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01.08.2020

Albtour 2020 - Tag 10

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Der letzte Tag der Albtour begann bei „einzig nicht artig“ in mitten von Münsingen, wo wir die Besitzerin Carmen Münzing und Bürgermeister Mike Münzing trafen. Weiter ging es zum Bahnhof der Stadt, wo Bernd Weckler uns herzlich empfing. Von dort zum Alten Lager war es nicht weit. Wir besuchten zwei neue Manufakturen und schwätzten mit Franz Tress, dem Besitzer des gesamten Areals. Und am späten Nachmittag fuhren wir über den ehemaligen Truppenübungsplatz ins ehemalige Dorf Gruorn, wo nur noch Kirche und Schule stehen.

Das Ladencafé „einzig nicht artig“ von Carmen Münzing ist einfach nur entzückend. Mit viel Liebe wird das Café betrieben und im Laden gibt es Schönes, Feines und Bekleidendes. Dort hatte ich auch die Möglichkeit, Bürgermeister Mike Münzing zu treffen. „Corona heißt nicht automatisch Stillstand“, ist er überzeugt, „die Menschen müssen sich nicht verkriechen.“ Und der Bürgermeister berichtet von der Corona-Zeit in seiner Gemeinde. 113 Menschen infizierten sich hier, fünf starben an dem Virus. Manche im Ort glaubten wie andernorts auch, die Welt würde untergehen. Andere wurden kreativ. Unternehmen hinterfragen ihre Prozesse und Produktpaletten und denken darüber nach, sich breiter aufzustellen. Und in der Stadt stieg die Hilfsbereitschaft. Es gab bereits eine App und die war natürlich hilfreich, um die eigene Bevölkerung oder Besucher*innen der Stadt schnell über Push-Nachrichten informieren zu können. Und auch die Kultur liegt in Zeiten von Corona nicht brach. Da gibt es Tage der offenen Gärten, Lesungen und musikalische Abende und für Seniorenheime oder Behinderteneinrichtungen wurden Balkonkonzerte organisiert. „Wir müssen nicht auf Kultur und Begegnungen verzichten, nur weil wir in Zeiten einer Pandemie leben“, ist Mike Münzing überzeugt. Denn solange wir Masken tragen und überall Abstand halten, können wir uns und andere schützen.

Wo andere sich in Corona-Zeiten zur Begrüßung mit dem Ellenbogen begrüßen, greift Bernd Weckler auf den buddhistisch-hinduistischen Gruß zurück. Er verneigt sich leicht und legt beide Handflächen aufeinander. Und dann führt er uns in seinen Lokschuppen. Hier würde jedem Eisenbahnfan das Herz aufgehen. Wecklers Mitarbeiter schmieren und ölen, überarbeiten Motoren, verlegen Elektrik und bauen auch mal Treppengitter an die Türen der Hochflurwaggons, damit die Menschen im Niederflurbahnhof bequem den Bahnsteig erreichen.  Sechs neue gebrauchte Triebwagen Baujahr 93  gehören zum Arsenal der Schwäbischen-Alb-Bahn (SAB), deren Vorstand Weckler ist. Im vergangenen Jahr ging er auf Personalsuche. Begonnen hat er vor Jahren mit elf Mitarbeiter*innen, inzwischen sind sie 53. Denn auch in Corona-Zeiten ging der Betrieb bei der Schwäbischen-Alb-Bahn weiter. Waggons und Lokomotiven wurden gewartet und überholt – und die Züge rollten weiter über die Alb. Neues Schmuckstück der Betriebshalle ist eine Dampflok T3, gebaut im Jahr 1905. Die hat Weckler für die historischen Dampflokfahrten gekauft. Früher fuhr die Lok für die Königlich- Württembergische Staatseisenbahn. Zurzeit wird sie grundlegend überholt. Künftig zieht sie dann historische Waggons und den Bar-Wagen von 1905 über die Alb und sorgt für ein touristisches Highlight.

Im Alten Lager besuchen wir kurz das Café im BT 20, das vom Lagerhaus betrieben wird. Hier können Besucher*innen an manchen Tagen dabei zuschauen, wie aus rohen Kakaobohnen am Ende Schokolade entsteht. Im BT 21, ebenfalls einem alten Mannschaftsquartier der ehemaligen französischen Garnison, die hier stationiert war, befindet sich heute die Essigmanufaktur von Stephan Pöhler. Pöhler ist zudem Hausmann und hat drei Kinder. Seine Frau geht arbeiten. Doch eigentlich macht Pöhler leidenschaftlich gerne Essig – und zwar alle Sorten. Bei ihm finden sich Kirsch- und Hagebuttenessig, Honigessig oder Kaffeeessig, Bieressig und natürlich auch der ganz normale Apfelessig. In großen Flaschenkolben werden Most und Essigmutter angesetzt – und die kommen dann in große Stahlbottiche, wo sie sich vermengen, immer wieder ablaufen und zulaufen und wo die Essigbakterien den aromatischen Essig herstellen. Kirschessig passt wunderbar zu Sekt, meint Pöhler, sein kleiner Sohn liebt ihn auf dem Käsebrot  und natürlich schmeckt auch der Salat besonders.

Franz Tress, der das Alte Lager gekauft hat und seither leidenschaftlich und mit Engagement auf Vordermann bringt, meint, Corona habe alle Manufakturen und auch andere Pläne erstmal ausgebremst. Doch jetzt geht es weiter. Tress will Hotelier werden. Deshalb baut er in den Offiziersunterkünften des Lagers  derzeit 32 Doppelzimmer mit Bad, von denen vier barrierefrei sein werden. Frühstück für die künftigen Gäste bietet sein Café „Leib und Seele“, das in der alten Post untergebracht ist. Eröffnet wird im Frühjahr nächsten Jahres – wenn alles klappt. Ich drücke die Daumen und komme nächstes Jahr auf jeden Fall wieder.

Über den ehemaligen Truppenübungsplatz, der heute ein blühendes Naturschutzgebiet ist, radeln wir zum ehemaligen Dorf Gruorn. Das Dorf wurde 1937 geräumt, weil in der NS-Zeit das Militär den schon bestehenden Truppenübungsplatz ausweiten wollte. Nach 1945 wohnten kurzfristig noch Flüchtlinge in den alten Dorfgebäuden, seit 1953 stand das Dorf leer. Und das kam sowohl dem französischen Militär als auch der Bundeswehr sehr zu passe, denn hier konnten sie den Häuserkampf in einem echten Dorf üben. 2005 wurde der Truppenübungsplatz dann „außer Dienst gestellt“. Die Häuser von Gruorn waren längst gesprengt. Nur die alte Schule und die Kirche waren übriggeblieben. Und um diese Kirche kümmern sich Alfred Weber und Siegfried Hahn vom Komitee Gruorn und organisieren Restaurierungen und Reparaturen. Die Radfahrer*innen und Wander*innen, die Gruorn besuchen, schauen sich die Kirche gerne an. 15.000 Besucher*innen registrierte die automatische Lichtschranke im vergangenen Jahr. Und die konnten beispielsweise Fresken von 1380 bewundern. Oder die zehn ausdrucksstarken Kirchenfenster mit Glasgemälden von Ursula Nollau, die den kargen Kirchenraum prägen. Gerade mit diesen Fenstern gilt die Kirche in Gruorn als ein Mahnmal gegen Krieg und Zerstörung. Es wäre schade, wenn das verloren geht.