Inhalt

13.12.2012

Rede: Kirchliches Arbeitsrecht

Heute haben wir erneut über das Kirchliche Arbeitsrecht diskutiert. In der Fraktion sind wir mit der Diskussion noch nicht durch – also haben wir uns bei einem Antrag enthalten. Dennoch – es gibt Probleme beim 3. Weg und auch allgemein im sozialen Bereich. Wir dürfen uns nicht wegducken, sondern wir müssen Lösungen finden, damit der soziale Bereich endlich die notwendige gesellschaftliche und politische Wertschätzung erhält.

Vizepräsident Eduard Oswald: Die nächste Rednerin ist die Kollegin Beate Müller-Gemmeke vom Bündnis 90/Die Grünen.

Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

Die Kirchen haben ein Selbstbestimmungsrecht, und vor diesem Hintergrund ist der Dritte Weg entstanden. Auf den ersten Blick scheint also alles ganz einfach. Inzwischen beschäftigen sich aber die Gerichte mit dem kirchlichen Arbeitsrecht. Vor allem hören wir von den Mitarbeitervertretungen lautstark Kritik. Deswegen beschäftigen wir Grüne uns schon länger mit dem kirchlichen Arbeitsrecht. Wir haben dazu eine Kleine Anfrage gestellt und zwei Fachgespräche durchgeführt. Das Thema ist komplex. Deshalb ist die Debatte in unserer Fraktion auch noch nicht abgeschlossen. Wir werden uns heute beim Antrag der Linken enthalten. Auch weil uns die Debatte und die Diskussion wichtig sind. Wir nehmen das Thema und vor allem die Beschäftigten in kirchlichen Einrichtungen ernst. Das sollten Sie, die Regierungsfraktionen, auch tun. Herr Weiß, Herr Kolb, Augen zu und durch ist einfach zu wenig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Otto Fricke (FDP): Was ist Ihr Lösungsvorschlag?)

Ich möchte kurz drei Aspekte ansprechen: Erstens. Die kirchlichen Loyalitätspflichten. Wenn die private Lebensführung im verkündigungsfernen Bereich zur Kündigung führen kann, dann ist das heute schlichtweg nicht mehr zeitgemäß. Damit muss sich die katholische Kirche auseinandersetzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Eduard Oswald:

Frau Kollegin Müller-Gemmeke, Sie sehen, dass eine Zwischenfrage des Kollegen Otto Fricke angemeldet ist. Gestatten Sie diese?

Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ja.

Vizepräsident Eduard Oswald: Bitte schön, Kollege Otto Fricke.

Otto Fricke (FDP):

Frau Kollegin Müller-Gemmeke, damit es nachher nicht zu einer Verschiebung der Wahrnehmung führt, frage ich, ob das, was Sie jetzt sagen, mit der Meinung Ihrer Spitzenkandidatin und der Vizepräsidentin in Einklang steht,

(Zuruf des Abg. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

oder muss ich nachher hören, dass das die Meinung der Grünen ist, aber nicht die von Frau Göring-Eckert?

(Raju Sharma (DIE LINKE): Was sagt denn Ihr Spitzenkandidat?)

Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Bei den Loyalitätspflichten sind wir uns einig. Wir machen Antidiskriminierungspolitik. Dieses Thema gehört schlichtweg dazu. Von daher können Sie diese, wie ich finde, langsam lächerlichen Angriffe lassen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Natürlich gibt es unterschiedliche Meinungen. Das ist in Ihrer Partei sicher auch so.

(Otto Fricke (FDP): Aber ist sie es oder nicht?)

Wir sind eine bunte Partei und haben unterschiedliche Meinungen. Aber in diesem Punkt sind wir uns einig. Von daher hätten Sie sich diese Frage sparen können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Anton Schaaf (SPD))

Ich sage es noch einmal: Mit den Loyalitätspflichten muss sich die katholische Kirche auseinandersetzen. Ob jemand homosexuell ist, ob sich jemand scheiden lässt, ob jemand wieder heiratet oder aus der Kirche austritt: Das ist für uns Privatsache. Das Eintreten dafür ist Teil unserer Antidiskriminierungspolitik.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Zweitens. Das Streikrecht. Dazu gab es ein BAG-Urteil. Die obersten Arbeitsrichter haben das absolute Streikverbot in kirchlichen Einrichtungen aufgehoben. Gleichzeitig wurde aber das kirchliche Selbstbestimmungsrecht bestätigt. Insofern sind Streiks dann doch wieder ausgeschlossen, aber nur unter eindeutigen Voraussetzungen. Laut BAG-Urteil müssen die Kirchen das Koalitionsrecht akzeptieren. Sie müssen die Gewerkschaften einbinden und die Verhandlungsergebnisse dann auch wirklich verbindlich umsetzen. Dieser letzte Aspekt ist mir ein besonderes Anliegen; denn gerade die Diakonie hat hier viel Spielraum, den sie auch nutzt, und zwar zulasten der Beschäftigten. In diesen Fällen droht den kirchlichen Einrichtungen zukünftig Streik – und ich meine: zu Recht.

Dennoch wurden mit diesem Urteil beide Seiten – Kirchen und Gewerkschaften – gleichermaßen gestärkt. Die Erfurter Richter setzen auf Kompromiss und auf Verständigung. Vielleicht bringt das Bewegung in die bislang unversöhnlichen Positionen. Wir würden das begrüßen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Damit bin ich beim dritten Aspekt: der Situation allgemein. Wir alle wissen, dass die Einführung des Wettbewerbs im sozialen Bereich eine politische Entscheidung war. Kollege Schreiner hat es gerade ausführlich dargestellt. Mittlerweile ist – auch in kirchlichen Einrichtungen – der Kostendruck enorm. Der Wettbewerb gefährdet die Qualität und geht zulasten der Beschäftigten, und das ist nicht akzeptabel. Meiner Meinung nach brauchen wir Arbeits- und Entlohnungsbedingungen, die für alle Anbieter im sozialen Bereich gleichermaßen gelten. Dafür haben wir eigentlich das Instrument der Allgemeinverbindlicherklärung. Die Kirchen aber lehnen Tarifverträge ab. Das Tarifvertragsgesetz hingegen kennt keine kirchlichen Entgeltregelungen und das ist für mich auch nicht verhandelbar. Genau dieser Konflikt muss gelöst werden. Hierfür tragen alle Verantwortung, auch die Politik.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir brauchen qualitativ gute soziale Dienste. Notwendig sind faire Löhne, gute Arbeitsbedingungen und auch eine Mitbestimmung auf Augenhöhe. Eine radikale Änderung per Gesetz funktioniert nicht. Wir dürfen uns nicht wegducken; wir müssen uns einmischen, wir müssen Anforderungen formulieren und im Dialog Lösungen entwickeln; denn die soziale Arbeit braucht endlich gesellschaftliche sowie politische Wertschätzung und Anerkennung. Dafür sollten wir uns gemeinsam einsetzen, liebe Regierungsfraktionen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

 

Rede als PDF