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14.12.2019

Antrag: Arbeitsförderung und Beratungsqualität in den Jobcentern gesetzlich verbessern

Bei Hartz IV brauchen wir mehr als ein paar kleine Reformen, sondern ganz eindeutig eine Generalrevision. Die letzten 15 Jahre haben gezeigt, dass sich Arbeitslosigkeit nicht durch Aktivierung und Sanktionierung arbeitsloser Menschen bekämpfen lässt, während strukturelle Gründe größtenteils außer Acht gelassen werden. Arbeitslose Menschen profitieren ebenso wenig von einer Arbeitsförderung, die vor allem auf kurzfristige Maßnahmen und möglichst schnelle Vermittlung in – zumeist prekäre und schlecht entlohnte – Tätigkeiten setzt. Deshalb habe ich einen Antrag in den Bundestag eingebracht.

In der Debatte um die harten Fakten bei Regelsatz und Sanktionen wird häufig übersehen, dass wir auch in der Arbeitsförderung dringend einen Perspektivwechsel brauchen. Eine der Grundannahmen im SGB II ist der Aktivierungsbedarf der Arbeitslosen. Dabei sind die Gründe für Langzeitarbeitslosigkeit so individuell wie die Menschen selbst. Druck und Zwang sind hier keine geeigneten Mittel, um sie zurück in die Arbeitswelt zu begleiten. Zudem besteht im SGB II ein asymmetrisch angelegtes Verhältnis zwischen Erwerbslosen und Vermittlungsfachkräften, das an verschiedenen Stellen im Beratungsverhältnis deutlich wird. Die Beschäftigten in den Jobcentern müssen beispielsweise der gesetzlichen Aktivierungslogik gerecht werden, indem sie die Arbeitslosen in der Umsetzung ihrer Eigenbemühungen kontrollieren und im schlimmsten Fall sanktionieren. Dies kann dem Anspruch an eine vertrauensvolle Beratung jedoch völlig entgegenstehen. Gleichzeitig kollidieren Eingliederungsvereinbarungen, die im Zweifel als Verwaltungsakt gegen den Willen der Erwerbslosen erlassen werden können, mit dem Prinzip kooperativer Zielvereinbarungen. Die aktuelle Situation ist weder für die Arbeitssuchenden noch für die Fachkräfte in den Jobcentern zufriedenstellend. Und damit sind nicht die Arbeit und das Engagement der Beschäftigten in Jobcentern gemeint, sondern die gesetzlichen Grundlagen und die Grundsätze der Arbeitsförderung, die die Arbeit der Jobcenter-Beschäftigten erschweren.

Perspektivwechsel in der Arbeitsförderung

Ziel muss sein, dass die Menschen gerne und zuversichtlich in ein Jobcenter gehen. Sie sollen dort eine wertschätzende Beratung auf Augenhöhe erhalten und gemeinsam mit den Fachkräften über ihren Weg entscheiden können – und zwar ohne standardisierte Eingliederungsvereinbarung mit seitenlanger Rechtsfolgenbelehrung. Und wichtig ist auch, dass die Jobcenter Unterstützung bereitstellen, die individuell passt und auch nachhaltig wirkt. Und damit all dies möglich wird, sind konkrete gesetzliche Änderungen notwendig. Drei Punkte sind dabei zentral.

1.

Arbeitsförderung ist nur erfolgreich auf der Grundlage von Freiwilligkeit. Eine Heranführung oder Integration in den Arbeitsmarkt kann nicht funktionieren, wenn Menschen ohne Interesse an Maßnahmen teilnehmen, weil sie aus ihrer Sicht keinen Sinn ergeben, aktuell nicht in ihr Leben passen oder wenn sie einzelne Integrationsschritte nicht nachvollziehen können. Wir wollen deshalb anstelle der Eingliederungsvereinbarung in der jetzigen Form einen kontinuierlichen Eingliederungsprozess ermöglichen. Nur wenn gemeinsam realistische Ziele und Teilschritte erarbeitet werden, entsteht Motivation und nur so kann der Weg zurück in die Arbeitswelt gelingen. 

2.

Der Vermittlungsvorrang muss unbedingt abgeschafft werden. Denn mit dem Vorrang für schnelle Vermittlung in Arbeit, insbesondere in prekäre Arbeit oder Leiharbeit, wird zu kurzfristig gedacht und eindeutig der falsche Fokus gesetzt. Vermittlung in Arbeit funktioniert nicht für alle auf direktem Weg und es entmutigt, wenn die Jobaufnahme deswegen immer wieder scheitert. Viele Menschen, die lange nicht gearbeitet haben, brauchen in erster Linie Unterstützung. Bei ihnen geht es nicht um eine sofortige Integration in den ersten Arbeitsmarkt. Vielmehr müssen sie wieder ein Selbstwertgefühl entwickeln, sich ausprobieren können und Anerkennung erfahren. Dafür sind Zwischenschritte und geschützte Räume notwendig. Für andere, die dauerhaft keine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt haben, muss soziale Teilhabe oberste Priorität haben. Der Soziale Arbeitsmarkt ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, er müsste aber stärker auf soziale Teilhabe statt auf Eingliederung ausgerichtet werden. Gleichzeitig benötigt ein Teil der Arbeitslosen in erster Linie Qualifizierung, beispielsweise einen Schulabschluss oder eine Berufsausbildung, und dafür braucht es Anreize. Wir fordern ein Weiterbildungsgeld, das über dem Arbeitslosengeld II liegt. Und als Voraussetzung dafür wollen wir ein Recht auf Qualifizierung einführen. Zentral ist auch, dass abschlussorientierte Weiterbildungen nicht wie bisher zwangsläufig auf ein Drittel der eigentlichen Dauer oder zumeist auf 24 Monate verkürzt werden, auch wenn Ausnahmen im Bereich Pflege existieren. Diese festgelegte Höchstdauer bedeuten insbesondere für Geringqualifizierte, Menschen mit Lernschwierigkeiten oder Zugewanderte kaum überwindbare Hürden.

3.

Wenn wir von Individualisierung der Arbeitsförderung sprechen, sind damit auch die Jobcenter gemeint. Sie müssen mehr Eigenverantwortung und Freiheit erhalten und gleichzeitig nicht länger durch starre und verengte Zielvorgaben eingeschränkt werden. Vor allem aber sollen sie die Möglichkeit erhalten, Angebote stärker als bisher individuell zu gestalten. Die Maßnahmen müssen regional entwickelt und ausgeschrieben werden mit dem Ziel, bundesweite Aktivierungsmaßnahmen von der Stange wenn möglich ganz zu ersetzen. Deshalb muss auch die Freie Förderung (§ 16f SGB II) finanziell besser ausgestattet und flexibler ausgestaltet werden. Es ist auch nicht zielführend, Jobcenter Leistungsvergleichen ausschließlich auf Basis quantitativer Kennzahlen, insbesondere der Integrationsquote, auszusetzen. Diese sagen nichts über die Beratungsqualität und die Entwicklungspfade der Menschen abseits der Vermittlung aus und führen bei den Beschäftigten zu unnötigem psychischem Druck.

4.

Die Beratungsleistung ist eng mit den Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in den Jobcentern verbunden und die müssen unbedingt verbessert werden. So sollte der Personalschlüssel im Bereich der unter 25-jährigen auf weitere Gruppen mit erhöhtem Förderbedarf wie beispielsweise Menschen mit Behinderungen, ältere Personen, Geflüchtete oder auch Alleinerziehende ausgeweitet werden. Die einzelnen Jobcenter sollten deshalb über die Verteilung entscheiden können und auch die Möglichkeit erhalten, mehr Personal über die aktuelle Vorgabe von 1:150 hinaus zu erhalten. Nur so ist es möglich, Zeitdruck aus Beratungsgesprächen zu nehmen, Vertrauen aufzubauen und wirkliche Unterstützung zu ermöglichen. Qualitativ hochwertige Beratung kann zudem nur von Vermittlungsfachkräften geleistet werden, die mit ihren eigenen Arbeitsbedingungen zufrieden sind. Befristungen, aber auch die unterschiedliche Entlohnung innerhalb der Jobcenter aufgrund der Zugehörigkeit des Personals zur Bundesagentur für Arbeit bzw. zur Kommune werden weder dem Verständnis einer gemeinsamen Einrichtung noch einer positiven Arbeitsatmosphäre gerecht.

Antrag: Arbeitsförderung und Beratungsqualität in den Jobcentern gesetzlich verbessern