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29.09.2011

Rede: Befristete Beschäftigung

Heute wurde endlich das Thema „Befristete Beschäftigung“ im Bundestag diskutiert. Mittlerweile hat jede zweite neue Stelle ein Verfallsdatum. Das trifft vor allem junge Menschen und nur 25% werden nach einer Befristung übernommen. Wir Grünen kritisieren diese Entwicklung und wollen die sachgrundlose Befristung abschaffen, denn die Menschen brauchen Sicherheit. Dennoch haben die Regierungsfraktionen unserem Antrag die Zustimmung verweigert – aber wir haben von dieser schwarz-gelben Regierung auch nichts anders erwartet.

Vizepräsident Eduard Oswald: Die nächste Rednerin ist die Kollegin Beate Müller-Gemmeke vom Bündnis 90/Die Grünen.

Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

Die Zahlen sprechen eine klare Sprache. Zwischen 1996 und 2010 hat sich die Zahl der befristeten Beschäftigungsverhältnisse auf über 2,5 Millionen nahezu verdoppelt. Entscheidend ist aber: Mittlerweile hat jede zweite neue Stelle ein Verfallsdatum, ist also befristet. Wir Grüne sehen diese Entwicklung mit Sorge

(Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Das ist der Erfolg eurer Politik!)

und kritisieren die Tendenz hin zu immer mehr atypischer und prekärer Beschäftigung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Auch Rot-Grün trägt hierfür Verantwortung; das wissen wir. Das haben wir schon häufig gesagt. Wir hatten damals die Hoffnung, dass die sachgrundlose Befristung eine Brücke in Dauerbeschäftigung ist – insbesondere für Ältere und zu mehr Arbeitsplätzen insgesamt führt. Aber es funktioniert nicht. Herr Kollege Kolb, Politik muss hin und wieder lernen und sollte nicht krampfhaft an Positionen festhalten.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Die Zahlen sprechen eine klare Sprache!)

Das schafft übrigens auch Vertrauen. Das kann gerade die FDP momentan gut gebrauchen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Zu viele Arbeitgeber nutzen nur den vorhandenen gesetzlichen Rahmen und stellen ohne Not befristet ein, statt reguläre, unbefristete Beschäftigungsverhältnisse zu schaffen. Sie, die Regierungsfraktionen, behaupten immer noch, dass sachgrundlose Befristung arbeitsmarktpolitisch Sinn macht. Unkritisch setzen Sie auf Flexibilität für die Arbeitgeber und ignorieren, dass der Preis für die Beschäftigten zu hoch ist. Befristete Jobs werden deutlich schlechter vergütet. Befristet Beschäftigte haben ein größeres Armutsrisiko, sie werden schneller arbeitslos. Eine Familien- und Lebensplanung gestaltet sich schwierig.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Das wussten Sie doch alles, als Sie das Gesetz damals geändert haben!)

Wer befristet angestellt ist, macht sich auch mehr Sorgen über Arbeitslosigkeit, Krankheit und Armut im Alter. Die Flexibilität der Arbeitgeber geht voll und ganz zulasten der Beschäftigten. Diese Fehlentwicklung ist für uns nicht mehr akzeptabel.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Eine Entwicklung beschäftigt mich ganz besonders. Die Befristungsmöglichkeit, aber auch die Personalpolitik der Arbeitgeber treiben eine ganze Generation – ich meine die Jungen – in unsichere Jobs. Die Arbeitgeber begnügen sich nicht mehr mit einer Probezeit von sechs Monaten. Mit befristeten Arbeitsverträgen werden junge Menschen zwei Jahre hingehalten. Nur noch 25 Prozent haben Glück und werden übernommen, die anderen 75 Prozent müssen wieder von vorne beginnen. Wir haben nicht nur eine Generation Praktikum, sondern wir haben mittlerweile auch die Generation Probezeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Klaus Ernst (DIE LINKE))

Für junge Menschen wird der Schwebezustand damit zum Dauerzustand, und das Fehlen von Zukunftsplänen wird zur Normalität. Lebensplanung ist ein Begriff, über den viele jüngere Beschäftigte nur noch müde lächeln können. Befristung bedeutet beim Berufseinstieg aber auch weniger Lohn. Es dauert sehr lange, bis diese Verdienstlücke zwischen befristet und unbefristet Beschäftigten wieder geschlossen ist. Laut einer Studie brauchen Männer dafür zwölf Jahre. Bei Frauen geht es schneller. Sie brauchen nur sechs Jahre, aber sie verdienen auch weniger als die Männer. Viel zu viele junge Menschen haben also einen langen und unsicheren Berufseinstieg. Das ist nicht nur ungerecht, sondern vor allem auch unverantwortlich.

(Beifall der Abg. Gabriele Hiller-Ohm (SPD))

Es muss also damit Schluss sein, dass Arbeitgeber das unternehmerische Risiko auf die Beschäftigten übertragen, auf billigere Löhne spekulieren und mithilfe von Befristungen den Kündigungsschutz umgehen. Deshalb fordern wir in unserem Antrag auch die Streichungen im Teilzeit- und Befristungsgesetz.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wenn der Blick auf die Beschäftigten und auf die unsichere Lebenssituation die Regierungsfraktionen nicht überzeugen kann, dann hätte ich abschließend noch ein weiteres Argument für unseren Antrag: Zu viele befristete Jobs schwächen auch die Gewerkschaften; denn befristet Beschäftigte sind weniger organisiert.

(Klaus Barthel (SPD): Das wollen die da drüben ja!)

Wenn die Fluktuation im Betrieb groß ist, dann haben die Gewerkschaften und Betriebsräte weniger Möglichkeiten, neue Mitglieder zu werben. Mit unserem Antrag wollen wir also auch die Gewerkschaften stärken.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dieses Argument müsste eigentlich auch die Regierungsfraktionen überzeugen, die stets die Tarifautonomie hochhalten und damit gesetzgeberische Maßnahmen ablehnen. Ich komme zum Schluss. Mit unserem Antrag wollen wir den Arbeitgebern nicht jegliche Flexibilität nehmen. Sie haben weiterhin die Möglichkeit, befristet einzustellen, sofern ein Grund vorliegt. Unser Ziel ist aber, eine neue, eine gerechte Balance herzustellen, die den Interessen der Arbeitgeber und der Beschäftigten gleichermaßen gerecht wird. Wir wollen keine Spaltung zwischen regulär und prekär Beschäftigten; denn die Menschen brauchen soziale Sicherheit.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)