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12.01.2012

Kleine Anfrage: Bundesregierung ignoriert Gesundheitsrisiken in der Leiharbeit

Wer auf einem unsicheren Leiharbeitsplatz sitzt, fühlt sich nicht als vollwertiger Teil der Gesellschaft. Zu diesem Ergebnis kam das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Mit einer Kleinen Anfrage fragten wir daher die Bundesregierung nach ihrer Einschätzung der Gesundheitsrisiken in der Leiharbeit. Und wir fragten, welche politischen Konsequenzen sie aus den vielfältigen Studienergebnissen zieht, die für die Leiharbeit vorliegen. Die Antwort ist mehr als ernüchternd.

Wer auf einem unsicheren Leiharbeitsplatz sitzt, fühlt sich nicht als vollwertiger Teil der Gesellschaft. Zu diesem Ergebnis ist eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) bereits im vergangenen Jahr gekommen. Denn soziale Teilhabe ist eine Frage von stabilen Jobs. Sichere und gute Arbeit liefert nicht nur die materielle Lebensgrundlage, sondern bietet auch die Chance, direkt im Beruf soziale Kontakte zu knüpfen. Das Gefühl mangelnder Teilhabe macht dagegen häufig krank. Erwerbslose oder Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter fühlen sich daher oft physisch oder psychisch angeschlagen.

Mit einer Kleinen Anfrage fragten wir daher die Bundesregierung nach ihrer Einschätzung der Gesundheitsrisiken in der Leiharbeit. Und wir fragten, welche politischen Konsequenzen sie aus den vielfältigen Studienergebnissen zieht, die für die Leiharbeit vorliegen. Die Antwort, das kann ich vorweg nehmen, ist mehr als ernüchternd. Die Bundesregierung erklärt wieder einmal, ihr lägen kaum Erkenntnisse vor. Und sie sieht – wie wäre es anders zu erwarten – keinen Handlungsbedarf. Zusammenfassend lässt sich sagen, die Bundesregierung ignoriert die Gesundheitsrisiken in der Leiharbeitihrer Gänze. Und das ist völlig verantwortungslos.

So fragten wir die Bundesregierung beispielsweise, welche Arbeitsbedingungen für den höheren Anteil an psychischen Erkrankungen bei Leiharbeitskräften verantwortlich sind. Darauf antwortete sie lapidar: „Über den Zusammenhang von physischen und psychischen Belastungen und der Entstehung von psychischen Erkrankungen gibt es zurzeit kein gesichertes Modell.“ Belastbare Untersuchungsergebnisse werden hier geleugnet. Das ist skandalös.

Natürlich gibt es ausreichend Untersuchungen, Studien und Fakten, die auf die Entstehung und den Anstieg von arbeitsbedingten psychischen Belastungen verweisen. Das europäische Ausland hat darauf reagiert. Nur Deutschland ignoriert psychische Belastungen am Arbeitsplatz und ist hier Schlusslicht in der EU.

Einzig an einer Stelle ihrer Antwort wird die Bundesregierung konkreter. So gesteht sie ein, dass psychische Belastungen in der Leiharbeit auftreten. Sie sind die Folge von niedriger Entlohnung, struktureller Ausgrenzung, geringerer Planbarkeit im Berufsleben, erhöhter Mobilitäts- und Flexibilitätsanforderungen, geringer Weiterbildungschancen und sozialer Ausgrenzung. Eine Bewertung dieser Tatsache bleibt sie jedoch schuldig. Und natürlich zieht sie wieder einmal keine politischen Konsequenzen.

Für die Bundesregierung ist weder der gesetzliche Abschluss einer Arbeitsschutzvereinbarung mit den Entleihbetrieben erforderlich, noch hält sie es für geboten, den breiten Spielraum der Arbeitgeber bei der Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen einzugrenzen. Ebenso sieht sie keine Notwendigkeit, die Betriebsräte in den Entleihbetrieben zu stärken, um den Arbeitsschutz für Leiharbeitskräfte zu erhöhen.

Auch bei den Antworten zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) macht es sich die Bundesregierung sehr einfach. Sie verweist auf die Gesetzeslage und die Initiativpflicht der Arbeitgeber. Dabei ignoriert sie, dass das Betriebliche Eingliederungsmanagement in der Leiharbeit nicht funktioniert. Denn nicht die Arbeitgeber des Entleihbetriebs, sondern der des Leiharbeitsunternehmen ist für die betriebliche Wiedereingliederung lang erkrankter Beschäftigter zuständig. Doch in der Regel werden Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer bei Krankheit nicht weiterbeschäftigt, es folgt die Erwerbslosigkeit. Auf die Unterstützung seitens Betriebsräte können Leiharbeitskräfte kaum hoffen, denn nur fünf Prozent der Leiharbeitsfirmen verfügen über einen Betriebsrat. Diese Zahlen sind bekannt, doch auch hier will die Bundesregierung von nichts wissen und meint, ihr lägen keinerlei Angaben dazu vor.

Die Bundesregierung verschließt die Augen vor den Problemen beim Arbeitsschutz und vor den Gesundheitsrisiken in der Leiharbeitsbranche. Sie ignoriert die besondere Dreieckskonstellation zwischen Leiharbeitskräften, Entleih- und Verleihunternehmen und die daraus entstehenden Probleme bei der Mitbestimmung, die zu Lasten der Leiharbeitskräfte gehen. Stattdessen wird die Regierung nicht müde, die vermeintlichen Vorteile der Leiharbeit zu betonen. So verweist sie darauf, dass insbesondere Langzeitarbeitslose und gering Qualifizierte durch die Leiharbeit gute Chancen für den Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt erhielten. Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung kam schon 2010 zu dem Schluss, dass nur sieben Prozent aller Leiharbeitskräfte in eine Festanstellung wechseln. Welche Chancen meint die Bundesregierung da nur? Die Mehrheit aller Beschäftigten in der Leiharbeit bleibt über Jahre hinaus entliehen. Auch wenn 60 Prozent aller Leiharbeitskräfte einen Berufsabschluss haben und lediglich zehn Prozent von ihnen vor dem Leiharbeitsverhältnis langzeitarbeitslos waren.

Schwarz-Gelb zeigt auch bei dieser Kleinen Anfrage, dass prekäre Beschäftigungsverhältnisse bewusst in Kauf genommen werden. Arbeitsplätze sollen geschaffen werden – und zwar um jeden Preis. Psychische Belastungen und Gesundheitsrisiken ignoriert die Bundesregierung da lieber. Dabei müssen die Menschen und ihre Gesundheit in den Mittelpunkt gestellt werden. Denn sozial ist nur, was gute Arbeit schafft.

Kleine Anfrage

Pressebericht: der Freitag