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07.03.2012

Rede: Aktuelle Stunde zur Tarifeinheit

Der Streik der Beschäftigten auf dem Vorfeld vom Frankfurter Flughafen hat die Diskussion zur Tarifeinheit wieder angeheizt. Das Thema wurde heute auch in der Aktuellen Stunde diskutiert. Die grüne Fraktion hat sich noch nicht abschließend eine Meinung gebildet. Ich selbst spreche mich aber gegen eine Tarifeinheit aus, denn eine Tarifeinheit ist ein Angriff auf das garantierte Grundrecht auf Koalitionsfreit und ein Eingriff ins Streikrecht.

Vizepräsident Eduard Oswald: Die nächste Rednerin ist die Kollegin Beate Müller-Gemmeke vom Bündnis 90/Die Grünen.

Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

Nach dem BAG-Urteil zur Tarifeinheit kündigte Bundeskanzlerin Merkel bereits 2010 eine Gesetzesinitiative an. Wie so häufig gab es interne Schwierigkeiten innerhalb der Koalition. In der Folge ist das Thema wieder eingeschlafen. Die 200 Beschäftigten auf dem Vorfeld des Frankfurter Flughafens haben jetzt erneut das politische Berlin aufgescheucht.

(Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Mich nicht!)

Natürlich konnte Ankündigungsministerin von der Leyen nicht stillhalten und hat letzte Woche über alle Kanäle eine Initiative der Bundesregierung angekündigt. Verheißungsvolle Ankündigungen sind aber zu wenig. Wie bei vielen anderen, vor allem sozialen Themen ist konkretes Handeln gefordert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eine gesetzlich normierte Tarifeinheit ist wahrlich kein einfaches Thema. Vor allem muss gut überlegt sein, ob man solch eine Initiative überhaupt angehen möchte und ob es notwendig ist. Für unsere Fraktion kann ich Ihnen sagen, dass dieser Diskussionsprozess noch nicht abgeschlossen ist.

(Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Tatsächlich?)

Die Wirtschaft befürchtet, dass mit immer mehr Spartengewerkschaften die Tarifverhandlungen konfliktreicher werden. Der Streik auf dem Frankfurter Flughafen hat zahlreiche Menschen betroffen, Unverständnis in der Öffentlichkeit hervorgerufen und auch Kosten verursacht. Der Streik hat meiner Meinung nach aber auch gezeigt, dass rechtliche Grenzen existieren. So hat das Arbeitsgericht den geplanten Solidaritätsstreik der Fluglotsen als unverhältnismäßig eingestuft und letztlich gestoppt. Es bestehen also funktionierende Kontrollmechanismen, die Unternehmen – trotz Tarifpluralität – schützen.

Sachlich gesehen drohen Deutschland keine englischen Verhältnisse. Ich sehe das genauso wie die FDP.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Hört! Hört!)

– Das soll auch mal vorkommen. – Die Zahl der Streiktage hat sich trotz des BAG-Urteils nicht erhöht, sondern reduziert. Deutschland ist also kein streikgeplagtes Land. Dennoch werden wir die Anliegen und Befürchtungen der Wirtschaft in unsere Überlegungen einbeziehen und ernst nehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die großen Gewerkschaften sind Spartengewerkschaften natürlich Konkurrenz. Dabei geht es vor allem und zu Recht um den Erhalt der innerbetrieblichen Solidarität. Tarifpolitik muss solidarisch sein. Die Starken dürfen sich nicht nur um sich selbst kümmern und sich nur für ihre eigenen Interessen einsetzen,

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

sondern sie müssen auch die Schwachen im Betrieb im Blick haben. Auch wir wünschen uns eine solidarische Tarifpolitik, durch die immer Verbesserungen für die gesamte Belegschaft erkämpft werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Etliche Beschäftigte fühlten sich von den großen Einheitsgewerkschaften in der Vergangenheit aber nicht mehr vertreten und haben deswegen selbst die Initiative ergriffen. An diesem Punkt wird das Thema Tarifeinheit richtig schwierig; denn hier geht es um das verfassungsrechtlich garantierte Grundrecht auf Koalitionsfreiheit und um das Streikrecht. Der Vorsitzende der Monopolkommission warnte bereits davor, per Gesetz die Tarifeinheit wieder herzustellen. Wortwörtlich sagte er – ich zitiere –:

Ein Zwang für Minderheiten, sich der Mehrheitsgewerkschaft anzuschließen oder das Verhandlungsmandat zwangsweise aufzugeben, wäre kaum grundgesetzkonform, da es die grundgesetzlich garantierte Tarifautonomie verletzen würde. Diese gilt nämlich auch für Minderheiten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dieses Zitat zeigt, dass wir in den kommenden Wochen in diesem Haus sehr ernste Diskussion führen müssen. Wichtig ist, dass die Bundesregierung auf weitere Ankündigungen verzichtet, endlich Position bezieht und handelt, in die eine oder in die andere Richtung.

Abschließend möchte ich noch einen Aspekt ansprechen, der mir in dieser Diskussion sehr wichtig ist. Die Bundesregierung, aber auch die Kollegen Heil und Steinmeier begründen ihre Forderung nach Tarifeinheit immer mit der drohenden Zersplitterung der Tariflandschaft. Auch ich warne immer davor. An der Zersplitterung hat das BAG-Urteil aber den geringsten Anteil. Viel wichtiger sind andere Faktoren: die Tarifflucht vieler Arbeitgeber,

(Hubertus Heil (Peine) (SPD): Auch das!)

Leiharbeit, sachgrundlose Befristung, Werk- und Honorarverträge. Wenn sich die Bundesregierung wirklich um die Zersplitterung der Tariflandschaft sorgt, dann sollte sie endlich etwas dagegen unternehmen: Dann sollte sie einen gesetzlichen Mindestlohn einführen, die Leiharbeit regulieren und die Befristungsmöglichkeiten eingrenzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

All dies wären effektive Maßnahmen, um die Verhandlungskraft der großen Gewerkschaften zu stärken und Spartengewerkschaften zu vermeiden.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

 

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