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28.09.2010

Kommentar: Erhöhung um 5 Euro ist schlicht unanständig

Um fünf Euro will Ursula von der Leyen die Regelsätze für erwachsene Hartz-IV-Empfänger_innen erhöhen – das sind gerade mal 17 Cent pro Tag. Die Vorschläge der Bundesarbeitsministerin zur Neuregelung der Hartz-IV-Leistungen sind eine Enttäuschung. Offensichtliche Defizite und seit langem bekannte und kritisierte Mängel werden nicht beseitigt – im Gegenteil. Lebenschancen werden auf diese Weise zunichte gemacht. Es ist schlicht unanständig, wie angesichts der positiven Wirtschaftsentwicklung mit den 7 Millionen Einkommensarmen in diesem Land umgegangen wird.

Am vergangenen Sonntag hat Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen den Referentenentwurf für die Neuberechnung der Hartz-IV-Regelsätze vorgestellt. Zuvor hatte das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil vom Gesetzgeber gefordert, das Berechnungsverfahren für den Bedarf an Grundsicherungsleistungen auf Grundlage eines transparenten und nachvollziehbaren Verfahrens zu errechnen. Das Ergebnis ist nun jedoch weder transparent, noch ist es in den Details nachvollziehbar – und sozial gerecht ist die Erhöhung um 5 Euro schon gar nicht. Die bislang vorliegenden Informationen über das Vorgehen der Bundesregierung lassen fürchten, dass sie eine Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils nach Kassenlage vorgenommen hat.

Die Zweifel an der Plausibilität des Verfahrens sind erheblich. Um nur ein Beispiel zu nennen: die Ausgaben für Tabakwaren und alkoholische Getränke aus der Regelsatzberechnung herauszunehmen, ist ein populistischer Rechentrick. Denn durch den statistischen Wert, den Alkohol und Zigaretten ausmachen, werden pauschal allen Leistungsbeziehern 19 Euro monatlich gekürzt. Dies trifft dann auch alleinerziehende Mütter, die statistisch weit niedrigere Ausgaben dafür hatten – und nun an anderer Stelle sparen müssen. Etliche monatliche Ansätze für Kinder und Jugendliche sind weder nachvollziehbar noch ausreichend. So erhalten Kinder von 0 bis 6 Jahren beispielsweise mehr Geld für den ÖPNV als Jugendliche zwischen 14 und unter 18 Jahre. Insgesamt ist der angesetzte Betrag für Busfahrkarten zu wenig, zumal ein Auto für Erwerbslose nicht vorgesehen ist.

Allerdings lässt sich erst anhand der konkreten Daten und Berechnungen sagen, wo überall die Bundesregierung getrickst hat. Diese wurden aber dem Gesetzgeber nicht vorgelegt und das ist der nächste Skandal. Ein Antrag der Oppositionsfraktionen im Ausschuss für Arbeit und Soziales, die Rohdaten und Vergleichsrechnungen zur Verfügung zu stellen, wurde mit den Stimmen von CDU/CSU und FDP abgelehnt. Ein solcher Vorgang ist wirklich beschämend und das Gegenteil von Transparenz. Eines aber wissen wir sicher, Zirkelschlüsse sind eingebaut: Aufstocker und Haushalte, die in verdeckter Armut leben, wurden nicht aus der Vergleichsgruppe heraus gerechnet.

Das von der Regierung hochgelobte Bildungspaket ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Die bisher veranschlagten 620 Millionen Mehrausgaben werden nie und nimmer ausreichen, um die Bedarfe der Kinder im Leistungsbezug zu decken. Wenn wirklich jedes der knapp 2 Mio. bedürftigen Kinder für jeden Schultag einen Zuschuss zum Schulessen von 2 € erhält, dann ist das eingeplante Geld schon mehr als verbraucht. Denn mit den vorgesehenen Summen ist gerade einmal ein Essenszuschuss von 1,50 € pro Kind und Schultag finanzierbar. Aus dem gleichen Topf sollen aber auch noch Ausgaben für Schulmaterial und Klassenfahrten, für Vereine und Lernförderung bezahlt werden. Gänzlich unerwähnt bleiben die Bedarfe für Schulweg, Schulsport, wetterfeste Kleidung. Um ein Bildungspaket für alle Kinder zu garantieren müssen also entweder die veranschlagten Mittel im Rahmen der Haushaltsberatungen gewaltig erhöht werden – oder es entstehen neue Versorgungslücken, neue Ungerechtigkeiten, neue Formen von Armut. Auf diese Weise wird Frau Ministerin von der Leyen ihrem eigenen Bildungsanspruch jedenfalls nicht gerecht.

Ganz unakzeptabel sind die Begründungen der Bundesregierung, denn immer wieder wird das sogenannte Lohnabstandsgebot bemüht. Damit werden die Ärmsten in unserer Gesellschaft gegen die Armen ausgespielt. Natürlich müssen Menschen mit Job mehr haben als Erwerbslose. Aber dazu dürfen nicht die Transferleistungen unter das Existenzminimum gedrückt werden. Vielmehr muss endlich Schluss sein mit Hungerlöhne im Niedriglohnbereich – wir brauchen einen gesetzlichen Mindestlohn als Unterkante und mehr branchenspezifische Mindestlöhne nach dem Arbeitnehmer- Endesendegesetz.