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21.09.2016

Regierungsbefragung: Nahles rechnet es sich schön

 

Bei der Regierungsbefragung im Bundestag zur Neuberechnung der Regelsätze haben wir Ministerin Nahles auf den Zahn gefühlt. Denn die Neuberechnung ist gespickt mit methodischen Rechentricks. Der Regelsatz wird klein gerechnet. Vor allem Kinder leiden darunter: so zählen beispielsweise Malstifte oder ein Eis nicht mehr zum Bedarf von Kindern. Auf meine Frage dazu, erhielt ich die Antwort, sie wolle Teilhabe ermöglichen, aber das habe eben Grenzen. Mit einer weiteren Frage habe ich ausgeführt, dass es laut Bundesverfassungsgericht kein Lohnabstandsgebot bei der Berechnung der Regelsätze geben darf. Die Antwort darauf war nichts sagend. Ich meine aber – Arbeitslose und Niedrigverdienende dürfen bei Leistungen zur gesellschaftlichen Teilhabe nicht gegeneinander ausgespielt werden!  

Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Müller-Gemmeke.

Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrte Frau Ministerin, ist es richtig, dass beim Regelsatz für Kinder und Jugendliche beispielsweise Kosten für Malstifte, einen Regenschirm oder Handys nicht vorgesehen sind? Und ist es auch richtig, dass es kein Geld dafür gibt, damit Kinder im Sommer beispielsweise mit Freundinnen einmal ein Eis essen gehen können? Wenn das so stimmt, sind Sie dann der Auffassung, dass damit das Existenzminimum und die gesellschaftliche Teilhabe gesichert sind?

Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und Soziales:

Nun, das alles ist richtig, und Sie wissen das auch. Sie knüpfen die Frage daran an: Ist das gerechtfertigt? Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Es gibt ganz viele Leute, die in Arbeit sind und wenig Einkommen – vielleicht den Mindestlohn – haben. Auch diese müssen da abwägen und können auch nur eingeschränkt Teilhabe wahrnehmen. Ich denke, das ist deswegen ein grundsätzliches Problem. Wir haben versucht, im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepaketes gerade junge Leute in Bezug auf Schulausflüge, Mittagessen und anderes zu unterstützen. Auch Nachhilfe wird mittlerweile in diesem Bereich finanziert. Das alles sind unsere Maßnahmen, um genau die Teilhabe, von der Sie reden, auch zu ermöglichen. Aber natürlich hat das auch Grenzen. Es ist nicht schön, wenn ich Folgendes sagen muss: Das hat nicht nur Grenzen, weil der Finanzminister vielleicht zu wenig Geld hat, sondern weil es natürlich auch um eine Relation geht. Es geht um die Relation zwischen denen, die wir im Rahmen des SGB-II- und SGB-XII-Regelkreises unterstützen, und denen, die für ihren Lebensunterhalt arbeiten und vielleicht keine hohen Löhne bzw. Einkommen haben.

(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist zynisch!)

Genau diese Gruppe von Menschen ist ebenfalls in ihren Möglichkeiten eingeschränkt. Sie mögen das anders sehen, aber es ist meine feste Überzeugung, dass wir auch das insgesamt betrachten müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Bitte schön, Frau Müller-Gemmeke.

Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank. – Ich muss auf die Ausführungen zurückkommen, die Sie auf meine letzte Frage hin gemacht haben; „Regelsätze für Kinder und Jugendliche“, „Malstifte“ waren die Stichworte. Diese Ausführungen haben mich sehr irritiert; denn es geht momentan bei der Regelsatzberechnung ganz klar darum, dass das Existenzminimum gesichert sein muss, und dazu gehört definitiv auch die gesellschaftliche Teilhabe. Das Bundesverfassungsgericht hat sehr eindeutig gesagt, dass bei der Berechnung das Lohnabstandsgebot – wie hoch ist der Regelsatz, und wie viel verdienen beispielsweise Niedrigverdienende in Deutschland? – überhaupt keine Rolle spielen darf. Trotzdem habe ich, wenn ich Sie so reden höre, das Gefühl, dass Sie die Menschen, die niedrige Einkommen beziehen, und die Menschen, die momentan keine Arbeit haben, also erwerbslos und auf Leistungen angewiesen sind, gegeneinander ausspielen. Sie müssten doch aber auf der einen Seite das Existenzminimum sichern und auf der anderen Seite genügend Maßnahmen auf den Weg bringen, dass die Menschen, die Arbeit haben, davon tatsächlich auch leben können. Gegeneinander ausspielen, das geht gar nicht.

Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und Soziales:

Ihnen ist bekannt, dass ich den Mindestlohn hier als Ministerin durchgesetzt habe – gegen nicht ganz unerhebliche Widerstände an einigen Stellen. Ich glaube, da brauche ich keine Aufklärung. Ich kann leider auch Ihre Irritation jetzt nicht auflösen.

Fragen und Antworten: Regelsätze