Inhalt

21.02.2013

Rede: ILO–Seearbeitsübereinkommen

7 Jahre haben die letzten Bundesregierungen gebraucht, um das ILO-Seearbeitsübereinkommen umzusetzen. Jetzt tritt es endlich in Kraft. Das ist gut. Dennoch haben wir Kritik an der Umsetzung bei der Haftungsfrage der Reeder und insbesondere bei der Arbeitszeit. An dieser Stelle hat die Bundesregierung die Tarifautonomie nicht gewahrt.

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Beate Müller-Gemmeke für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

Ich beginne nicht mit einem Seemannslied,

(Paul Lehrieder (CDU/CSU): Sehr human!)

dafür aber mit formaler Kritik. Wir verabschieden heute einen Gesetzentwurf von 128 Seiten. Nach vielfältiger Kritik in der öffentlichen Anhörung standen im Ausschuss gestern seitenweise Änderungsanträge der Koalitionsfraktionen zur Abstimmung. Es ist natürlich gut, wenn ein Gesetzentwurf verbessert wird – keine Frage –; aber diese Änderungsanträge sind erst am Abend vor der Ausschusssitzung bei uns eingegangen. In solch einem Verfahren können wir schlichtweg keine gute Oppositionsarbeit leisten. Deswegen muss ich einmal sagen: Das ist schlechter Stil, und das nervt mich.

Ich kritisiere dieses parlamentarische Verfahren vor allem vor dem Hintergrund, dass die Umsetzung des Seearbeitsübereinkommens extrem lange verschleppt wurde, und zwar sieben Jahre. Im August tritt das Übereinkommen jetzt in Kraft. Für deutsche Schiffe gilt es aber erst in einem Jahr. In der Folge werden Seeleute auf deutschen Schiffen viele Monate lang Nachteile erfahren. Die Untätigkeit der Bundesregierung kann man also nur kritisieren. Der Gesetzentwurf kommt zu spät, und dafür trägt die Bundesregierung die Verantwortung.

Inhaltlich bringt der Gesetzentwurf Verbesserungen für die Seeleute – keine Frage –; allerdings gibt es immer noch Passagen, die wir als problematisch ansehen.

Erstens, die Haftungsfrage. Nach dem ILO-Entwurf ist der Reeder für alle Forderungen der Seeleute uneingeschränkt haftbar, auch wenn das Personal über Bemannungsagenturen eingestellt wird. Nach dem ursprünglichen Gesetzentwurf trat der Reeder nur noch als Bürge auf. Damit wurde die Haftungsfrage sehr verändert und vor allem verkompliziert, zulasten der Seeleute. Das fanden wir problematisch; deswegen haben wir im Ausschuss einen Änderungsantrag eingebracht. Mittlerweile wurde die Haftungsregelung zwar verbessert; die Regierungsfraktionen haben aber nicht die klare und eindeutige Regelung aus dem ILO-Übereinkommen übernommen. Im Gegenteil, jetzt gibt es in § 4 fünf Absätze, mit denen die Haftungsfrage geklärt wird. Das ist unnötig und viel zu kompliziert. Ein Absatz hätte gereicht, um die Pflichten der Reeder festzustellen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Insbesondere ausländische Seeleute sind auf eine einfache und verständliche Regelung angewiesen, damit sie durchsetzen können, was ihnen zusteht. Aus unserer Sicht ist die Haftungsfrage also immer noch nicht optimal gelöst.

Zweitens, die Arbeitszeit. Auch zu diesem Punkt haben wir im Ausschuss einen Änderungsantrag eingebracht. Dieser Änderungsantrag ist abgelehnt worden. Laut ILO-Übereinkommen kann die Arbeitszeit tariflich erhöht werden. Was macht die Bundesregierung? Sie erhöht die ohnehin schon langen Arbeitszeiten gesetzlich. Das verstößt gegen das Schlechterstellungsverbot der ILO-Verfassung, vor allem aber ist es ein Eingriff in die Tarifautonomie. In den Reden heißt es immer, die Tarifautonomie sei für die Koalitionsfraktionen ein hohes Gut. Hier hätten sie es beweisen können. Für uns ist diese Regelung nicht akzeptabel.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Wir üben also Kritik und sehen Verbesserungsbedarf in der Umsetzung. Vor allem ergeben die deutschen Sonderregelungen meiner Meinung nach überhaupt keinen Sinn; denn die ILO-Übereinkommen haben die Besonderheit, dass Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften und Regierungen an einem Strang ziehen. Warum also kann das Übereinkommen in Deutschland nicht eins zu eins umgesetzt werden?

Trotz unserer Kritik werden wir den Gesetzentwurf nicht ablehnen -aber wir werden uns enthalten -; denn das ILO-Übereinkommen ist insgesamt ein wichtiger Schritt, damit die weltweit 1,2 Millionen Seeleute bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen erhalten. Das ILO-Übereinkommen bedeutet auch Wertschätzung für die Seeleute. Deshalb hätten wir uns auch eine schnellere und eine bessere Umsetzung unter Wahrung der Tarifautonomie gewünscht – und übrigens auch einen etwas attraktiveren Debattenplatz.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

 

Rede als PDF