der unbezahlten Care-Arbeit übernehmen und dadurch häufig in Minijobs gefangen bleiben. Hinzu kommen psychische Belastungen oder persönliche Krisen, die sich nicht mit einem Vollzeitjob vereinbaren lassen. Ein weiteres Hindernis sind Mobilitätsprobleme: Wer wenig Geld hat, kein Auto besitzt und auf dem Land lebt, ist auf Jobs in unmittelbarer Nähe angewiesen – und landet so oft im Minijob, weil passende Alternativen schlicht nicht erreichbar sind.
2. Strukturelle Probleme am Arbeitsmarkt
Minijobs sind kein Ausdruck mangelnden Willens, sondern auch ein Symptom struktureller Schieflagen. Es fehlt an regulären, existenzsichernden, sozialversicherungspflichtigen Stellen – und an Arbeitszeiten, die zum Leben passen. Ein Problem ist die unfreiwillige Teilzeit: Viele würden gern mehr Stunden arbeiten, finden aber keine passenden Beschäftigungsverhältnisse. Geteilte Schichten, kurzfristige Dienstpläne und Rufbereitschaft verhindern planbare Mehrarbeit. Viele Arbeitgebende setzen bewusst auf Minijobs und kleine Teilzeitkontingente, um flexibel zu bleiben. Gerade im Handel, im Gastgewerbe und in der Pflege sind Minijobs überdurchschnittlich verbreitet – deutlich häufiger als in anderen Branchen.
3. Minijobs sind rechtlich und sozial problematisch
Minijobs bringen viele Nachteile mit sich: niedrige Löhne, geringe soziale Absicherung, kaum Weiterbildung, keine Aufstiegsmöglichkeiten, nur minimale Rentenansprüche und oft eine Verletzung von Arbeitnehmerrechten – etwa bei Urlaubsansprüchen oder Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Auch die eigentlich geltenden Kündigungsfristen werden im Alltag häufig nicht eingehalten. Besonders in der Corona-Pandemie wurde das deutlich: Viele Beschäftigte verloren von heute auf morgen ihren Job – ohne Anspruch auf Arbeitslosengeld, weil in Minijobs keine Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gezahlt werden. Minijobs betreffen vor allem Frauen, zementieren bestehende Ungleichheiten und verhindern echte Chancen.
4. Minijobs müssen reformiert werden – und sind doch nur ein Teil des Problems
Anstatt Minijobber:innen mit Vorurteilen zu überziehen, braucht es eine Politik, die die Beschäftigungsform Minijob mit all ihren Nachteilen grundlegend angeht. Und das meint, Minijobs grundsätzlich sozialversicherungspflichtig zu machen – mit Ausnahmen für Studierende und Rentner:innen. Ebenso wichtig sind der Ausbau von Kinderbetreuung und Pflegeangeboten, damit mehr Menschen regulär und länger arbeiten können, sowie eine stärkere Tarifbindung und ein gerechter, armutsfester Mindestlohn. Doch selbst wenn Minijobs reformiert würden, blieben viele Schwierigkeiten bestehen. Denn nicht alle Erwerbslosen könnten dadurch in reguläre Arbeit wechseln. Viele kämpfen weiterhin mit gesundheitlichen Einschränkungen, psychischen Belastungen, fehlender Mobilität oder der Pflege von Angehörigen. Diese Hürden verschwinden nicht durch arbeitsrechtliche Reformen allein, sondern erfordern eine Politik, die den Alltag der Menschen insgesamt in den Blick nimmt.
Fazit: Mehr Respekt statt Vorurteile
Menschen, die in Minijobs arbeiten – ob als Reinigungskräfte, Bäckereiverkäufer:innen oder Pflegehilfen – sind unverzichtbar für unsere Gesellschaft. Ihre Arbeit verdient Anerkennung, nicht herablassende Kommentare. Das gilt unabhängig davon, ob jemand Bürgergeld bezieht oder nicht. Jede Arbeit ist wichtig und verdient Respekt.
Friedrich Merz hat mit seiner Bemerkung über Minijobs und Bürgergeld gezeigt, wie ahnungslos er gegenüber der Lebenswirklichkeit vieler Menschen ist. Die Aufgabe der Politik ist es nicht, Betroffenen die Schuld zuzuschieben, sondern Rahmenbedingungen zu schaffen, die allen Menschen eine faire Chance geben – und die ermöglichen, würdig, fair und sicher zu arbeiten.