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18.05.2022

Regierungsbefragung: Frage zum Sozialen Arbeitsmarkt und zur Assistierten Ausbildung

Ich habe Minister Heil gefragt, ob er sich dafür einsetzen wird, dass der Soziale Arbeitsmarkt künftig ausreichend und besser finanziert wird. Außerdem wollte ich wissen, inwieweit er das Instrument der Assistierten Ausbildung stärken möchte. Der Minister hat sich in seiner Antwort eindeutig für den Sozialen Arbeitsmarkt ausgesprochen. Bei der Assistierten Ausbildung hat er sich jedoch nicht eindeutig positioniert.

Präsidentin Bärbel Bas:

Die letzte Nachfragerin zu diesem Komplex ist jetzt aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Beate Müller-Gemmeke.

Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Sehr geehrter Herr Minister, ich möchte noch einen anderen Aspekt beim Thema Bürgergeld ansprechen. Der Haushalt 2023 steht ja vor der Tür. In diesem Haushalt müssen wir natürlich alle Vorhaben der Ampel abbilden. Ein zentrales Vorhaben ist das Bürgergeld, über das wir gerade hier diskutieren. Wir wollen einen Perspektivwechsel bei der Arbeitsförderung. Wir wollen Beratung auf Augenhöhe. Wir wollen individuelle Angebote, die zu den Menschen passen; ein Fokus liegt auf Weiterbildung und Qualifizierung. Wir wollen den Menschen neue Chancen und Perspektiven ermöglichen. Ich wiederhole das noch mal – auch in Richtung Union – denn es geht nicht nur um Sanktionen, sondern es geht um den Perspektivwechsel, den wir mit dem Bürgergeld vorhaben. Für Menschen, die sehr lange arbeitslos sind, braucht es vor allem soziale Teilhabe, und da geht es um den sogenannten Sozialen Arbeitsmarkt, um den § 16i SGB II. Sie haben gesagt, er wird entfristet. Wir wollen ihn auch ein bisschen anders ausgestalten. Meine Frage ist: Werden Sie sich in den Haushaltsberatungen dafür einsetzen, dass der Soziale Arbeitsmarkt wirklich ausreichend finanziert wird? Und damit meine ich: besser als heute.

Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales:

Frau Kollegin, der Haushaltsaufstellung für 2023 kann ich nicht vorweggreifen, die läuft. Wir haben Donnerstagnacht die Bereinigungssitzung für den 2022er-Haushalt, sind mit dem Bundesfinanzminister aber auch schon im Aufstellungsverfahren für den Haushalt 2023. Da Sie mich nach meiner fachlichen Meinung fragen: Der Soziale Arbeitsmarkt zeigt, dass das richtig gut investiertes Geld ist. Wir haben über 50.000 Menschen nicht in irgendwelche Maßnahmen, sondern in sozialversicherungspflichtige Arbeit gebracht. Es geht um Menschen, die ganz lange raus aus dem Arbeitsmarkt waren, die trotz der guten Lage am Arbeitsmarkt über viele Jahre von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen waren und die sonst keine Chance gehabt hätten, wieder in sozialversicherungspflichtige Arbeit zu kommen. Ich habe vorhin versucht, das am Beispiel eines Menschen aus Heidelberg zu beschreiben. Man muss, glaube ich, in der Arbeitsmarktpolitik berücksichtigen: Die meisten Menschen, die arbeitslos werden, brauchen keine aktive Arbeitsmarktpolitik; denn der Arbeitsmarkt ist gut. Es gibt welche, die aktive Arbeitsmarktpolitik brauchen, um Arbeitsplätze zu sichern, Stichwort „Kurzarbeit“. Aber Menschen, die drei, vier, fünf, sechs oder zehn Jahre arbeitslos sind, haben meistens begleitende Probleme; da fehlt nicht nur Arbeit. Und da müssen wir Brücken bauen. Deshalb: Ja, ich werde mich dafür einsetzen, dass wir den Arbeitsmarkt entfristen und auch Mittel im Eingliederungstitel bekommen, um dafür zu sorgen, dass wir den sozialen Arbeitsmarkt verstetigen und möglichst auch ausbauen können, um Langzeitarbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Aber am Ende entscheidet dieser Bundestag über das Geld; denn das ist Ihr Recht.

Präsidentin Bärbel Bas:

Das ist auch gut so.

Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales:

Genau.

Präsidentin Bärbel Bas:

Sie dürfen eine Nachfrage stellen

Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Aber es ist auch gut, dass wir uns alle unterhaken und im Voraus für die richtigen Aspekte kämpfen. Meine Nachfrage zielt darauf ab, was darüber hinaus beim Thema Bürgergeld zentral ist. Unser Fokus liegt ganz klar bei jungen Menschen. Es geht darum, ihnen Perspektiven zu eröffnen. Ein wichtiges Instrument dafür ist die Assistierte Ausbildung, von der ich glaube, dass wir sie stärken und finanziell besser ausstatten müssen. Von daher frage ich an dieser Stelle nach: Werden Sie sich zusammen mit uns dafür einsetzen, dass wir das Instrument der Assistierten Ausbildung zum einen etwas verändern und passgenauer machen, zum anderen aber auch genügend finanzielle Mittel dafür und für die Ausbildung der jungen Menschen insgesamt im SGB II bereitstellen?

Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales:

Frau Kollegin, Ja ist die Antwort. Aber das ist nicht der wichtigste Punkt. Es ist ganz zentral, dass wir die Assistierte Ausbildung für die jungen Leute besser organisieren und sie vermehrt anbieten, da es wirklich die Chance bietet, wieder eine Ausbildung zu bekommen. Aber als größeren Rahmen – das kann ich, glaube ich, an dieser Stelle sagen – muss man sich die Struktur der Langzeitarbeitslosigkeit in Deutschland einmal genauer angucken. Leute, die sich nicht mit Arbeitsmarktpolitik beschäftigen, stehen vor einem Rätsel, das da lautet: Der Arbeitsmarkt ist super; trotzdem haben wir einen verfestigten Sockel von Langzeitarbeitslosigkeit. Wie passt das zusammen? Sind die alle zu faul, oder was ist los? – Das ist die Unterstellung, die manchmal mitschwingt. Das ist gesellschaftliches Gift, und deshalb muss man sich die Realität anschauen. Und die Realität zeigt, dass zwei Drittel der langzeitarbeitslosen Menschen keine abgeschlossene Berufsausbildung haben, dass Jahr für Jahr 50 000 junge Menschen die Schule ohne Schulabschluss verlassen und dass wir in Zeiten des Fachkräftemangels 1,3 Millionen Menschen zwischen 20 und 30 Jahren ohne Berufsausbildung in Deutschland haben. Denen müssen wir eine zweite und eine dritte Chance geben.

Am besten ist es übrigens, dieser Entwicklung den Nachwuchs abzugraben. Deshalb ist ein Element, das ich zusätzlich zur Assistierten Ausbildung kurz erwähnen will, die Tatsache, dass wir mit dem Vermittlungsvorrang im SGB II anders umgehen werden. Im Moment steht im Gesetz – ich übersetze das mal –: Man muss die Leute in irgendwelche Arbeit bringen. Das führt dazu, dass viele ohne Ausbildung mal kurz in Arbeit kommen, manchmal auch in prekäre Arbeit, und das Jobcenter sie dann wiedersieht. Das ist keine nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt. Mit dem Bürgergeld werden wir einführen, dass das Nachholen eines Berufsabschlusses im Zweifelsfall Vorrang vor der Vermittlung in irgendwelche Arbeit hat, wenn Sie so wollen nach dem Motto „ordentliche Arbeit statt Hilfskräfte produzieren“. Das ist übrigens auch gut für die Fachkräftesicherung in diesem Land.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Regierungsbefragung: Frage zum Sozialen Arbeitsmarkt und zur Assistierten Ausbildung