Widerspruch – wenn Journalismus nach unten tritt
Es ist schon bemerkenswert, in welcher Tonlage heute über Menschen gesprochen wird. In Zeiten, in denen der Zusammenhalt in der Gesellschaft brüchig wird und die politische Stimmung aufgeheizt ist, legt ausgerechnet eine Kolumne im Spiegel noch nach. Bohme arbeitet mit pauschalen Urteilen und befeuert damit Ressentiments. Das kann so nicht stehen bleiben. Journalismus trägt Verantwortung – auch sprachlich.
Schon die zentrale Frage des Textes zeigt, wie verächtlich dieser Ton ist:
„Wenn ›nett‹ die kleine Schwester von ›blöd‹ ist, was ist dann Flüchtlingspolitik und Arbeitslosenverwaltung in Deutschland?“ Dieser Satz ist nicht witzig. Er ist entwürdigend. Denn er richtet sich nicht nur gegen Behörden, sondern gegen die Menschen, um die es geht – gegen Geflüchtete, gegen Arbeitslose, gegen alle, die auf Solidarität angewiesen sind. Das ist keine Satire. Das ist Zynismus. Und das verletzt.
Journalismus hat die Aufgabe, aufzuklären, nicht zu spalten. Kritik darf hart sein, aber sie muss gerecht bleiben. Sie darf unbequem sein, aber nicht verletzend. Blomes Kolumne tut das Gegenteil: Diese Kolumne vereinfacht, wo Nachdenklichkeit nötig wäre. Sie spaltet, wo Zusammenhalt gebraucht wird – und sie verletzt, wo Worte eigentlich heilen könnten.
Menschen werden zu Objekten
Der Text arbeitet mit einem alten Muster: Menschen in schwierigen Lebenslagen werden zu Problemen erklärt. Geflüchtete, die Schutz suchen, erscheinen als Belastung. Arbeitslose, die auf dem Arbeitsmarkt – aus ganz unterschiedlichen Gründen – keine Chance haben, gelten als bequem. Blome spricht über sie, aber nie mit ihnen. Er weiß alles, urteilt über alle – aber er versteht nichts.
Behauptungen statt Argumente
Was will dieser Text eigentlich erreichen? Will der Autor aufrütteln? Will er witzig wirken? Oder will er einfach mitreden im Chor derer, die nach unten treten? Diese Kolumne ist kein Beitrag zur politischen Debatte. Blome kritisiert nicht Strukturen oder Missstände – er urteilt über Menschen im Ton moralischer Überlegenheit. Er arbeitet mit zugespitzten Formulierungen, aber ohne belastbare Belege. Er zeigt auch nicht, wie seine Gedanken rechtlich oder praktisch zustande kommen. Die Kolumne fügt der ohnehin aggressiven Stimmung nichts Konstruktives hinzu. Sie befeuert sie. Sie bestätigt Ressentiments, statt sie zu hinterfragen. Und sie trägt dazu bei, dass aus Diskussionen über Politik zunehmend Abrechnungen über Menschen werden.
Blome schreibt: „Auf politisch wie finanziell außerordentlich kostspieligen Feldern gewährt Deutschland großen Gruppen eine Wahlfreiheit, die ihresgleichen sucht.“ Ein Satz, der groß klingt – und doch vor allem Stimmung macht. Denn mit Fakten nimmt es Blome nicht so genau. Das Bürgergeld kostet rund fünfzig Milliarden Euro im Jahr, also etwa 7,5 Prozent des Bundeshaushalts – für rund fünfeinhalb Millionen Menschen, darunter Familien, Kinder, Alleinerziehende und Aufstocker:innen. Darin enthalten sind auch die Ausgaben für Arbeitsmarktpolitik und Jobcenter. Die Ausgaben für syrische Geflüchtete bewegen sich in einem einstelligen Milliardenbereich – also deutlich unter einem Prozent des Bundeshaushalts. Das ist kein „kostspieliges Feld“, sondern eine gesellschaftliche Aufgabe von überschaubarer Größenordnung. Wer mit großen Worten von „großen Gruppen“ spricht, ohne Zahlen zu nennen, verbreitet keine Analyse, sondern Desinformation. So entstehen Bilder im Kopf – und am Ende wird Vertrauen zerstört.
Wenn Härte zur Haltung wird
Er konstruiert eine Gesellschaft, die zu weich sei, zu verständnisvoll, zu zögerlich – zu nett. Dabei verkennt er, dass Verständnis und Geduld keine Schwächen sind, sondern Ausdruck von Verantwortung und Einsicht in die Realität: Menschen sind unterschiedlich, Lebenssituationen sind komplex, und einfache Wahrheiten gibt es selten. Politik darf nicht in Schwarz-Weiß-Logik verfallen – sie muss gestalten, indem sie Unterschiede anerkennt. Wer Härte fordert, ohne Hintergründe zu kennen, will nicht gestalten – er will es sich einfach nur leicht machen.
Die Rhetorik der Kolumne ist gefährlich, weil sie Stimmung macht. Sie liefert Argumente für jene, die ohnehin glauben, der Sozialstaat sei zu großzügig, die Grenzen zu offen, die Gesellschaft zu „weich“. Damit erklärt er Mitmenschlichkeit zur Schwäche. Er verkehrt Empathie in ein politisches Problem – und verschiebt so moralische Maßstäbe.
Dass eine solche Kolumne gerade jetzt erscheint, ist kein Zufall. Sie bedient den Zeitgeist, in dem Empathie misstrauisch beäugt wird. Die Regierung verschärft das Bürgergeld, die AfD fordert soziale Ausgrenzung – und ein Journalist mit Reichweite gießt Öl ins Feuer. So entsteht das Bild eines Landes, das sich selbst einredet, Härte sei Ehrlichkeit. Dabei ist es nichts anderes als soziale Kälte.
Ein paar Schlaglichter aus der Kolumne
Von „widersinnigen Wahlrechten“ spricht Blome, wenn er Menschen unterstellt, sie könnten sich das für sie angenehmste System aussuchen – zwischen Bürgergeld und Arbeit, Bleiben und Rückkehr. Damit macht er aus sozialer Not ein bewusstes Kalkül. Niemand wählt Flucht oder Armut. Es geht nicht um fehlenden Willen, sondern um fehlende Perspektiven – um Qualifizierung, Gesundheit, Kinderbetreuung, regionale Strukturen. Es ist billig, komplexe Lebenslagen in eine moralische Frage zu verwandeln.
Und dann heißt es: „Temporäre Schutzbedürftigkeit begründet keinen dauerhaften Aufenthaltsanspruch.“ Nein – und doch ist es ein Satz, der Kälte atmet. Denn er ignoriert, dass die Lage in Syrien – wie sogar der Außenminister betont – noch immer alles andere als stabil und sicher ist. Und er übersieht, dass Integration, Sprache, Arbeit und Familie längst Fakten schaffen. Menschen, die hier leben, Kinder haben, arbeiten oder Freundschaften knüpfen, sind keine Statistik – sie sind Teil dieser Gesellschaft.
Und schließlich heißt es: „Das ist die teutonische Spielart spätrömischer Dekadenz.“ Ein Satz, der an Überheblichkeit kaum zu überbieten ist. Er soll witzig klingen, ist aber herablassend. Spätestens hier wird klar: Es geht nicht um Analyse, sondern um Selbstinszenierung. Wer so schreibt, will nicht erklären, sondern provozieren – und sucht Aufmerksamkeit, nicht Erkenntnis.
Es geht um Menschen
Wer über Armut, Flucht und Arbeitslosigkeit schreibt, schreibt über Menschen. Menschen mit Geschichten, Hoffnungen, Enttäuschungen. Menschen, die kämpfen, die müde sind, die Hilfe brauchen. Und wer über sie spricht, trägt Verantwortung – auch sprachlich. Worte schaffen Wirklichkeit. Sie können Brücken bauen. Blomes Worte bauen Mauern.
Deshalb lohnt es sich, solchen Texten zu widersprechen. Nicht, weil sie eine andere Meinung vertreten, sondern weil sie die Würde von Menschen verletzen. Weil sie Misstrauen säen, wo Solidarität wachsen müsste. Und weil sie zeigen, wie schnell man den Respekt verliert, wenn man nur noch in Kategorien von Stärke und Schwäche denkt.
Und um im Bild der Kolumne zu enden:
Welchen Teil von Zusammenhalt, Respekt und Verantwortung versteht Blome nicht?
Und ganz am Ende:
Vielleicht wäre es auch Aufgabe der Redaktion gewesen, einen solchen Text einzuordnen. Denn Journalismus hat Macht – und wer große Reichweite hat, trägt Verantwortung dafür, wie er sie nutzt.
Spiegel: Deutschland ist viel zu nett
Widerspruch – wenn Journalismus nach unten tritt






