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29.01.2020

Podium: Arbeitszeit dokumentieren

Wenn Juristen zusammensitzen und Gerichtsbeschlüsse diskutieren, dann ist alles eine Auslegungssache. In der letzten Januarwoche war ich eingeladen, im Festsaal der Humboldt-Universität in Berlin mitzudiskutieren, und zwar das Thema „Arbeitszeit und Arbeitsmobilität 4.0: Was brauchen wir, was wollen wir?“ Dort diskutierten Juristen und Politiker_innen, welche Auswirkungen das EuGH-Urteil vom Mai letzten Jahres zur Dokumentation der Arbeitszeit hat.

Das EuGH-Urteil wird auf verschiedenerlei Weise ausgelegt: Der Bonner Arbeitsrechtler Professor Gregor Thüsing etwa ist der Auffassung, dass dieses Urteil die Arbeitgeber zwar verpflichtet, ein System zur Erfassung der Arbeitszeit bereitzustellen. Anschließend können sie die konkrete Erfassung allerdings auf ihre Beschäftigten delegieren, und die – so seine Meinung – könnten selbst entscheiden, ob sie ihre Arbeitszeit dokumentieren wollen oder nicht. Thüsings Bonner Kollege Professor Stefan Greiner meinte, es brauche mehr Arbeitszeitflexibilität etwa bei der Wochenarbeitszeit. Immerhin hätten die Beschäftigten doch eine Eigenverantwortung für ihren Gesundheitsschutz – und, da ist er dergleichen Meinung wie Thüsing – können sie selbst darauf achten, dass sie das Arbeitszeitgesetz einhalten.

Das vehemente Contra kam von Professor Jens Schubert von der Gewerkschaft ver.di und natürlich von mir. Denn wir sagen: Gesundheitsschutz ist nicht verhandelbar. Und das Arbeitszeitgesetz mit festen Höchstarbeitszeiten und vorgeschriebenen Ruhephasen schafft eben diesen Arbeits- und Gesundheitsschutz. Die gesetzlichen Regelungen erlauben außerdem bereits heute genügend Ausnahmen. Wir lehnen daher Forderungen, die das Arbeitszeitgesetz noch weiter aufweichen wollen, ab.

Es ist längst wissenschaftlich erwiesen, dass längere Arbeitszeiten und verkürzte Ruhezeiten den Stress erhöhen, zu Erholungsdefiziten führen und das Unfallrisiko enorm ansteigen lassen. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) fand heraus, dass Beschäftigte mit überlangen Arbeitszeiten ein um 37 Prozent erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben. Außerdem steigt bereits nach der siebten Arbeitsstunde das Unfallrisiko deutlich. Eine Kürzung der Ruhezeit hat laut BAuA deutliche Auswirkungen auf den Schlaf und die Schlafdauer. Schlafmangel und geringe Schlafqualität sind wiederum mit verstärkten körperlichen und psychischen Beschwerden verbunden.

Außerdem ist Flexibilität keine Einbahnstraße. Die Arbeitgeber können nicht eine immer weitergehende Flexibilisierung der Arbeitszeit fordern, die allein auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen wird. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels ist es endlich an der Zeit, dass Arbeitszeit auch im Sinne der Beschäftigten flexibilisiert wird. Notwendig ist mehr Zeitsouveränität für die Beschäftigten. Wir brauchen beispielsweise die Möglichkeit, dass Beschäftigte bei der Lage ihrer Arbeitszeit mitreden können. Außerdem soll da, wo es arbeitstechnisch möglich ist, ein Recht auf Homeoffice eingeführt werden.