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22.10.2019

Das neue Berufskrankheitenrecht auf dem Prüfstand

„Wenn der Job krank macht – das Berufskrankheitenrecht auf dem Prüfstand“, unter diesem Motto lud der DGB diese Woche zu einer Podiumsdiskussion ein. Denn das Bundesarbeitsministerium legte unlängst einen Entwurf für ein neues Berufskrankheitenrecht vor. Danach könnten Menschen, die bei der Arbeit krank werden, in Zukunft hoffentlich häufiger entschädigt werden, als das heute der Fall ist. Der Gesetzentwurf wurde jetzt an verschiedene Verbände verschickt. Diese können den Entwurf jetzt kommentieren, bevor er in den Bundestag eingebracht wird.

Neun der heute existierenden 80 Berufskrankheiten, beispielsweise starke Rückenschmerzen, schwere Hautkrankheiten oder chronische Sehnenscheidenentzündungen, sehen zurzeit noch einen Unterlassungszwang vor. Das bedeutet: Beschäftigte, die nachweislich eine dieser neun Berufskrankheiten haben, dürfen nicht mehr in ihrem Beruf arbeiten, sonst erhalten sie keine Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Aber wer gibt schon seinen Beruf auf, ohne zu wissen, ob tatsächlich Ansprüche auf eine Rente bestehen? Deshalb ist es einfach zwingend nötig, dass dieser Unterlassungszwang jetzt gestrichen werden soll. Diese Streichung ist sicherlich eine der größten Verbesserungen im Berufskrankheitenrecht, die der Referentenentwurf der Bundesregierung vorsieht. Künftig werden dadurch viel mehr erkrankte Beschäftigte einen Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung haben.

Gleichzeitig wird mit der Reform der ärztliche Sachverständigenbeirat professionalisiert. Dieser ärztliche Beirat tritt ehrenamtlich zusammen und empfiehlt der Bundesregierung nach intensiver Recherche, welche Krankheiten als neue Berufskrankheiten anerkannt werden sollten. Künftig erhält dieser Beirat eine eigene Geschäftsstelle angesiedelt bei der BAuA. So bekommt der nur ehrenamtlich arbeitende Beirat endlich professionelle Unterstützung und systematische wissenschaftliche Zuarbeit. Das begrüße ich.

Was im geplanten Gesetz allerdings völlig fehlt, ist eine Härtefallregelung, um bei seltenen Fällen von Erkrankungen zu mehr Einzelgerechtigkeit zu kommen.  Manche durch den Beruf ausgelöste Krankheiten kommen sehr selten vor und werden deshalb nicht als Berufskrankheit anerkannt. Sie sind für die Betroffenen aber dennoch gravierend. Daher sollten auch diese Menschen die Möglichkeit bekommen, entschädigt zu werden. Das Fehlen dieser Härtefallregelung kritisiere ich scharf. Denn die Menschen, die aufgrund ihrer Arbeit erkranken, dürfen wir nicht alleine lassen.  

Und auch die Genderperspektive fehlt dem Gesetzesentwurf. Vom anerkannten Berufskrankheitengeschehen sind Männer wesentlich stärker betroffen als Frauen.

Eine wesentliche Rolle dabei spielt es, dass allgemein angenommen wird, männliche Berufe hätten stärkere Risiken. Damit richtet sich die Aufmerksamkeit in der Forschung, im Arbeitsschutz und in der Prävention eher auf Branchen und Beschäftigungsformen, in denen vorwiegend Männer anzutreffen sind. Die klassischen Gefährdungsfaktoren wie physikalische Belastungen, Lärm, mechanische Einwirkungen, chemische Belastungen oder Staub sind eben typisch für die Arbeitsbereiche von Männern. Frauen arbeiten häufig in anderen Bereichen, arbeiten schwer als Alten- oder Krankenpflegerinnen und sind psychischen Belastungen im sozialen Kontakt stärker ausgesetzt. Es braucht also endlich eine geschlechtergerechte Forschung.

Gleichzeitig müssen berufsbedingte psychische Belastungen, die zu Erkrankungen führen, eine viel stärkere Beachtung finden, wenn es um Berufskrankheiten geht. Das beginnt bei der Forschung. Das geht weiter beim ärztlichen Sachverständigenbeirat, der auch einen Fokus auf psychische Belastungen legen muss. Und es zieht dich durch bis hin zu den korporativ besetzten Ausschüssen der Berufsgenossenschaften, die letztlich darüber entscheiden, ob im Einzelfall eine Berufskrankheit vorliegt. 

Und natürlich dürfen wir vor allem nicht vergessen: Berufskrankheiten sind das allerletzte Glied einer Kette. Zu Beginn dieser Kette geht es um gute Arbeitsbedingungen, es geht um Prävention, um effektiven Arbeitsschutz und gute Gefährdungsbeurteilungen. Es geht darum, dass Arbeitsplätze gesundheitsförderlich gestaltet sind. Arbeit darf einfach gar nicht erst krank machen.