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16.10.2019

Verabschiedung von Frank Bsirske

Für gerechte Löhne und eine starke Tarifpartnerschaft – dafür hat Frank Bsirske sein Gewerkschaftsleben lang gekämpft. Er wurde im Laufe der Jahre zum streitbaren gewerkschaftlichen Urgestein. Und als solches mischte er sich überall dort ein, wo er Ungerechtigkeit aufspürte und wo die Würde der Menschen angetastet wurde. Und jetzt wurde Frank Bsirske im Tipi am Kanzleramt verabschiedet. Das Ambiente, die Veranstaltung, alles war wunderschön und hat authentisch gepasst. Als Geschenk bekam Frank Bsirske eine Festschrift in Buchform. Zusammen mit Robert Habeck habe auch ich dafür einen Beitrag verfasst.

Hier kann unser Beitrag nachgelesen werden:

Die Würde des Menschen – Politik für einen handlungsfähigen und gerecht finanzierten Sozialstaat

Von Robert Habeck und Beate Müller-Gemmeke

Unser Sozialstaat ist zwar solidarisch organisiert, wer wenig verdient, wird trotzdem im Krankenhaus operiert, wenn es notwendig ist oder bekommt Pflegeversicherungsleistungen im Alter. Doch wer zu wenig verdient, braucht schon im Arbeitsleben aufstockende Hilfe aus Steuergeldern, und da Rente und Arbeitsleben auf das engste verknüpft sind, ist auch die Rente viel zu klein für ein würdevolles Leben im Alter. So wird das System der sozialen Absicherung durch Niedriglöhne immer mehr in Frage gestellt. Auf dieses Problem hat Frank Bsirske, der langjährige Chef von ver.di, schon früh vorausschauend und kämpferisch hingewiesen.

Um hier endlich etwas zu ändern, um prekäre Beschäftigung zurückzudrängen und allen Menschen ein Leben in Würde zu ermöglichen, brauchen wir die Politik und die Gewerkschaften. Das heißt unser Tagesgeschäft und das von ver.di greifen hier Hand in Hand. Denn einerseits brauchen wir endlich neue soziale Leitplanken und die muss die Politik setzen – beispielsweise bei der Leiharbeit, den sachgrundlosen Befristungen, Minijobs und bei der Arbeit auf Abruf. Die politischen Rahmenbedingungen müssen wir so ändern, dass die Gewerkschaften gestärkt werden und es verstärkt zu kollektiven Tarifvereinbarungen kommt, denn gerade im Niedriglohnsektor ist die Tarifbindung äußerst gering.

Für gerechte Löhne brauchen wir vor allem eine starke Tarifpartnerschaft. Und dafür hat Frank Bsirske sein Gewerkschaftsleben lang gekämpft. Bei der Post beendete ver.di unlängst die tarifliche Zweiklassengesellschaft. Beim Sicherheitspersonal auf den Flughäfen gelang es der Gewerkschaft dieses Jahr, die Stundenlöhne in Ost und West endlich anzugleichen, bis 2021 steigen sie bundeseinheitlich auf 19 Euro an. In den Tarifverhandlungen mit den Bundesländern erzielte ver.di eine Anhebung der Gehälter im Gesamtvolumen von acht Prozent – das beste Ergebnis seit Jahren. Und die Flugbegleiter*innen beim Billigflieger Ryanair erhalten dank ver.di erstmals überhaupt einen Tarifvertrag.

Sein letztes Jahr bei ver.di ist von Erfolgen gekrönt, die sich sehen lassen können. Von ihrer Gründung an lenkte Bsirske die Geschicke der Gewerkschaft, die in Deutschland am breitesten aufgestellt ist. Seit 2001 versucht er Systemlogistiker und Verkäuferinnen, Müllmänner und Kindergärtnerinnen, Schauspieler, Klofrauen und Wachleute zusammenzuführen. Das ist einer der schwersten Jobs, den Gewerkschaften zu vergeben haben. Und er meisterte ihn wirklich gut. In seinen Anfangsjahren wetterte er gegen rot-grün unter Gerhard Schröder und entlarvte schon damals das neoliberale Potential der damaligen Politik. Der Mann mit dem grünen Parteibuch nahm kein Blatt vor den Mund und übte schonungslos Kritik an seiner Partei, wenn er es für angebracht hielt. Damit forderte er uns immer wieder. Doch solchen Streit braucht eine Partei, um zu wachsen. Und gleichzeitig waren wir uns seiner Unterstützung immer sicher.

Der Job als ver.di-Chef machte Frank Bsirske im Laufe der Jahre zum streitbaren gewerkschaftlichen Urgestein. Und als solches mischte er sich überall dort ein, wo er Ungerechtigkeit aufspürte und wo die Würde der Menschen angetastet wurde. Beim Lohndumping etwa. Die grundsätzliche politische Antwort auf zu niedrige Löhne ist heute der gesetzliche Mindestlohn. Bsirske ist einer von jenen, die den Mindestlohn auf die politische Agenda hievten, als er bundesweit noch höchst umstritten war. Denn per Definition ist der Mindestlohn der niedrigste gesetzlich zulässige Lohn. Diese Lohnuntergrenze stabilisiert gleichzeitig unser Tarifvertragssystem. Denn tarifliche Löhne im unteren Bereich müssen teilweise nachziehen oder steigen durch den Mindestlohn schneller und stärker an – und das ist gut so. Doch der Mindestlohn ist in unserem Land auf viel zu niedrigem Niveau gestartet, und auch die heutigen 9,19 Euro pro Stunde sind wenig Geld. Daher muss er deutlich erhöht werden. Frank Bsirkse ist der gleichen Meinung. Denn ein echter Mindestlohn muss vor Armut schützen.

Auch die typischen Frauenberufe hatte Bsirske im Blick. Seine Dienstleistungsgewerkschaft führte immer wieder harte Tarifverhandlungen, um diese Berufe besser zu stellen. Die Tarifverhandlungen zur Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe sorgten in unserer Gesellschaft für eine breite öffentliche Debatte. Und die ist bitter nötig. Denn gerade die Erziehungs- und Pflegeberufe, die unsere Gesellschaft immer nötiger braucht, werden viel zu schlecht bezahlt und ausgestattet. Ver.di sorgte außerdem mit einer großen Aktion dafür, dass die Öffentlichkeit erfuhr, wie viel Personal an unseren Krankenhäusern fehlt. Denn um den absehbaren Mangel an Fachkräften in Krankenhäusern, Altenpflege und Kitas ausgleichen zu können, müssten Attraktivität und Ansehen der Pflege- und der Erziehungsberufe endlich steigen. Und auch das geht nur mit einer deutlich besseren Bezahlung und einem besseren Personalschlüssel.

Bsirske kümmert sich ums Detail, und gleichzeitig kann er auch die große Linie. Mal waren es die Bosse, mal waren es Banker oder die Liberalen, an denen er sich zu Recht abgearbeitet hat. Mal wollte er ran an die Apples, Googles und Ikeas der Welt, um deren Gewinne in Deutschland zu besteuern. Ein andermal monierte er, bei uns werde „Reichstumspflege“ getrieben und meinte damit zu niedrige Erbschaftssteuern und zu niedrige Steuern für Reiche. Und wenn ihn etwas so richtig ärgerte, dann konnte der Gewerkschaftsboss auch schon einmal grober werden. Während der Finanzkrise geriet er einmal so in Rage, dass er während einer ver.di-Veranstaltung beide Mittelfinger seiner Hände in die Höhe reckt. Da ging es um die Banker der Hypo Real Estate. Die hatten sich mit hohen Rentenansprüchen verabschiedet, während der Staat für den Fortbestand der Bank bürgen musste. „Das ist unmoralisch, das ist unanständig, das muss geächtet werden“, sagte Frank Bsirkse damals.

Lautstark ist er, dieser Gewerkschaftsmann. Und konsequent, auch in seiner Analyse: Den Crash an der Wall Street sah Bsirske als Bankrotterklärung des herrschenden wirtschaftspolitischen Leitbildes, wonach sich der Staat raushalten soll und die Wirtschaft sich selbst reguliert. Mit diesem Crash entlarvte sich die These von den Selbstheilungskräften des Marktes als Legende. Und das bekam auch Europa zu spüren. Auf die Eurokrise und die rasant wachsenden Staatsschulden in vielen Ländern reagierte ver.di im Bündnis mit anderen Gewerkschaften, Sozialverbänden und Nichtregierungsorganisationen mit der Forderung nach einer Reichensteuer, gemeint war die dauerhafte Wiedereinführung der Vermögensteuer und eine einmalige Vermögensabgabe. Denn die Antwort der Politik auf die Eurokrise waren Privatisierungen und verordnete Sparprogramme bei den Sozialsystemen, Löhnen und Mindestlöhnen. Es gilt vor allem, die Einnahmeseite der Staaten zu konsolidieren, neue Steuereinkommen zu stärken und Steuerhinterziehungen den Kampf anzusagen.

Denn sparen allein ist der falsche Weg. Es hilft der Wirtschaft nicht und es frustriert die Menschen. Wachsende Armut und Verunsicherung in den Eurostaaten der Krise hat längst dazu geführt, dass viele Menschen sich von Europa abwenden und in einfachen nationalstaatlichen Ideen die Lösungen ihrer Probleme suchen.

Nicht nur, aber auch in Europa geht es Bsirske daher um die Rückgewinnung des Sozialen im betrieblichen Alltag, in der Wirtschaft, in der Politik und in der Gesellschaft. Letztlich geht es ihm und uns um die Frage: In was für einer Gesellschaft wollen wir leben? Und welche Aufgaben müssen Staat und Politik wahrnehmen, damit die Gesellschaft nicht zerbricht? Wichtig für diesen sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft ist vor allem die Glaubwürdigkeit unserer Politik. Artikel eins unseres Grundgesetzes schreibt fest, dass die Würde des Menschen unantastbar ist. Das heißt auch: Jegliche Erwerbsarbeit hat ihren Wert und muss fair entlohnt werden. Wirtschaft ist kein Selbstzweck.

Um unsere Gesellschaft gerechter und lebenswerter zu machen, brauchen wir eine nachhaltige Arbeitswelt, von der die Menschen profitieren und die auch nachfolgende Generationen im Blick hat. Nur so schaffen wir mehr Solidarität und mehr echten Zusammenhalt. Dafür trat Frank Bsirske sein gesamtes Gewerkschafterleben lang ein. Er ist ein gewerkschaftliches Urgestein, eines der wenigen grünen gewerkschaftlichen Gesteine, die es in unserer Republik überhaupt gibt. Und darauf sind wir stolz. Jetzt macht dieser streitbare grüne Gewerkschafter seinen Platz für Jüngere frei. Das ist sicher gut so. Trotzdem werden wir ihn vermissen.

Die Würde des Menschen