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21.06.2017

Report Mainz: Katastrophale Bedingungen bei Subunternehmern großer Paketzusteller

Die schlechten Arbeitsbedingungen und Lohndumping in der Logistikbranche kritisiere ich schon seit Jahren. Jetzt hat Report Mainz in der Paketzustellbranche und zwar im Bereich der Subunternehmer recherchiert und Fälle aufgedeckt, in denen Überstunden nicht bezahlt und Löhne zurück gehalten werden. In dem Report-Beitrag fordere ich eine Generalunternehmerhaftung, wie sie mittlerweile für die Fleischbranche gilt. Das wäre wichtig, denn dann müssten die großen Logistikunternehmen endlich Verantwortung übernehmen.

Text des Beitrags

Fahrer unter Druck

Katastrophale Bedingungen bei Subunternehmern großer Paketzusteller

Moderation Fritz Frey:

Anderes Thema. Ehe man sich versieht, ist er wieder weg. Der Paketzusteller. Päckchen abgegeben, Unterschrift und weiter geht’s. Ein Vollgasjob – nur so ist wohl das tägliche Pensum zu schaffen.

Aber werden diese Herren, meistens sind es ja Männer, wenigstens anständig bezahlt, wenn sie da in der Uniform eines Branchenriesen an unser Haustür klingeln? Oder ist am Ende gar nicht drin was draufsteht, weil beispielsweise DHL und Hermes Subunternehmer beschäftigen?

Bericht:

Ein Transporter – vollgefüllt mit Paketen. Sie müssen täglich verteilt werden. Dieser Zusteller erzählt uns, dass er ständig Überstunden machen muss, um seine Arbeit zu schaffen. Aus Angst um seinen Job möchte er nicht erkannt werden.

O-Ton:

„Wenn jemand nicht da ist, muss man es immer beim Nachbarn versuchen. Viele Nachbarn nehmen auch nichts mehr an, weil deren Nachbarn fast nie zuhause sind. Das ist frustrierend. Weil wenn man die Pakete nicht wegbekommt, hat man sie am nächsten Tag wieder im Auto. So lange, bis man den Kunden antrifft.“

Ein harter Job. Trotzdem komme er finanziell nicht über die Runden.

O-Ton:

„Natürlich fühle ich mich ausgebeutet. Das ist eine Sklaverei. Das ist eine Demütigung.“

Frage: Wie geht es Ihnen damit?

O-Ton:

„Es geht an die Psyche. Mir geht’s natürlich nie gut. Ich weiß nicht, wie ich Ende des Monats noch essen soll.“

 

Der Paketzusteller arbeitet zwar in der Arbeitsmontur des Branchenriesen Hermes. Er ist aber nicht bei Hermes beschäftigt, sondern bei einem Subunternehmer, der für Hermes arbeitet. Für gerade mal 1.200 Euro netto. Seine Lohnabrechnung hat er Gewerkschaftssekretär Sigurd Holler vorgelegt. Der Ver.di-Vertreter hat sich intensiv mit dem Fall des Paketzustellers beschäftigt und auch dessen Arbeitszeiten unter die Lupe genommen. Seine Einschätzung:

O-Ton, Sigurd Holler, ver.di, Gewerkschaftssekretär:

„Der beginnt morgens schon um acht Uhr und arbeitet zirka bis 16-18 Uhr. Samstags auch. Das heißt, er hat eine Sechs-Tage-Woche. Und das wiederum bedeutet, dass er auf Arbeitszeiten kommt, die über 50 Stunden liegen. Bis zu 56-57 Stunden in der Woche liegen. Bei einem Bruttoeinkommen von 1.700 Euro liegt er damit weit unter dem Mindestlohn.“

Derzeit liegt der gesetzliche Mindestlohn bei 8,84 Euro. Der Paketzusteller aber bekomme, nach Rechnung des Gewerkschafters, deutlich weniger.

O-Ton, Sigurd Holler, ver.di, Gewerkschaftssekretär:

„Er wird einen Lohn kriegen, einen Stundenlohn, der sich zwischen 6,50 Euro und 7,50 Euro bewegt, je nach wöchentlicher Arbeitszeit.“

Frage: Unter Mindestlohn. Ist das akzeptabel?

O-Ton, Sigurd Holler, ver.di, Gewerkschaftssekretär:

„Das ist nicht akzeptabel. Das verstößt gegen ein Gesetz.“

Verstoßen Subunternehmer von Hermes gegen das Mindestlohngesetz? Der Paketzusteller will aus Angst um seinen Job nicht, dass wir seinen Arbeitgeber konfrontieren. Stattdessen fragen wir Hermes: Von solchen Fällen habe das Unternehmen keine detaillierte Kenntnis. Das Unternehmen fordere von den Servicepartnern eine schriftliche Bestätigung, dass diese mindestens den gesetzlichen Mindestlohn bezahlen. Außerdem gebe es einen „Verhaltenskodex“. Die Servicepartner müssten sich zu 100 Prozent an geltendes Recht halten.

Wie geht es zu in der Branche? Wir bekommen einen Tipp und fahren ins rheinland-pfälzische Rüber. In einer Pension wohnen mehrere Paketzusteller. Draußen sehen wir Transporter in fragwürdigem Zustand. Abgefahrene Reifen, Unfallschäden und Rost. Die Fahrer kommen größtenteils aus Rumänien und fahren für Subfirmen. Mehrere erzählen uns, sie hätten zu wenig Lohn bekommen.

O-Ton:

„Ich muss kriegen Geld für Dezember und Januar.“

O-Ton:

„Ja, ich habe 3.200 zu kriegen. Zwei Löhne.“

Wie kann das sein? Ein Subunternehmer räumt ein, dass Mitarbeiter am „Ende der Vertragszeit“ ihren Lohn „verspätet oder nicht vollständig“ bekommen. Erst müsse geprüft werden, ob Fahrzeuge unerlaubt privat genutzt worden seien und dadurch Schäden verursacht wurden. Darüber hinaus würden Löhne auch dann einbehalten, wenn zum Beispiel keine Tachoscheiben vorliegen. Lohnabzüge, die die Mitarbeiter kaum nachvollziehen können. Geld fehlt auch Liviu Andries, der beim Subunternehmer gekündigt hat. Dass er die Tachoscheiben vorlegen müsse, habe ihm niemand erzählt, sagt er.

O-Ton, Liviu Andries:

„Ich bin für DHL gefahren, habe noch nie ein Problem, noch nie eine Reklamation gehabt und habe einen Monat lang keinen Lohn vom Subunternehmen bekommen.“

Diese Praxis könne Willkür Tür und Tor öffnen, sagen Experten. Wer überprüft, ob Subunternehmen Löhne zu Recht zurückhalten?

DHL sagt: Die Einhaltung aller gesetzlicher Regelungen sei vertraglich festgeschrieben. Kontrollbefugnisse gegenüber den Subunternehmen habe der Konzern aber nicht. Das obliege den zuständigen Behörden.

Das müsse sich ändern, meint Arbeitsmarktexperte Stefan Sell. Er hat sich intensiv mit der Logistikbranche beschäftigt. Er fordert, dass große Auftraggeber wie DHL oder Hermes, künftig für Verstöße der Subunternehmer zur Verantwortung gezogen werden. Per Generalunternehmerhaftung.

O-Ton, Prof. Stefan Sell, Hochschule Koblenz:

„Generalunternehmerhaftung bedeutet, dass der Auftraggeber, der, der letztlich oben an der Spitze sitzt, verantwortlich dafür ist, dass bei dem von ihm beauftragten Subunternehmen nicht illegale Praktiken zu Tage kommen, sondern, dass die sich an Recht und Gesetz halten.“

Eine solche Generalunternehmerhaftung hat der Bundestag vor wenigen Tagen für die Fleischbranche beschlossen. Nachts um 01.55 Uhr wurde das Gesetz von einem ausgedünnten Parlament durchgewunken.

O-Ton, Norbert Lammert, Bundestagspräsident:

„Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit Mehrheit angenommen.“

Mit dem neuen Gesetz könnten sich jetzt die Arbeitsbedingungen für Schlachter deutlich verbessern. Aber gibt es demnächst auch ein Gesetz für die Logistikbranche? Das fordern Grünen-Opposition und die Gewerkschaft Ver.di.

O-Ton, Andrea Kocsis, ver.di, stellv. Bundesvorsitzende:

„Wir waren zunächst mal überrascht, dass es diese positive Regelung jetzt in der Fleischwirtschaft gibt, haben aber sofort erkannt, dass dieses Gesetz auf andere Branchen ausgeweitet werden muss. Unter anderem auf die Paketdienstleister, in denen wir mittlerweile ähnliche Zustände vorfinden, wie in der Fleischwirtschaft.“

O-Ton, Beate Müller-Gemmeke, B´90 / Grüne, Sprecherin für Arbeitnehmerrechte:

„Ich fordere, dass die Generalunternehmerhaftung, also wie in dem Gesetz bei der Fleischbranche auch, auf die Logistikbranche übertragen wird.“

Arbeitsministerin Andrea Nahles äußert sich zu dieser Frage nicht, lässt uns aber ausrichten, dass gesetzliche Änderungen schon rein zeitlich in dieser Legislaturperiode nicht mehr bewerkstelligt werden könnten. Sie verweist auf Diskussionen, die auf Ebene der Europäischen Union geführt werden.

Viele Paketzusteller fühlen sich von der Politik im Stich gelassen. Obwohl er sechs Tage in der Woche arbeitet, kann er von seinem Verdienst nicht leben.

O-Ton:

„Politik sagt viel, aber passieren tut bei uns nichts. Der Mindestlohn wird zwar auf dem Papier eingehalten, aber genauer kontrolliert wird das ja nicht. Die Politik müsste einfach mal härter durchgreifen.“

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