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27.02.2016

Leserbrief: Man muss Gesetze auch richtig verstehen können

Im GEA war am 6.2.2016 ein Leserbrief, der unter dem Titel „Man muss nur die Gesetze lesen können“ die Aussagen von Frau Petry und der AfD zum Schusswaffengebrauch an Grenzen aus meiner Sicht stark verharmlost hat. Das konnte ich so nicht stehen lassen. Deshalb habe ich mit einem Leserbrief darauf geantwortet.

Man muss Gesetze auch richtig verstehen können

Wenn hier in einem Leserbrief mithilfe gesetzlicher Regelungen vermeintlich erklärt wird, dass der Schusswaffengebrauch an der Grenze völlig rechtens ist und Frau Petry von der AfD daher die Wahrheit sagt, dann kann ich nicht stillhalten. Diese Aussage darf weder relativiert noch verharmlost werden.

Es kommt nicht nur darauf an, die Gesetze zu lesen. Es kommt darauf an, sie richtig zu verstehen. Das »Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes« (UZwG) regelt in §10 zunächst grundsätzlich den Einsatz von Schusswaffen. Danach dürfen Vollzugsbeamte nur schießen, wenn es gilt, ein Verbrechen zu verhindern. Verbrechen wiederum sind im Strafgesetzbuch definiert. Dort heißt es in § 12 I: »Verbrechen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind.« Der »illegale Grenzübertritt« hingegen ist im gesetzlichen Sinne kein Verbrechen. Er ist lediglich ein Vergehen nach dem Aufenthaltsgesetz und rechtfertigt in keiner Weise einen Schusswaffengebrauch.

Das UZwG aus dem Jahr 1961 regelt außerdem in §11 den »Schusswaffengebrauch im Grenzdienst«. In Zeiten des Kalten Krieges eine sicherlich weniger überraschende Norm – doch die illegalen Grenzübertritte von Agenten und Spionen dürften heute doch seltener geworden sein.

In §11 heißt es, Grenzbeamte können von der Schusswaffe gegen Personen Gebrauch machen, »die sich der wiederholten Weisung, zu halten oder die Überprüfung ihrer Person […] durch die Flucht zu entziehen versuchen.« Jetzt interpretieren manche diese Sätze, als dürften deutsche Grenzer jederzeit auf Flüchtlinge schießen. Immerhin sind es doch Flüchtlinge, sie sich ja schon dem Wortlaut nach auf der Flucht befinden. Doch dem ist nicht so. Schießen dürfen Vollzugsbeamte in Deutschland nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen. Der Bundesgerichtshof schreibt dazu in einem Urteil von 1989: »Der Schusswaffengebrauch im Grenzgebiet ist […] auf Fälle zu beschränken, in denen von demjenigen, auf den geschossen wird, eine Gefährdung von Leib oder Leben anderer zu befürchten ist.« (vgl. dazu BGHSt 35, 379 (386)) = NJW 1989, 723).

Wenn Flüchtlinge über die Grenze nach Deutschland kommen, dann gefährden sie nicht unser Leben. Das Gegenteil ist der Fall: Die Menschen sind auf der Flucht, weil Krieg und Terror ihr Leben gefährdet. Wer diese Realität auf den Kopf stellt, der hetzt, radikalisiert und vergiftet bewusst die politische Diskussion. Deswegen ist die Debatte um den Schusswaffengebrauch einfach nur zynisch und menschenverachtend. Am Ende geht es doch um die Frage, wie wir mit Menschen in höchster Not umgehen. Dabei geht es um unsere Werte, die uns als Gesellschaft zusammenhalten. Wir brauchen nicht Anfeindungen und Ausgrenzung, sondern mehr Solidarität.

 

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