Inhalt

27.04.2012

Rede: Stärkung der Gewerkschaften

Vor 26 Jahren war die große Diskussion zum Anti-Streik-Paragraphen – der §116 Arbeitsförderungsgesetz wurde abgeschafft. Jetzt forderte die Linke mit einer Sofortabstimmung, dass genau dieser Paragraph wieder eingeführt wird. Solch ein komplexes und ernstes Thema muss ausführlich diskutiert werden und darf nicht mit einer Sofortabstimmung kurz vor dem 1. Mai missbraucht werden. So funktioniert Politik für mich nicht. Die Überschrift täuscht – Symbolpolitik schadet immer mehr, als dass sie hilft.

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Beate Müller-Gemmeke für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

Es waren die Streiks um die 35-Stunden-Woche, die zum Antistreikparagrafen geführt haben, und es war Norbert Blüm, der das gegen den erbitterten Widerstand der Gewerkschaften durchgedrückt hat. Der damalige schwarz-gelbe Angriff auf die Streikfähigkeit war heftig und hat insbesondere die IG Metall und die IG BCE getroffen. Aber das Vorhaben ist missglückt. Die Gewerkschaften haben sich auf die neue Situation eingestellt, und sie sind heute noch immer hervorragend organisiert. Dieser Leistung gebührt unsere Anerkennung und unser Respekt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Heute aber kommt die Linke und zaubert diese Vergangenheit aus dem Hut. Ich bin wahrlich viel mit den Gewerkschaften im Gespräch. Ich kann jedoch keinen aktuellen Anlass ausmachen, dieses Thema auf die Tagesordnung zu setzen, es sei denn, man möchte während der laufenden Tarifrunde und vor dem 1. Mai einen symbolischen Antrag stellen.

(Paul Lehrieder (CDU/CSU): Das ist die Triebfeder!)

Das wird aber – das möchte ich mit aller Deutlichkeit sagen – diesem ernsten Thema nicht gerecht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Für uns Grüne ist die Tarifautonomie ein hohes Gut. Die Tarifautonomie funktioniert natürlich nur dann, wenn ein Gleichgewicht der Kampfmittel gegeben ist. In diesem Sinne ist die damalige Änderung natürlich unzureichend; denn mit der kalten Aussperrung – eben ohne Kurzarbeitergeld – wurde die Arbeitgeberseite zulasten der Gewerkschaften gestärkt. Herr Kolb, es stimmt einfach nicht, dass – so wie Sie es ausgedrückt haben – die Spieße gleich lang sind. Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht den § 146 SGB III als „gerade noch verfassungsgemäß“ bezeichnet. Es hat zwar nicht die Rote, aber doch die Gelbe Karte gezogen.

Heute fordert die Linke einfach nur die Wiedereinführung der alten Regelung. Wenn wir aber Chancengleichheit, Kampfparität und auch Neutralitätspflicht der Bundesagentur für Arbeit herstellen wollen, dann müssen wir angesichts unserer verflochtenen Wirtschaft die mittelbare Streikbetroffenheit sowie die kalte Aussperrung beurteilen und definieren. Es müssen also Kriterien entwickelt werden, die auch zeitgemäß sind.

Eine solche Auseinandersetzung ist in der Tat nicht einfach. Sie müsste im parlamentarischen Verfahren ausführlich mit den Sozialpartnern, das heißt mit den Gewerkschaften und mit der Wirtschaft, geführt werden. Diese spannende Diskussion soll jedoch nach dem Willen der Linken nicht stattfinden, da wir heute sofort abstimmen werden. Ich sagte es schon einmal: Das wird diesem komplexen Thema nicht gerecht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Der Antistreikparagraf und die veränderten Kräfteverhältnisse waren für die Gewerkschaften selbstverständlich eine große Herausforderung. Insbesondere die IG Metall musste ihre Streikstrategie verändern und zunehmend die immer stärkeren Verflechtungen, die langen Lieferketten und eventuelle Fernwirkungen beim Arbeitskampf beachten. Und doch haben gerade die IG Metall und die IG BCE stets gute Lohnabschlüsse erzielt,

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): So ist es!)

aber, Herr Kolb, sie haben in den letzten zehn Jahren den verteilungsneutralen Spielraum oft nicht ausschöpfen können.

Jetzt stellt sich die Frage: Liegt das ausschließlich am Antistreikparagrafen, oder gibt es auch andere Gründe? Die Antworten auf diese Fragen sind notwendig, wenn man die Gewerkschaften stärken will. Auch diese inhaltliche Diskussion können wir wegen der anstehenden Sofortabstimmung nicht führen. Wieder muss ich sagen: Eine ernsthafte Debatte sieht anders aus.

Mein Fazit lautet: Für dieses Thema wäre ein normales parlamentarisches Verfahren mit Anhörung wahrlich angemessen gewesen. Das Thema ist komplex und übrigens auch hochspannend, zumal der Antistreikparagraf damals gesellschaftlich extrem umstritten war und die Gemüter bewegt hat. Sie, die Linke, machen aus all dem leider nur ein Spektakel. Deshalb werden auch wir Grünen uns enthalten. Wir wollen bei diesem Spiel nämlich nicht mitmachen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

 

Rede als PDF