Inhalt

26.06.2015

Fachgespräch: Arbeitsbedingungen in der Schlachtindustrie

In deutschen Schlachtfabriken herrschen oft Arbeitsbedingungen, die nicht hinnehmbar sind. Geringe Löhne, hohe Abzüge, grauenvolle Unterkünfte für meist osteuropäische Wanderarbeiter sind an der Tagesordnung. Dagegen kann und muss auch Politik etwas tun. Deshalb haben wir zu einem öffentlichen Fachgespräch in den Bundestag eingeladen.

Der Sommer steht vor der Tür. Es ist die Zeit, die man gerne draußen verbringt – mit Freunden bei gutem Essen, beim Grillen. Doch dem Genuss sind Grenzen gesetzt, wenn man genauer schaut, welchen Weg das Fleisch bis dahin oft gegangen ist. Besonders die Arbeitsbedingungen in der Schlachtindustrie stehen öffentlich in der Kritik. Es geht um Zustände, die wir uns hier in Deutschland kaum vorstellen können.

Viele Beschäftigte in der Schlachtindustrie arbeiten unter unwürdigen Bedingungen. Sie werden häufig schlecht bezahlt, einigen von ihnen wird sogar der zustehende Lohn vorenthalten. Die Arbeitszeiten sind oft katastrophal. Zudem werden bei Kontrollen immer wieder massive Arbeitsschutzmängel festgestellt und die Zahl der Arbeitsunfälle ist im Vergleich zu anderen Branchen sehr hoch. Viele dieser Arbeitnehmer*innen kommen aus Osteuropa, werden mit falschen Versprechungen hierher gelockt werden. Sie werden teils in erschreckenden Quartieren untergebracht. Trotz Mindestlohn bleiben geringe Löhne, hohe Abzüge und schlechte Arbeitsbedingungen auf der Tagesordnung, auch weil die Probleme bei Entsendungen und Werkverträgen bislang nicht gelöst sind.

Wir Grüne meinen, es muss endlich Schluss sein mit diesen Missständen und wollen geeignete Gegenmaßnahmen entwickeln. Deshalb hatten wir Experten eingeladen, die uns bei der Veranstaltung den Handlungsbedarf bestätigten und Lösungsansätze formulierten:

Dominique John, Leiter der Beratungsstelle Faire Mobilität, berät seit einigen Jahren Beschäftigte in Branchen, in denen die Löhne und die Arbeitsbedingungen besonders schlecht sind. Aus seiner Sicht gehört die Schlachtbranche eindeutig dazu. Er kritisierte, dass nahezu die gesamte Wertschöpfungskette in der Schlachtindustrie problematische Züge aufweist. Besonders problematisch sei der Einsatz entsandter Beschäftigter. Es sei in der Regel kaum nachvollziehbar, ob die Beschäftigten tatsächlich in der Sozialversicherung angemeldet sind. Auch wenn die Subunternehmen ihren Beschäftigten auf dem Papier den Mindestlohn zahlen, sei nicht sichergestellt, wie viel sie tatsächlich ausgezahlt bekommen. Nicht selten werden Beschäftigte von ihren Subunternehmen in heruntergekommenen Wohnungen untergebracht und das für überteuerte Mieten.

Josef Tillmann, Geschäftsführer der Tönnies Lebensmittel GmbH, räumte ein, dass sich in der Schlachtindustrie in den vergangenen Jahrzehnten problematische Strukturen entwickelt hätten, die es wieder in vernünftige Strukturen zu überführen gelte. Trotz aller Probleme habe es in den vergangenen Jahren aber Verbesserungen bei den Entlohnungs- und Arbeitsbedingungen gegeben durch den branchenspezifischen Mindestlohn und einem Verhaltenskodex der Fleischverarbeitenden Betriebe. Die Kritiker der Fleischindustrie müssten bedenken, dass sich nur wenige deutsche Arbeitskräfte finden, die überhaupt in der Branche arbeiten möchten. Deswegen greife die Branche seit mehreren Jahrzehnten auf ausländische Arbeitskräfte zurück.

Heinz John von der Finanzkontrolle Schwarzarbeit verdeutlichte, Missbrauch sei stark verbreitet. Oft würden Pausenzeiten nicht vergütet, Arbeitszeiten verschleiert, Lohnabrechnungen manipuliert und festgelegte Nachtzuschläge nicht gezahlt. Ein Problem sei grundsätzlich die Kontrolle von entsandten Beschäftigten. Besonders problematisch sei, dass Subunternehmen oft auf ein komplexes Firmengeflecht zurückgriffen und im Falle von Unregelmäßigkeiten Firmen aufgelöst und einfach wieder neue gegründet würden. Dies mache es besonders schwierig, Verantwortliche zu belangen. Es sei überlegenswert, in bestimmten Branchen Entsendung zu verbieten oder zu quotieren. Der Rettungsschirm von Scheinwerkverträgen müsse abgeschafft werden. Es könne nicht sein, dass wenn Scheinwerkverträge festgestellt würden, sich Unternehmen durch den Besitz einer Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis vor den Rechtsfolgen schützen können. Problematisch sei auch, dass Strafverfahren zu lange dauern und die Rechtsposition der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schlecht sei.

Micha Heilmann, Leiter der Rechtsabteilung und des Hauptstadtbüros Gewerkschaft Nahrung, Genuss und Gaststätten, kritisierte, dass die vernünftigen Strukturen in der Fleischindustrie schon lange zerstört seien und erst wieder aufgebaut werden müssten. Auch gebe es keinen Arbeitgeberverband, mit dem die Gewerkschaft verhandeln könne. Die Kriterien für Werkverträge müssen geschärft werden und die Rechte der Arbeitnehmenden müssen durch ein Verbandsklagerecht gestärkt werden.

Würde der Menschen geht vor Profitinteressen der Schlachtfabriken

Einmal mehr wurde deutlich: die Situation der Beschäftigten in der Schlachtindustrie ist unhaltbar und eines wohlhabenden Landes wie Deutschland unwürdig. Aber Arbeitnehmerrechte zählen zu den wichtigsten Errungenschaften. Deshalb darf die Bundesregierung nicht untätig bleiben. Sie ist in der Pflicht, gesetzliche Lücken endlich zu schließen. Alle Beschäftigten haben ein Anrecht auf angemessene Entlohnung und menschenwürdige Arbeitsbedingungen.

Notwendig sind gesetzliche Änderungen. Es darf keinen Rettungsschirm für Unternehmen geben, die Missbrauch mit Werkverträgen betreiben. Wir Grüne fordern klare Abgrenzungskriterien von Werkverträgen und Leiharbeit. Verdeckte Arbeitnehmerüberlassung muss sanktioniert werden. Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit muss in die Lage versetzt werden, Missstände wirkungsvoll zu unterbinden. Darüber hinaus bedarf es einer besseren Mitbestimmung von Betriebsräten beim Einsatz von Fremdpersonal.