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04.03.2015

Gesetzliche Tarifeinheit – niemand weiß warum!

Die Bundesregierung plant ein verfassungswidriges Gesetz und weiß eigentlich gar nicht, warum. Die Bundesregierung hat keine verfassungsrechtlichen Bedenken, aber hat dafür keine Begründung. Mit diesen zwei Sätzen lassen sich die Antworten meiner Kleinen Anfrage zur gesetzlichen Tarifeinheit kurz und prägnant zusammenfassen.

In der Anfrage wollte ich wissen, wie viele kollidierende Tarifverträge der Bundesregierung bekannt sind und wie viele davon durch Kooperationen aufgelöst werden. Immerhin sollen die kollidierenden Tarifverträge per Gesetz aufgelöst werden, um die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie zu sichern. Doch die Bundesregierung kann keine Antworten geben und verweist nur pauschal auf das Gesundheitswesen, die Luftfahrtbranche und die Bahn.

Fakt ist jedoch: Tarifkollisionen gibt es klassischerweise schon lange im öffentlichen Dienst oder auch bei den Journalisten zwischen dju und DJV. Doch in beiden Fällen kooperieren die beteiligten Gewerkschaften. In der Luftfahrt hingegen existieren überhaupt keine Tarifkollisionen, da die Piloten allein bei der Gewerkschaft Cockpit organisiert sind. Im Gesundheitswesen wiederrum existiert seit dem Urteil 2010 kein Konflikt mehr. Die Tarifverträge von ver.di und Marburger Bund gelten beide. Die gesetzliche Tarifeinheit wird hier zu Konkurrenz führen und den Kampf um die Mitglieder verstärken. Einzig allein bei der Deutschen Bahn existiert wahrhaftig eine Tarifkollision und vor dem Hintergrund des drohenden Gesetzes zur Tarifeinheit ist das nur allzu verständlich. Von all dem hat die Bundesregierung anscheinend keine Kenntnis. Sie plant das verfassungswidrige Gesetz und weiß nicht einmal, warum.

Das geplante Gesetz wirft viele weitere Fragen auf, die ich in der Kleinen Anfrage gestellt hatte. Die Bundesregierung aber gibt entweder keine Antworten oder sie antwortet extrem kurz mit bekannten Ausführungen aus dem Gesetzentwurf. Gehaltvolle Begründungen, Beispiele oder Erläuterungen fehlen gänzlich. Bei solch einem weitreichenden Gesetz kann das nur als Armutszeugnis bezeichnet werden, denn immerhin geht es bei der gesetzlichen Tarifeinheit um die Koalitionsfreiheit und um das Streikrecht.

Die Bundesregierung hat keine verfassungsrechtlichen Bedenken, fast alle anderen aber schon. In ihren Antworten ignoriert die Bundesregierung die Bedenken von Rechtsgutachten, Stellungnahmen und insbesondere auch den von mir beauftragten Wissenschaftlichen Dienst und bemüht sich nicht einmal ihre Haltung substanziell zu begründen. Das ist nicht akzeptabel, denn niemand sollte so leichtfertig mit der Koalitionsfreiheit umgehen. Immerhin haben laut Verfassung alle Beschäftigten das Recht, sich zu organisieren und für ihre Anliegen zu streiken.

Auch beim Streikrecht bleibt die Bundesregierung mit ihren Antworten äußerst sparsam. Auch wenn im Gesetz selbst nichts zum Streikrecht steht, die Aussagen in der Begründung werden dennoch zu Veränderungen im Streikrecht führen. Die Fragen dazu beantwortet die Bundesregierung aber nicht. Das zeigt: Bundesarbeitsministerin Nahles drückt sich beim Streikrecht und schiebt die Verantwortung zu den Gerichten. So sieht das auch der Deutsche Anwaltverein, der in seiner Stellungnahme schreibt: „Will der Gesetzgeber verbindlich etwas zur Verhältnismäßigkeit von Arbeitskämpfen sagen, sollte er … Kraft und Mut haben, so etwas im Gesetzestext zu regeln.“

Die gesetzliche Tarifeinheit stärkt auch nicht die Solidarität. Im Gegenteil: Sie verschärft die Konkurrenz zwischen den Gewerkschaften. Davor warnen viele in der Diskussion um das geplante Gesetz. Die Bundesregierung teilt jedoch auch diese Befürchtungen nicht. So sieht das Ministerium beispielsweise kein Problem, wenn sich Berufsgewerkschaften durch die gesetzliche Tarifeinheit zukünftig für andere Berufsgruppen öffnen. Das zeigt, die Bundesregierung ist entweder blauäugig oder aber sie hat sich in keiner Weise mit möglichen Auswirkungen der gesetzlichen Tarifeinheit befasst.

Die Bundesregierung hat auch keinen Plan, wie bei der Mitgliederzählung die Zahl von Gewerkschaftsmitglieder festgestellt werden soll. Zwar ist jetzt klar, dass der Notar die gemeldete Mitgliederzahl nicht prüfen muss – die Gerichte aber schon. Wie das aber vonstattengehen soll, bleibt weiter im Dunklen. Die Bundesregierung legt ein verfassungswidriges Gesetz vor und ignoriert dabei die massiven Umsetzungsprobleme. Bei diesem Thema werde ich weiter nachfragen.

 

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