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05.07.2012

Gewerkschaftstag DPVKom

Gewekschaftstag

Zum Gewerkschaftstag von der DPVKom waren neben dem Staatssekretär des Arbeitsministeriums alle Fraktionen geladen – gekommen ist aber nur die Opposition. Ich bin gerne gekommen und habe auch gerne ein Grußwort gehalten, zumal ich 15 Minuten Zeit hatte. Das ist wahrlich Luxus.

Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrter Herr Geyer,

es ist mir eine besondere Freude heute hier zu sein und einige besorgte aber auch bestärkende Worte an Sie zu richten. Ich danke daher ganz herzlich für die Einladung zum Gewerkschaftstag.

Dass dieser Tag in diesem Jahr unter dem Motto „Unsere Arbeit ist mehr wert“ steht, ist dabei alarmierend und notwendig zugleich. Denn prekäre Arbeitsverhältnisse haben längst einen festen Platz auf dem Arbeitsmarkt. Aus grüner Sicht ist das eine dramatische Entwicklung, die auch und gerade ihre Mitglieder betrifft. Befristungen, Leiharbeit, niedrige Löhne und Werkverträge sind in den Kommunikationsbranchen traurige Realität. Und das obwohl – die gesamtgesellschaftliche Bedeutung von Kommunikationsdienstleistungen heute so groß ist wie nie zuvor.

Ohne die zuverlässige Zustellung der Post, die störungsfreie Nutzung der Telekommunikation oder auch die Betreuung und Beratung durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Callcentern geht in unserer Gesellschaft nichts. Egal ob Privatpersonen, Unternehmen oder Behörden – sie alle nehmen diverse Dienstleistungen des Kommunikationssektors in Anspruch – Tag für Tag. Doch so lieb und teuer uns Zuverlässigkeit und ständige Verfügbarkeit der Kommunikationswege auch sind, die Menschen, die sie ermöglichen, spüren wenig von dieser Wertschätzung.

Die Beschäftigten, die täglich etwa bei der Deutschen Post, der Telekom oder auch in den zahllosen Callcentern tätig sind, erhalten für ihre Arbeit häufig keine gerechte Entlohnung. Wenn der Stundenlohn in Callcentern sehr unterschiedlich ist und Angestellte von Leiharbeitsfirmen noch weniger verdienen als ihre Kolleginnen und Kollegen, dann spiegelt der Lohnzettel alles Mögliche, aber sicher nicht den eigentlichen Wert der geleisteten Arbeit. Und wenn Menschen immer und immer wieder nur befristete Jobs bekommen, oder gar als Abrufkräfte missbraucht werden, dann wird jegliche Lebensplanung unmöglich gemacht. Sozialer Schutz sieht für uns anders aus.

Und damit nicht genug. Diese Art von Arbeit hat Folgen – für die Beschäftigten, für die Unternehmen und die Arbeitswelt insgesamt. In Unternehmen, in denen immer mehr Festangestellte durch Leiharbeitskräfte oder Werkvertrags-Beschäftigte verdrängt werden und in denen für ein und dieselbe Arbeit unterschiedliche Löhne gezahlt werden, da zersplittern die Belegschaften. Kollegialität und innerbetriebliche Solidarität werden zerstört – Konkurrenz, Unsicherheit und Misstrauen entstehen. Das ist schädlich für das Betriebsklima und auch für die Motivation und Identifikation der Beschäftigten mit dem Betrieb. Die gewerkschaftlichen Errungenschaften, die über lange Zeit hart erkämpft wurden, stehen nur noch auf dem Papier. Das schwächt nicht nur die Beschäftigen, sondern auch die Gewerkschaften und Betriebsräte. Eine weitere Aufweichung des Jahrzehnte alten gesellschaftlichen Konsens der Sozialpartnerschaft hat einen hohen – nach meinem Dafürhalten – zu hohen Preis! Denn Arbeit ist mehr als reine Existenzsicherung! Sie hat einen Wert, der weit über das Materielle hinausgeht. Wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht mehr als Menschen, sondern als reine Arbeitskräfte wahrgenommen werden, dann geht gesellschaftlich etwas verloren; dann erodieren Werte wie Wertschätzung, Respekt und Zusammenhalt.

Für uns Grüne gilt: Arbeit hat ihren Wert und muss angemessen entlohnt werden. Arbeit muss aber auch soziale Sicherheit und Lebensplanung ermöglichen und ebenso gesellschaftliche Anerkennung sicherstellen. Eingelöst wird dieser Anspruch nur durch „gute Arbeit“ – bei der die Arbeitsbedingungen stimmen. Wir unterstützen deshalb die Gewerkschaften in ihren Forderungen nach einer Stärkung der Arbeitnehmerrechte und sehen dies als einen Schwerpunkt unserer Politik.

In der Realität spielt „Gute Arbeit“ jedoch nur eine sehr untergeordnete Rolle in unserer Arbeitswelt. Die Wirtschaft setzt andere Prioritäten: Immer mehr – und gleichzeitig – immer billiger – ist die Devise. – zu Lasten der Beschäftigten. Gute Arbeit für alle spielt immer weniger eine Rolle. Die Folgen dieser Marktradikalität zeigen sich deutlich: Die gesellschaftliche Ungleichheit nimmt zu. Die Gesellschaft ist gespalten – in regulär und prekär Beschäftigte. Die Arbeitsbedingungen der Menschen haben sich verschlechtert.

Das wird inzwischen auch in den Kreisen des Weltwirtschaftsforums so gesehen: Klaus Schwab – der Präsident – sagte im Vorfeld des Wirtschaftsgipfels in Genf : „Der Kapitalismus in seiner derzeitigen Form passt nicht mehr in die Welt. Wir haben die Lektionen aus der Finanzkrise von 2009 nicht gelernt. Die globale Transformation muss dringend damit beginnen, dass sich weltweit wieder ein Sinn für soziale Verantwortung ausbreitet.“ Recht hat er: jegliche Arbeit ihren Wert ! Daher gilt es, soziale Gerechtigkeit und Solidarität wieder in den Mittelpunkt zu rücken. Denn die Beschäftigten brauchen – faire Löhne und Sicherheit!

Dafür sorgt auch Ihre Gewerkschaft. Die Kommunikationsgewerkschaft blickt inzwischen auf eine lange Geschichte zurück. 122 Jahre lang setzen Sie sich für die Belange der Postler ein, nicht ganz so lange für die Belange in der Telekommunikationsbranche und bei der Postbank. Und Ihr jüngstes und wohl auch das schwierigste Aufgabenfeld sind die Call Center, die sich in den 90er Jahren etabliert haben.

Die relativ junge Callcenter-Branche ist mit 500.000 Beschäftigten inzwischen ein Schwergewicht in Deutschland. Doch die Entlohnungs- und Arbeitsbedingungen sind gerade in dieser Branche sehr problematisch. Einstiegsgehälter von 5 Euro im Osten sind nicht hinnehmbar. Standorte werden gegeneinander ausgespielt. Unternehmen versuchen Aufträge um jeden Preis zu bekommen.

Das Fehlen überbetrieblicher Vertretungsstrukturen wird zum Problem. Die Arbeitsbedingungen sind schlecht: Beschäftigte müssen Zustände wie Hühner in Legebatterien hinnehmen – das ist keine Beschreibung von mir – das haben mir Beschäftigte aus der Branche so beschrieben, was mich sehr erschreckt hat. Programme zur umfassenden Leistungskontrolle führen zu erheblichem Stress bei den Beschäftigten. Und natürlich gibt es eine große Unzufriedenheit – und das zu Recht.

Ich denke – wir haben bei den Call Centern die gleichen Forderungen: Beispielsweise muss der Beschäftigtendatenschutz reformiert werden. Die Leistungskontrolle muss begrenzt werden. Das heimliche Mithören von Telefonaten „zur Qualitätskontrolle“ ist aus unserer Sicht unzulässig. Das offene Mithören darf nur im Rahmen enger Grenzen erlaubt sein. Wir haben in diesem Sinne einen grünen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht. Der bisher vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung geht aber genau in die andere Richtung. Mein Fazit dazu ist: Lieber keine Reform als ein Beschäftigtendatenschutz, der seinen Namen nicht verdient.

Wichtig ist aber vor allem: Der Wettbewerb um die billigsten Löhne muss endlich gestoppt werden – wir brauchen also einen echten gesetzlichen Mindestlohn.

Ich wünsche mir auch endlich einen Arbeitgeberverband bei den Call Center. Es ist für mich unverständlich, dass die Arbeitgeberseite so gar kein Interesse daran zu haben scheint, mit der Schmutzkonkurrenz endlich fertig zu werden. Mein Wunsch ist: ein Flächentarifvertrag für die Branche, der allgemeinverbindlich erklärt wird und deutlich über einem gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro liegt. Da gibt es für Ihre Gewerkschaft also noch viel zu tun!

Doch nicht nur die Call Center Branche geht mit schlechtem Beispiel voran. Der Schlecker-Skandal in der Leiharbeit ist Ihnen sicher noch im Gedächtnis. Die Bundesregierung hat zögerlich die Leiharbeit etwas stärker reguliert. Zu mehr Equal Pay hat das aber nicht geführt. Und dennoch entwickeln viele Arbeitgeber eine erstaunliche Kreativität, wenn es darum geht, weitere Billiglohnmodelle zu entwickeln. Nach dem Missbrauch der Leiharbeit suchen sich viele Unternehmen das nächste gesetzliche Schlupfloch – und das sind inzwischen Werkverträge, mit deren Hilfe sich die Löhne noch weiter drücken lassen.

Im Einzelhandel räumen mittlerweile mehr als 100 Fremdfirmen mit 350.000 Beschäftigten die Regale ein. 6,50 Euro ist da der übliche Stundenlohn. Auf dem Bau greift man schon lange auf Werkverträge zurück. Und in Betrieben der deutschen Fleischindustrie ist es mittlerweile üblich, dass 80 bis 90 Prozent der Beschäftigten aus Subunternehmen kommen. Auch in Ihren Branchen wird dieser Missbrauch durch Scheinwerkverträge zunehmen. Da bin ich mir sicher. Der Betrieb verliert auf diese Weise seine ursprüngliche Bedeutung. Stammbelegschaften gehen so verloren. Arbeit verliert an Wert.

Unsere Arbeitswelt ist inzwischen gespalten. Neben der regulären, tariflich abgesicherten Arbeit nimmt die prekäre Beschäftigung mehr und mehr zu. Nach den Daten der Bundesagentur für Arbeit vom Mai ist die Zahl der Erwerbstätigen, die zugleich Alg II beziehen, im Vergleich zum Vorjahr wieder um ein Prozent gestiegen. Insgesamt 1,33 Millionen Menschen sind das, die ihren Lohn aufstocken müssen! 2,5 Millionen Beschäftigte arbeiten inzwischen neben ihrem Hauptberuf in einem Minijob, um über die Runden zu kommen. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse bedeuten nicht allein Unsicherheit und materielle Einschränkungen. Sie bewirken auch mangelnde Anerkennung und eine Schwächung der Zugehörigkeit zu sozialen Netzen. Doch diese Anerkennung wird dringend benötigt, um den Alltag bewältigen zu können. Professor Dörre beispielsweise spricht vom „Prinzip sozialer Auflösung“. Für unsere Gesellschaft, für unser Zusammenleben ist das gelinde gesagt eine große Katastrophe und einfach nicht hinnehmbar.

Zum Abschluss möchte ich ganz kurz in die Vergangenheit blicken: Als der Postverkehr im 16. Jahrhundert deutlich zunahm, versuchte man die Zuverlässigkeit der Zustellungen trotz der gestiegenen Mengen und Belastungen dadurch zu erhöhen, dass den Boten ein auskömmlicher Lohn gezahlt wurde. Man höre und staune: Eine Erhöhung des Lohns wegen erhöhter Anforderungen!

Dieser Grundsatz sollte auch heute noch gelten. Sie arbeiten daran tagtäglich – aber sie brauchen dafür auch die Unterstützung der Politik. Wir brauchen wieder soziale Leitplanken zur Stärkung der Tarifautonomie, damit die Löhne wieder entsprechend der Produktivitätsentwicklung steigen und der Trend zu Niedriglöhnen gestoppt wird. Wir Grünen setzen auf gerecht entlohnte sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse und wollen prekäre Beschäftigung zurückdrängen. Denn eine verantwortungsbewusste Arbeitsmarktpolitik muss die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen verbessern und Zukunftschancen eröffnen. Starke Arbeitnehmerrechte und durchsetzungsfähige Betriebsräte sind Voraussetzungen für „gute Arbeit“, soziale Gerechtigkeit und Solidarität.

Wir Grünen arbeiten an den Rahmenbedingungen – Sie an den betrieblichen Strukturen. In diesem Sinne hoffe ich, dass Sie auch in Zukunft „gute Arbeit“ durchsetzen können. Und dafür wünsche ich Ihnen auch viel Kraft und einen langen Atem. Und als Abgeordnete, die tagtäglich auf vielfältige Kommunikationswege angewiesen ist, kann ich Ihnen abschließend nur versichern:

Ihre Arbeit ist viel Wert!